Corona – Beurteilung der Lage am 3. Mai 2020

Wer Entscheidungen von großer Tragweite zu treffen hat, muß umsichtig handeln. Vor allem muß er seinen Entscheidungen eine möglichst breite Basis von Erkenntnissen, also Tatsachen, und soweit diese für sich alleine eine Beurteilung nicht ermöglichen, den Rat von Experten zugrundelegen. Mit anderen Worten: die Lage ist fortlaufend zu beurteilen. Ändert sich die Lage, muß sich zwangsläufig eine Änderung zuvor getroffener Entscheidungen anschließen. Ob unsere verantwortlichen Politiker diese Regel durchweg befolgen, ist zweifelhaft.

Mehr Berater, und mehr Fachrichtungen!

Natürlich stützen sich die Bundesregierung wie auch die Regierungen der Bundesländer auf den Rat von Experten. Allerdings entsteht der Eindruck, daß der Kreis dieser Experten sehr klein ist. Das gilt sowohl für die Fachrichtungen, als auch für die Berater aus diesen Fachrichtungen. Man gewinnt den Eindruck, daß nahezu ausschließlich die Virologen befragt werden, und hier nur wenige. Nahezu jeder aufmerksame Zeitungsleser und Fernsehzuschauer vermag die immer gleichen Virologen schon mit Namen zu nennen. Spötter meinen, der durchschnittliche Fernsehzuschauer erkenne die maßgeblichen Virologen schon von hinten an der Frisur. Nun gibt es natürlich eine Vielzahl von hoch qualifizierten medizinischen Experten. Wir haben in Deutschland 36 medizinische Fakultäten mit einer unterschiedlich großen Anzahl an Instituten und Lehrstühlen der verschiedenen Disziplinen.

Die Virologen

So gibt es im Fachgebiet Virologie 37 Institute bzw. Abteilungen an deutschen Universitäten, dazu noch 15 sonstige gleichartige Institutionen. Die Fachgesellschaft für Virologie in Deutschland, Österreich und der Schweiz hat etwa 1.000 Mitglieder. Da wäre die Politik doch gut beraten, die Zahl der befragten Virologen deutlich zu vergrößern, insbesondere den unterschiedlichen Auffassungen auch in dieser Disziplin Rechnung zu tragen.

Die Epidemiologen

Entsprechendes gilt für die Epidemiologie. Auch hier gibt es natürlich eine Fachgesellschaft mit entsprechend vielen Lehrstuhlinhabern und Institutsdirektoren. Die Deutsche Gesellschaft für Epidemiologie hat in ihrer aktuellen Stellungnahme zur Corona-Krise vom 27. April 2020 unter anderem die Frage beantwortet, was bei einer Beibehaltung der aktuell implementierten Maßnahmen passieren würde. In der Antwort heißt es: „Hierbei muß zunächst klargestellt werden, daß die Beibehaltung der Maßnahmen mit erheblichen Einschränkungen der Bürgerrechte und mit erheblichen sozialen, wirtschaftlichen und auch gesundheitlichen Belastungen für die Menschen und Unternehmen unseres Landes verbunden sind. Deshalb stellt das Szenario der langfristigen Beibehaltung der Maßnahmen keinen gangbaren Weg dar. Es muß vielmehr eine Situation geschaffen werden, in der die Zahl der neu infizierten Personen so weit reduziert wird, daß die Nachverfolgung dieser Fälle und ihrer Kontakte und anschließende Quarantäne durch die Gesundheitsbehörden möglich wird.“ Nachdem wir inzwischen bei weniger als 1.000 Neuinfizierten pro Tag angelangt sind, sollte dies möglich sein. Nicht zuletzt deswegen will man ja die Nachverfolgung mittels einer sogenannten Handy-App großflächig ermöglichen.

Die Lungenspezialisten

Die durch das Coronavirus hervorgerufene Krankheit Covid-19 ist eine Erkrankung der Lunge und der Atemwege. Hier finden sich die Experten in der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin. Diese Fachgesellschaft hat – Stand September 2019 – 4.344 Mitglieder. Sie hat am 27. April 2020 die häufig gestellte Frage beantwortet, welche Patienten am stärksten gefährdet sind, einen schweren CovVid-19-Verlauf zu haben. Die Antwort ist aufschlussreich: „Aus den aktuell vorliegenden Daten geht hervor, daß ältere Menschen (> 65 Jahre alt) und Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen und/oder Diabetes das größte Risiko für schwere Covid-19-Verläufe haben. Europäische und amerikanische Daten zeigen, daß Adipositas ein zusätzlicher Risikofaktor ist. Chronische Lungen-, Nieren- und Leber-Erkrankungen, das Vorliegen einer Immundefizienz und Zigarettenrauchen werden als weitere Risikofaktoren genannt, wenngleich hier die Datenlage noch dünn ist. Das Vorliegen von mehr als einer chronischen Erkrankung scheint das Risiko deutlich zu erhöhen. In einer amerikanischen Fallserie hatten die hospitalisierten Patienten im Median 4 Komorbiditäten. Eine besondere Risikogruppe mit hohem Letalitäts-Risiko stellen Patienten in Pflegeheimen dar, aufgrund des hohen Alters und des häufigen Vorliegens mehrerer chronischer Erkrankungen. Auch breitet sich der Erreger in Pflegeheimen aufgrund der Zuständigkeit des Pflegepersonals für viele Bewohner und des engen körperlichen Kontaktes sehr schnell aus.“ Auch das muß alles mindestens bei der Prüfung beachtet werden, ob Grundrechtseinschränkungen, dazu noch flächendeckend, verhältnismäßig sind.

Die Pathologen

Woran ein Mensch verstorben ist, finden Pathologen heraus. Wir haben in Deutschland in dieser Fachrichtung derzeit 37 Lehrstühle. Inwieweit hier gezielt untersucht wird, ob Patienten an Covid-19 verstorben sind, oder ihr Tod maßgeblich auch auf diese Erkrankung zurückzuführen ist, wissen wir nicht. Bekannt geworden ist lediglich der Hamburger Pathologe Prof. Püschel. Er hat über 100 Verstorbene obduziert und nach der Todesursache Covid 19 gesucht. Für seine Feststellung, daß die auf diese Krankheit zurückzuführenden Todesfälle nahezu ausschließlich Patienten mit schweren Vorerkrankungen und in hohem Lebensalter getroffen hätten, mußte er sich allerhand anhören.

Die Statistiker

Aufschluß können natürlich auch Statistiken geben. Hier geht es um die sogenannte Übersterblichkeit. D.h., ein Ansteigen der Todesfälle über den langjährigen Durchschnitt hinaus, das offensichtlich auf eine Krankheit zurückzuführen ist, die es in den voraufgegangenen Jahren nicht gegeben hat. Das Statistische Bundesamt hat diese Zahlen bis einschließlich 5. April 2020 veröffentlicht. Hier greife ich jeweils den 5. März und den 5. April heraus. Denn in dieser Zeit sind bekanntlich die Erkrankungen wie auch die Todeszahlen im Zusammenhang mit der Covid 19 Erkrankung stark zurückgegangen. Hier die Zahlen:

5. März 2017: 2.785; 5. März 2018: 3.932; 5. März 2019: 2.981; 5. März 2020: 2.748.

5. April 2017: 2.519; 5. April 2018: 2.909; 5. April 2019: 2.675; 5. April 2020: 2.753.

Es ist schon erstaunlich, daß die Todeszahlen im laufenden Jahr 2020 eben nicht signifikant höher sind, als in den Vorjahren. Auffallend ist sie lediglich eine enorme Steigerung im März 2018. Die Zahl für den März 2020 hält sich jedoch im Rahmen dessen, was in den anderen Jahren festgestellt worden ist. Die Zahl für den April 2020 fügt sich in die Vorjahreszahlen ein. Allerdings hatten wir 2017/2018 eine Grippewelle.

Erkenntnisse über den Verlauf der Corona-Krise gewinnt man natürlich auch aus den amtlichen Zahlen des Robert-Koch-Instituts (RKI).

Das Institut zählt insgesamt 162.496 Infizierte, davon 130.600 Genesene. Mithin geht von nur 31.896 Personen noch eine Ansteckungsgefahr aus. Die Zahl der Toten wird bis heute mit 6.649 angegeben. Interessant ist die Entwicklung der Neuinfektionen. So lag diese an dem Tag, an dem die weitreichenden Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie verfügt worden sind, dem 23. März 2020, bei 4.062 Personen, am 24. März 2020 bei 4.764 Personen, heute, am 3. Mai 2020 bei nur noch 793 Personen. Die einschlägige Grafik auf der Internetseite des RKI zeigt dann auch eine stetige Abflachung der Kurve. In diesem Zusammenhang ist auch die veröffentlichte Zahl der Reproduktionsrate, also des Verhältnisses von infizierten Personen zur Zahl derer, die sie anstecken können, von Interesse. Lag diese zu Beginn der Krise noch im Bereich von 1:2,5 bzw. 1:3, liegt sie seit Wochen stabil unter 1:1, und das zu allem Überfluss bereits seit drei Tagen vor Anordnung der einschneidenden Maßnahmen.

Die Wirtschaftswissenschaftler

Der sogenannte Lockdown, also die nahezu vollständige Lahmlegung des öffentlichen Lebens und der Wirtschaft, hat unbestritten erhebliche Auswirkungen auf Wirtschaft und Finanzen unseres Landes. Indessen sehen wir in den Expertengremien, die Bundesregierung und Länderregierungen beraten, weder die sogenannten Wirtschaftsweisen noch die Chefs der bekannten Institute wie die Professoren Fratzscher und Fuest oder den angesehenen Professor Sinn. Das wäre jedoch durchaus sinnvoll.

Die Mediziner sehen selbst die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Folgen

Selbst die Virologen und Epidemiologen weisen auf die wirtschaftlichen Folgen der Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie hin. So hat jüngst der Virologe Professor Alexander Kekulé erklärt: „Wir können nicht auf einen Impfstoff warten und für weitere 6-12 Monate im Lockdown-Modus bleiben. Wenn wir das tun würden, würde unsere Gesellschaft und unsere Kultur zerstört.“ In die gleiche Kerbe schlägt Professor Dr. Gérard Krause, Leiter des Bereichs Epidemiologie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung: „Diese schwerwiegenden gesamtgesellschaftlichen Maßnahmen (Kontaktsperren und Ausgangsbeschränkungen) müssen wir so kurz und niedrig intensiv wie möglich halten, denn sie könnten möglicherweise mehr Krankheits- und Todesfälle erzeugen als das Coronavirus selbst… Wir wissen, daß zum Beispiel Arbeitslosigkeit Krankheit und sogar erhöhte Sterblichkeit erzeugt. Sie kann Menschen auch in den Suizid treiben. Die Einschränkung der Bewegungsfreiheit hat vermutlich auch weitere negative Auswirkungen auf die Bevölkerung.“ Prof. Dr. Ansgar Lohse, Direktor des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf fordert kurz und knapp, Kitas und Schulen sollten baldmöglichst wieder geöffnet werden.

Das Verfassungsrecht

Alle diese Fakten sind natürlich auch an dem Maßstab zu messen, den unsere Verfassung an alles Regierungshandeln, insbesondere an Eingriffe in die Grundrechte der Bürger legt. Die Zulässigkeit von Grundrechtseingriffen zur Verwirklichung von Zielen, die der Staat legitimerweise verfolgt, hängt von drei Kriterien ab, die sämtlich erfüllt sein müssen. Die Maßnahme muß geeignet sein, das erstrebte Ziel zu erreichen, sie muß erforderlich sein, d.h., ein weniger intensiver Eingriff in die Grundrechte führt nicht zum Ziel, und sie muß verhältnismäßig sein. An dieser Stelle muß sowohl die Intensität der Maßnahme als auch das damit erstrebte Ziel gegeneinander abgewogen werden, als auch eine Abwägung des erstrebten Ziels mit anderen ebenfalls geschützten Grundrechtspositionen erfolgen muß.

Offenkundige Verfassungsverletzungen

Die Bundesregierung stützt ihre Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie  auf das Bundesinfektionsschutzgesetz. Das leuchtet zunächst einmal ein. Weli dieses Gesetz in der bisherigen Fassung nicht ausreichte, hat der Bundestag am 25. März 2020 in aller Eile ein Gesetz zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes erlassen. Dieses Gesetz wird von diversen Verfassungsrechtlern allerdings als verfassungswidrig angesehen, insbesondere weil es die Gesetzesbindung der Exekutive zur Disposition stellt und den Bundesgesundheitsminister zu Abweichungen von gesetzlichen Normen ermächtigt. Ähnliche Mängel weisen auch etliche von den Ländern und Kommunen erlassene Rechtsverordnungen und andere Rechtsakte auf. Der angesehene Verfassungsjurist Professor Dietrich Murswiek formuliert die verfassungsrechtlichen Probleme einleuchtend:

Der verfassungsrechtliche Dreiklang

Geeignete Maßnahmen zur Gefahrenabwehr…

„Um die Frage beantworten zu können, wie weit staatliche Grundrechtseinschränkungen zum Corona – Schutz reichen dürfen, muß man zunächst wissen, daß die grundrechtlich geschützte Freiheit niemals unbegrenzt ist. Der Gesetzgeber darf sie einschränken, soweit dies zur Verwirklichung von Gemeinwohlzielen geboten ist. Sogar Grundrechte, die nicht ausdrücklich unter Gesetzesvorbehalt stehen, dürfen begrenzt werden, wenn sich dies zum Schutz anderer Verfassungsgüter rechtfertigen läßt. In der Coronakrise geht es um den Schutz von Leben und Gesundheit, also um den Schutz von Gütern, deren Integrität grundrechtlich garantiert ist und die der Staat nicht nur schützen darf, sondern zu deren Schutz er auch verfassungsrechtlich verpflichtet ist. Das Ziel, Leben und Gesundheit zu schützen, kann daher die Einschränkung grundrechtlicher Freiheiten rechtfertigen. Entscheidend ist, ob die zum Schutz vor dem Corona-Virus ergriffenen Maßnahmen zur Erreichung dieses Ziels erstens geeignet und zweitens erforderlich sind und ob sie drittens auch im Sinne einer Vorteils- und Nachteilsabwägung dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen.“ Kontaktverbote und ähnliches sind sicherlich geeignet, das erstrebte Ziel zu erreichen. Es geht ja um die Verlangsamung der Ausbreitung des Virus so lange, bis sichergestellt ist, daß die medizinische Versorgung der Corvid-19 Patienten gewährleistet ist, insbesondere die nötige Zahl von Intensiv Betten zur Verfügung steht. Dies ist derzeit bei weitem der Fall. Die Kliniken können inzwischen dazu übergehen, einen Großteil der intensivmedizinischen Kapazitäten wieder für andere Patienten bereitzustellen, die ihrer dringend bedürfen. Schon dies zeigt, daß die verfügten Maßnahmen wie Schul- und Kindergärtenschließungen, Betriebsverbote für Läden und Gaststätten, Ausgangsbeschränkungen und sozialen Kontaktverbote geeignet waren, die Verbreitung des Virus erheblich zu verlangsamen. Damit sind Menschenleben gerettet worden und werden es weiterhin.

….müssen dazu auch erfoderlich sein

Die weitere Frage ist jedoch, ob der gesellschaftliche und ökonomische Lockdown auch erforderlich ist und ob damit die zweite Voraussetzung der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung erfüllt ist. Das ist nach Auffassung von Professor Murswiek durchaus zweifelhaft. Eine Maßnahme ist rechtlich nicht erforderlich, wenn das Ziel mit weniger freiheitseinschränkenden Mitteln erreicht werden kann. In diesem Zusammenhang müssen natürlich auch die oben referierten medizinischen Fakten gesehen werden. Dazu gehört auch, daß die allermeisten an Covid-19 erkrankten Menschen mehrfache Vorerkrankungen aufwiesen und im Durchschnitt etwa 80 Jahre alt waren. Es muß also aus verfassungsrechtlicher Sicht mindestens geprüft werden, ob nicht andere, weniger einschneidende Maßnahmen genügen, das erstrebte Ziel zu erreichen. So beispielsweise die Konzentration der Schutzmaßnahmen auf die Risikogruppen, wie das manche Virologen fordern. Die Hochrisikogruppe der sehr alten und kranken Menschen gefährdet nur sich selbst, wenn sie sich durch soziale Kontakte dem Infektionsrisiko aussetzt. Hier sind wir aber auch bei der Eigenverantwortung des Menschen für sein Wohl und Wehe angelangt. Zum Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, Art. 2 Abs. 1 GG, gehört es auch, mit großen Risiken zu leben, ja sich bewußt erheblichen Gefahren auszusetzen. Es wird auch gesellschaftlich akzeptiert, daß Menschen Risikosportarten betreiben oder ungesund leben. Die Gesellschaft nimmt es sogar in Kauf, daß diese Menschen das System der medizinischen Versorgung belasten und ihre Kosten in die Höhe treiben.

Stets ist die Verhältnismäßigkeit zu prüfen

Noch problematischer als die Erforderlichkeit der grundrechtseinschränkenden Maßnahmen ist deren Verhältnismäßigkeit, also die Vorteils-und Nachteilsabwägung. Diese dritte verfassungsrechtliche Rechtfertigungsoraussetzung ist anscheinend von der Politik bislang überhaupt nicht beachtet worden. Man hat den Eindruck, daß Bundesregierung und Landesregierungen unter dem Diktat der Virologen, und zwar einer Denkschule dieser Fachrichtung stehen, die im wesentlichen vom Robert-Koch-Institut, aber auch von Professor Drosten repräsentiert wird. Dem Ziel, die Zahl der Neuinfektionen zu reduzieren und die Infektionskurve abzuflachen, wird offensichtlich alles andere untergeordnet. Die „Nebenwirkungen“ dieser Therapie, insbesondere in der Volkswirtschaft, aber auch beispielsweise der Verlust der Sozialkontakte, die Vereinsamung alter, allein lebender Menschen mit allen daraus resultierenden Folgen scheinen nicht im Blickfeld der politischen Entscheider zu sein, und wenn dann allenfalls ganz am Rande. Aber genau hier setzt die Verhältnismäßigkeitsprüfung ein. Der Präsident des Deutschen Bundestages hat juristisch korrekt darauf hingewiesen, daß der Staat nicht verpflichtet ist, unter allen Umständen zu vermeiden, daß Menschen an Krankheiten sterben. Kein Bürger hat gegen den Staat einen Anspruch darauf, daß er ihn unter allen Umständen vor dem Tode bewahrt. Aber er hat einen Anspruch darauf, daß der Staat seine Freiheitsrechte respektiert.

Die Lage hat sich verändert

So notwendig und deswegen richtig es war, der bis dato in ihrer Art und ihrem Ausmaß kaum einzuschätzenden Gefahr einer Pandemie mit drastischen Maßnahmen zu begegnen, so notwendig und allein richtig ist es nun, eine gründliche Neubewertung der Lage vorzunehmen. Denn wir sehen, daß die Gefahr bei weitem nicht das Ausmaß angenommen hat, das anfangs befürchtet werden mußte. Daß dies auch auf die verfügten Maßnahmen zurückgeht, liegt nahe, ändert aber nichts an dieser Tatsache. Wir sehen, daß die Infektionskurve so weit abgeflacht ist, und zwar offensichtlich dauerhaft, daß die medizinische Versorgung der Corvid 19 Patienten absolut gesichert ist, ja das medizinische System ausreichende Kapazitäten hat, sowohl die ohne Covid 19 Patienten zu bewältigenden Aufgaben zu lösen, als auch die zu den sonstigen Intensivpatienten hinzutretenden – relativ wenigen – Covid 19 Patienten auf Dauer zu versorgen. Das gilt selbst im Falle eines spürbaren Anstiegs der Neuinfektionen. Die Auswirkungen des Lockdown indessen treten immer deutlicher hervor. Die Neubewertung der Lage muß also zwingend zu einer weitgehenden Aufhebung der ursprünglich einmal sinnvollen Grundrechtsbeschränkungen führen.

Die Tragik der späten Geburt

Helmut Kohl wurde mitte der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts dafür gescholten, daß er seine und die folgenden Generationen der Deutschen von einer Mitschuld an den Verbrechen der Nationalsozialisten freisprach, indem er auf die schlichte Tatsache hinwies, daß eine Verantwortung dafür doch nur denen zugeschrieben werden kann, die damals bereits erwachsen waren, und somit wenigstens in Grenzen Einfluß auf die Politik des Landes nehmen konnten. Natürlich paßte das nicht in das Weltbild derjenigen, die im Nationalsozialismus eine Ausprägung des sogenannten deutschen Sonderweges in der Geschichte sahen und heute noch sehen, der eben von Friedrich dem Großen über Bismarck zwangsläufig zu Hitler geführt haben soll. Und daraus entstand eben das Narrativ von der ewigen Schuld der Deutschen. Daß dieses Narrativ gewissermaßen zum Glaubensbekenntnis des deutschen Juste Milieu in den Universitäten, Redaktionsstuben und politischen Parteien geworden ist, gehört zu den Gewissheiten der Gegenwart wie der Klimawandel (unabhängig von seinen Ursachen), das Corona-Virus und der islamische Terrorismus.

Die Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz zur „Mitschuld“ im II. Weltkrieg

Die katholische Kirche ist eine ehrwürdige Institution. Zu ihren Wesensmerkmalen gehört, daß sich Änderungen in ihr nur sehr, sehr langsam vollziehen. Man sagt, sie denke in Jahrhunderten. Und deswegen ist es nicht weiter verwunderlich, daß sie nun 75 Jahre nach dem Ende der NS-Herrschaft, ihre „Mitschuld“ am Krieg erkannt haben will. Denn das oberste Leitungsgremium der katholischen Kirche in Deutschland, die Deutsche Bischofskonferenz, hat in einer Erklärung zur Position der katholischen Bischöfe im Zweiten Weltkrieg eine „Mitschuld der Kirche“ eingeräumt. „Bei aller inneren Distanz zum Nationalsozialismus und bisweilen auch offenen Gegnerschaft war die katholische Kirche in Deutschland Teil der Kriegsgesellschaft“, erklärte der Bischof von Hildesheim Heiner Wilmer während einer Pressekonferenz in der vergangenen Woche. „Indem die Bischöfe dem Krieg kein eindeutiges ‚Nein‘ entgegenstellten, sondern die meisten von ihnen den Willen zum Durchhalten stärkten, machten sie sich mitschuldig am Krieg“, heißt es weiter in dieser Verlautbarung. Und sein Amtsbruder aus Limburg Georg Bätzing klagt darüber, daß der 8. Mai 1945 in Deutschland lange Zeit als Tag der Niederlage verstanden worden sei. Die Deutschen hätten „wie nie zuvor selbst die Folgen des von ihrem Land verursachten Krieges erleben“ müssen als „Besatzung, als Hungersnot und vor allem als massenhafte Flucht und Vertreibung aus den östlichen Gebieten.“ Dagegen mahnte er an: „Auch wir sind befreit worden.“ Es sei deshalb erfreulich, daß „der deutsche Staat und weite Teile der Öffentlichkeit den 8. Mai in diesem Geist begehen.“

Nostra culpa, nostra maxima culpa

Bischof Bätzing meint weiter, daß dieses Dokument der Deutschen Bischofskonferenz einem „Schuldbekenntnis“ gleichkomme, wobei natürlich Erinnerungen an das Schuldbekenntnis der evangelischen Kirche gleich nach dem Kriege aufkommen. Die Bischöfe kritisieren das Verhältnis der katholischen Amtskirche zum Nationalsozialismus. Das damalige Handeln der Kirche habe unter anderem an der „traditionellen Lehre vom gerechten Krieg“, einer gesellschaftlichen Akzeptanz des Militärischen, dem  Verhältnis von Kirche und Nation und der „grundlegenden Ablehnung des Kommunismus“ gelegen. Die Seelsorge im Dritten Reich habe vor allem dem eigenen Volk gegolten, während die „Leiden der Anderen“ aus dem Blick geraten seien. Da ist natürlich seine Warnung nicht überraschend, daß sich „der alte Ungeist der Entzweiung, des Nationalismus, des ‚völkischen‘ Denkens und autoritärer Herrschaft“ wieder erhebe. Wer aus der Geschichte gelernt habe, müsse dem mit „größter Entschiedenheit entgegentreten“, das gelte auch besonders für die Kirche.

Ökumenische Schuldsolidarität

Angesichts eines solchen Textes, mit dem man heutzutage als Student der politischen Wissenschaften oder auch der Geschichte in einer Seminararbeit ganz sicher gute Noten bekäme, könnte man spöttisch bemerken, daß nun auch die deutschen katholischen Bischöfe da angekommen sind,wo ihre evangelischen Amtsbrüder bereits am 19. Oktober 1945 in ihrem „Stuttgarter Schuldbekenntnis“ standen und selbstverständlich seither stehen. Und sie stehen damit ganz sicher in der langen Reihe derer, denen es in eigener Wahrnehmung wegen ihrer „späten Geburt“ nicht vergönnt war, mutig gegen das Unrecht aufzustehen um dann als Märtyrer des Glaubens und der Menschenrechte in die Geschichte einzugehen, mehr noch, zur Ehre der Altäre erhoben zu werden. Denn ganz sicher wären sie, hätten sie nur damals bereits gelebt, mutig gegen das Unrecht aufgestanden. Ihnen eignet die Tragik der späten Geburt, was sie niederdrückt. Erheben können Sie sich jedoch über diejenigen, welche die Tatsache ihrer späten Geburt als Gnade empfinden, Gnade deswegen, weil sie eben nicht vor die Existenzfrage Widerstand und Tod oder Gehorsam und Leben gestellt werden konnten.

Doch das greift zu kurz. Natürlich ist es zunächst einmal gegenüber den deutschen Katholiken jener Zeit anmaßend und ungerecht, ihr zweifelsfrei mehrheitlich ablehnendes Verhältnis zum Nationalsozialismus in ein opportunistisches Mitläufertum umzufälschen. Da lohnt sich zunächst einmal ein Blick auf die Fakten:

Wie ist es denn gewesen, um mit Leopold von Ranke zu fragen?

Das Wahlverhalten der Deutschen bei den Reichstagswahlen zeigt deutlich, daß die NSDAP in katholisch geprägten Regionen kaum gewählt wurde. Das zieht sich durch von der ersten Reichstagswahl mit Beteiligung der NSDAP am 4. Mai 1924 bis zur letzten Reichstagswahl am 5. März 1933. Natürlich ging dieses Wahlverhalten zu einem guten Teil auf den Einfluß des Papstes und der deutschen Bischöfe auf das Kirchenvolk zurück. Zu den Wesensmerkmalen der katholischen Kirche gehört von alters her ihr streng hierarchischer Aufbau und daraus folgend eine strikte Glaubensdisziplin. Was von der Kanzel herab gepredigt wurde, war nicht nur in den eigentlichen Glaubensdingen, sondern allgemein verbindlich. Das erstreckte sich auch auf die Politik. Noch in den fünfziger und sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts war es üblich, daß katholische Pfarrer von der Kanzel herab nahezu unverblümt die Wahl der Unionsparteien ihren Gläubigen als einzig denkbare Wahl eines Katholiken vorgaben. Das war in den zwanziger und dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts mit Sicherheit nicht anders, eher noch ausgeprägter. Und so muß man auch die von allen Kanzeln herab verlesene Enzyklika Pius XI. „Mit brennender Sorge“ als kirchenamtlich verbindliche Stellungnahme zum nationalsozialistischen Regime verstehen. Für jeden Katholiken war damit klar, daß in Deutschland der Antichrist herrschte.

Dabei blieb es nicht. In die Geschichte eingegangen ist der Bischof von Münster, Clemens August Graf von Galen, mit seinen Predigten gegen den Ungeist des NS-Regimes. Das hat ihm seinerzeit den Ehrennamen “ Löwe von Münster“ eingetragen. Daß er sich nicht in die lange Reihe der katholischen Märtyrer jener Zeit einreihen mußte, dürfte nicht zuletzt auf die Fürsprache des populären und von Hitler bewunderten Jagdfliegers Werner Mölders zurückzuführen sein. Bei all seiner Menschenverachtung war der Diktator doch auch bestrebt, populär zu sein, auch wenn er nicht mehr auf Wahlen angewiesen war. Eine Vielzahl von katholischen Geistlichen büßte indessen ihr Eintreten für die Menschenrechte, insbesondere die vom Regime verfolgten Juden, Christen, Dissidenten, aber auch die Opfer der Euthanasie, mit dem Leben. Ca. 160 Diözesanpriester, 60 Ordensmänner, vier Ordensfrauen und 110 Laien fielen den Justizmorden des Regimes zum Opfer. Namen wie Pater Alfred Delp, Dompropst Bernhard Lichtenberg, aber auch der an den Folgen der KZ-Haft gestorbene Pater Rupert Mayer stehen für die Vielzahl der katholischen Geistlichen, die dem Regime die Stirn geboten und dafür mit ihrem Leben bezahlt haben. Nicht zuletzt muß bemerkt werden, daß auch Oberst Graf Stauffenberg Katholik war, was seinem moralischen Kompaß Weisung gab.

Ein Urteil aus berufenem Munde

Albert Einstein, ein Zeitzeuge, an dessen Geisteskraft und Urteilsfähigkeit jene spätgeborenen Bekritteler der katholischen Bischöfe jener Tage nicht entfernt heranreichen, wird im Time Magazin Dezember 1940 mit den Worten zitiert: „Nur die katholische Kirche protestierte gegen den Angriff Hitlers auf die Freiheit und die Menschenrechte. Ich hatte nie ein besonderes Interesse an der Kirche. Jetzt aber fühle ich eine große Liebe und Bewunderung für sie.“

Galten für die Bischöfe damals die moralischen Prinzipien unserer Zeit? 

Widerspruch fordert der Vorwurf der Bischöfe an ihre seinerzeitigen Amtsvorgänger heraus, sie hätten dem Krieg kein eindeutiges ‚Nein‘ entgegengestellt, sondern hätten sogar den Willen zum Durchhalten gestärkt. Sie hätten sich an der traditionellen Lehre vom gerechten Krieg, einer gesellschaftlichen Akzeptanz des Militärischen, dem Verhältnis von Kirche und Nation und der grundlegenden Ablehnung des Kommunismus orientiert.

Pflicht zum Widerstand?

Man verlangt also allen Ernstes, die deutschen Bischöfe hätten etwa nach dem 1. September 1939 von der Kanzel herab Hitler auffordern sollen, die Kampfhandlungen einzustellen und den Rückzug aus Polen zu befehlen. Sich also dem Vorwurf der Wehrkraftzersetzung, des Landesverrats und was sonst noch jeder regimetreue Staatsanwalt seinerzeit mit leichter Hand in eine Anklageschrift hätte schreiben können, auszusetzen. Gewissermaßen statuieren die deutschen Bischöfe nun eine Pflicht zum Widerstand. Das läßt sich vom im übrigen gut dotierten Amtsstuhl herab in der Umgebung eines demokratischen Rechtsstaates leicht sagen.

Aus der Zeit gefallene Kritik an der Gesellschaft eines Zeitalters

Völlig unhistorisch ist die Kritik daran, daß die Kirche gegen Ende des Krieges den Willen zum Durchhalten gestärkt habe. Abgesehen davon, daß es wohl zur seelsorgerischen Aufgabenstellung gehört, den Soldaten im Kriege seelischen Beistand zu geben, ganz unabhängig davon, aus welchen politischen Gründen sie Entbehrung, Not und Gefahr ertragen müssen, muß man natürlich danach fragen, welche Alternative denn bestanden habe. Sollten etwa Bischöfe und Priester dazu aufrufen, die Waffen niederzulegen oder zu desertieren? Und ist es nicht absolut unhistorisch, die  gesellschaftliche „Akzeptanz des Militärischen“ zu beklagen? In einer Zeit, in der die Uniform in allen Ländern dieser Erde als das „Ehrenkleid der Nation“ bezeichnet wurde und kein König jemals „ohne“ auftrat? Was soll die abfällige Bemerkung über das Verhältnis von Kirche und Nation? War das etwa ebenso wie die Akzeptanz des Militärischen nicht etwa gesellschaftliche Realität in allen Staaten und Völkern jener Zeit? Und was, bitte schön, hat die Deutsche Bischofskonferenz gegen die grundlegende Ablehnung des Kommunismus einzuwenden? War und ist nicht der Kommunismus einer der konsequentesten und grausamsten Feinde der katholischen Kirche? Und was ist daran zu beanstanden, daß die Seelsorge im Dritten Reich vor allem dem eigenen Volk gegolten habe, während die so mitfühlend formulierten „Leiden der Anderen“ aus dem Blick geraten seien? Ist denn etwa der Bischof von Münster nicht erst einmal der Seelsorger der Gläubigen seiner Diözese? Muß er sich nicht etwa in erster Linie ihnen zuwenden? Und sind im übrigen nicht viele katholische Geistliche seinerzeit auch für die sogenannten „Anderen“ eingetreten?

Die Lehre vom gerechten Krieg war auch die Lehre der Kirche

Und nicht zuletzt: war die „traditionelle“ Lehre vom gerechten Krieg seinerzeit nicht schon seit Jahrhunderten die feste Überzeugung nicht nur der Philosophen, Juristen und Politiker, sondern auch der religiösen Autoritäten? Man muß wohl den deutschen Bischöfen in Erinnerung rufen, daß diese Lehre etwa von Augustinus mit Nachdruck vertreten wurde. Seine Gedanken zum gerechten Krieg wurden im Jahre 1140 in die päpstliche Gesetzessammlung „Decretum Gratiani“ aufgenommen und galten für die katholische Kirche verbindlich immerhin bis zum Jahr 1917. Augustinus hat damals immerhin erklärt, wenn die christliche Religion die Kriege überhaupt für sündhaft hielte, so würde das Evangelium den heilsamen Rat geben, die Waffen abzulegen und dem Kriegsdienste durchaus zu entsagen. Das tue es aber nicht, sondern es werde da gesagt: „Es fragten ihn [Jesus] auch Soldaten: ‚Was sollen wir tun?‘ Er sprach zu ihnen: ‚Plündert nicht und erpresst niemand! Seid zufrieden mit eurem Sold!“ (Lk 3, 14). Kann man der Kirche ihr staatstragendes Verhältnis auch zum Militär und Krieg vorhalten, wenn es doch über die Jahrhunderte hin üblich war, die Waffen zu segnen und für den Sieg zu beten? Doch es ist typisch für das Geschichtsverständnis des Juste Milieu unserer Tage, zu dem auch die katholischen Bischöfe unbedingt gehören wollen, die Menschen früherer Zeiten an den moralischen Maßstäben unserer Zeit zu messen, Maßstäben, die sie selbst aufgestellt haben.

Wer die ewigen Wahrheiten gegen den Zeitgeist tauscht, tauscht auch die Ewigkeit gegen die Vergänglichkeit der Zeit

Auch diese Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz fügt sich nahtlos in die Zeitgeistgläubigkeit ein, die an die Stelle des Glaubens getreten ist. Doch wer braucht eigentlich eine steuerfinanzierte NGO, die sich wenig für das Seelenheil ihrer Gläubigen, aber sehr viel für modische politische Trends wie Klima, Migration und Genderei interessiert? Die Mitgliedschaft bei den Grünen kostet deutlich weniger als die Kirchensteuer. Und man bekommt dafür das Original und nicht die schlechte Kopie. Vielleicht liegt auch darin eine Erklärung für den rapiden Rückgang der Mitgliederzahlen beider christlichen Kirchen in Deutschland. Wie man sieht, arbeiten die katholischen Bischöfe daran, daß dies so weitergeht.




Übergriffig

Wem Gott gibt ein Amt, dem gibt er auch Verstand. Dieses alte Sprichwort gibt natürlich nicht so sehr die Wirklichkeit wieder, als die Erwartungen, die man eben in die Fähigkeiten eines Menschen setzt, dem eine verantwortungsvolle Aufgabe übertragen worden ist. Josef Schuster übt nun seit gut fünf Jahren das verantwortungsvolle Amt eines Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland aus. Der Internist aus Würzburg ist zweifellos ein kluger Mann. Er äußert sich häufig und vertritt energisch die Interessen seiner Religionsgemeinschaft. Da kann es nicht ausbleiben, daß er mit seinen Äußerungen schon mal daneben liegt. Wer arbeitet, macht Fehler. Wer viel arbeitet, macht mehr Fehler. Nur wer die Hände in den Schoß legt, macht gar keine Fehler, sagte einst Alfred Krupp.

Der Stein des Anstoßes

Besonders gefährdet ist in dieser Beziehung natürlich jeder, der Interessen zu vertreten hat. Da überzieht man schon einmal. Genau das ist Josef Schuster nun passiert. Kurz zum Sachverhalt: Zur diesjährigen Ruhrtriennale, die an sich vom 14. August bis zum 20. September 2020 stattfinden sollte, und inzwischen wegen der Corona-Krise abgesagt worden ist, war als Ehrengast der Historiker und Politikwissenschaftler Achille Mbembe aus Kamerun eingeladen. Sein Hauptarbeitsgebiet ist – wenig überraschend – der Postkolonialismus. Naturgemäß befasst er sich mit den diversen Spielarten des Rassismus, möglicherweise auch nur solchen Erscheinungen, die man darunter subsumieren kann oder auch nicht. Jedenfalls handelt es sich bei ihm um einen weltweit angesehenen Wissenschaftler. In Deutschland wurde er unter anderem mit dem Geschwister-Scholl-Preis und dem Ernst-Bloch-Preis ausgezeichnet. Eine weitere Ehre ist die Albertus-Magnus-Professur an der Universität Köln. Mbembe wird allerdings vorgeworfen, sich antisemitische Positionen zu eigen gemacht und insbesondere die israelische Politik gegenüber den Palästinensern mit der seinerzeitigen südafrikanischen Apartheid verglichen zu haben. Mbembe weist das zurück.

Jagt sie fort, sie hat einen Antisemiten eingeladen!

Josef Schuster glaubte darauf in der Weise reagieren zu müssen, daß er nichts weniger als die Entlassung der Intendantin der Ruhrtriennale, Stefanie Carp, forderte. Aus seiner Sicht ist es wohl unverzeihlich, einen Ehrengast einzuladen, den er für einen antisemitischen Lautsprecher hält. Dabei scheint es völlig gleichgültig zu sein, mit welchem Thema sich dieser Ehrengast bei dieser Veranstaltung befassen wird, und welche Themen der Wissenschaftler sonst bearbeitet. Er ist eben mit dem Makel des Antisemiten behaftet, jedenfalls in den Augen von Herrn Schuster. Und weil das so ist, kann man nicht bei der Forderung stehen bleiben, diesen Ehrengast wieder auszuladen, oder zumindest darauf hinzuwirken, daß sein Vortrag ohne antisemitische Tendenzen auskommt. Nein, die Chefin der Festspiele muß gefeuert werden. Drunter geht es nicht. Wer einen Antisemiten einlädt, ist vermutlich selber eine.

Emotionen trüben das klare Denken

Natürlich muß man sich fragen, was einen an sich klugen und besonnenen Mann reitet, derartig daneben zu greifen. Sicher kann man gut verstehen, daß jemand als Jude, Präsident des Zentralrates zumal, nicht nur von Amts wegen, sondern aus tiefstem Herzen den Antisemitismus verabscheut und sich ihm überall entgegenstellt. Doch offenbar neigen Menschen wie Herr Schuster dazu, hier zu überziehen. Wo die Emotionen überwiegen, hat die kühle Überlegung keinen Platz. Wer gewissermaßen von Amts wegen den Antisemitismus bekämpft, neigt dazu, in jedem Kritiker der israelischen Politik einen verkappten Wiedergänger der Nazis zu erkennen. Und dann fühlt man sich dazu berufen, das vermeintliche Übel mit Stumpf und Stiel ausrotten zu müssen. Und so versteigt man sich dann dazu, nicht nur einen weltweit angesehenen Wissenschaftler als Antisemiten zu brandmarken, wo es vielleicht noch anginge, ihn insoweit als umstritten zu bezeichnen, sondern auch den Kopf der Intendantin zu fordern, die es gewagt hat, einen solchen Menschen zu ihrer Veranstaltung einzuladen.

Warum so etwas nicht geht

Das ist übergriffig. Es ist übergriffig insoweit, als man sich anmaßt, über die Besetzung einer Position im kulturellen Leben zu entscheiden, über die eben demokratisch gewählte Politiker zu entscheiden haben. Es ist übergriffig auch insoweit, als man sich die Deutungshoheit über den Begriff des Antisemitismus anmaßt, den zu definieren keineswegs exklusiv die Sache der Juden ist, sondern der als menschenverachtende Ideologie eben von der Menschheit insgesamt definiert und bekämpft werden muß. Es geht eben nicht an, daß eine Gruppe, auch nicht die der Betroffenen, insoweit exklusiv die Richtung vorgibt, und der Rest der Menschheit sich danach zu richten hat. Der historische Holocaust und die Lehren daraus gehören, wenn man diesen Begriff hier benutzen kann, weder den Nachfahren der Opfer, noch der Täter allein, sondern wie die Geschichte überhaupt allen Menschen. Sie alle haben dies in ihrem kollektiven Gedächtnis. Sie alle tragen die Verantwortung dafür, daß sich derartiges nicht wiederholt. Das unabhängig davon, welche Gruppe von Menschen künftig das Opfer einer solchen Ideologie werden könnte. Und somit ist es übergriffig, darüber alleine verfügen zu wollen und den Verantwortlichen für die Besetzung einer Position wie der Chefin der Ruhrtriennale anzusinnen, diese Dame wegen mangelnder Antisemitismusresistenz in die sprichwörtliche Wüste zu schicken.


Corona: Kurs halten oder „Faktencheck“ ?

Seit dem 23. März dieses Jahres setzen die Regierungen von Bund und Ländern dem aggressiven Virus eine Strategie entgegen, die letztendlich auf Quarantänemaßnahmen hinausläuft. Durchbrochen wird das lediglich durch die Aufrechterhaltung lebensnotwendiger Funktionen wie der Gesundheitsfürsorge, der öffentlichen Verwaltung, des Verkehrs und der Lebensmittelversorgung. Das alles jedoch möglichst unter Einhaltung eines Abstandes von wenigstens eineinhalb Metern von Mensch zu Mensch. Dafür hat sich der Begriff des „Lockdown“ eingebürgert. Es ist eben nahezu in allen Lebensbereichen die Schließung verfügt. Unstrittig ist auch, daß die Politik dies nach bestem Wissen und Gewissen auf der Grundlage des Rates von Virologen und Epidemiologen tut. Und ebenso unstrittig ist, daß wir Bürger uns ausnahmslos daran halten. Das ist eigentlich selbstverständlich, denn Gesetze sind nun einmal einzuhalten.

Die Lage ändert sich, daran muß sich das Handeln ausrichten

Doch dabei kann es nicht bleiben. Unabhängig davon ist die Lage jederzeit zu prüfen und gegebenenfalls neu zu beurteilen. So wird kein Unternehmen einfach weiter planmäßig produzieren, wenn der Abverkauf drastisch zurückgeht. Es ist dann eben eine neue Lage eingetreten. Nichts anderes kann für die Maßnahmen zur Eindämmung oder gar zur Überwindung der aktuellen Coronakrise gelten.

Es leuchtet grundsätzlich ein, daß die geeignete Maßnahme gegen die Ausbreitung einer Infektionskrankheit die Unterbrechung der Infektionsketten ist. Das ist ja auch der Grundgedanke, der allen Quarantänemaßnahmen zu Grunde liegt. Diese Überlegung liegt ja auch der Empfehlung der führenden Virologen zugrunde, den Lockdown anzuordnen. Und die Ergebnisse sind bis jetzt auch durchaus ermutigend. Die Ansteckungsrate verlangsamt sich, insbesondere die sogenannte Reproduktionsrate. Konnte ursprünglich noch ein infizierter Mensch bis zu sechs andere anstecken, so ist das auf eins zu eins und darunter gesunken.

Fragen zu Ursache und Wirkung

Doch gerade in diesem Zusammenhang läßt die Meldung aufhorchen, daß nach den Feststellungen des Robert-Koch- Instituts eben diese Kurve bereits unter die eins zu eins Linie gesunken ist, bevor am 23.03.2020 die weitgehende Stilllegung des öffentlichen Lebens in Kraft getreten ist. Diese Linie wird bereits am 20. März nach unten geschnitten und die Reproduktionsrate verharrt seither darunter, wenn sie auch in den letzten Tagen von 0,7 auf 0,9 gestiegen ist.

Sterben nun mehr Leute als zuvor?

Eine weitere Meldung läßt ebenfalls aufhorchen. So ist der Hessenschau vom 21.04.2020 zu entnehmen, daß die Corona-Pandemie in Hessen bislang nicht zu einer höheren Gesamt-Sterberate geführt hat. Im Gegenteil: die Zahl der Verstorbenen war zuletzt etwas niedriger als im langjährigen Durchschnitt. Corona macht sich nach dem Sprecher des hessischen Landesprüfungs- und Untersuchungsamts im Gesundheitswesen in der Sterbekurve bisher gar nicht bemerkbar, auch nicht in den höheren Altersgruppen.

Verbreitung der Infektionen mit und ohne Lockdown

Geradezu verblüffend aber ist das Ergebnis einer Untersuchung des israelischen Professors Isaac Ben Israel, die am 16.04.2020 veröffentlicht worden ist. Der Wissenschaftler hat die Verlaufskurven weltweit überprüft, und sowohl für die gesamte Welt als auch für einzelne Länder dargestellt. Er untersuchte die Zahl der neuen Infektionen, die Verdoppelungsrate und die tägliche Zunahme von Infektionen im Verhältnis zur Gesamtzahl. Auf dieser Grundlage fragt er, ob sich das Corona Virus seit seinem Auftreten weiter exponentiell ausgebreitet hat. Die Antwort lautet: „Nach sorgfältiger Überlegung ist die Antwort einfach negativ. Die Ausbreitung des Virus beginnt natürlich mit einer exponentiellen Steigerungsrate, setzt sich dann moderat fort und läßt dann nach etwa acht Wochen schließlich nach.“ Und weiter: „Es stellt sich heraus, daß ein einfaches Muster – rapide Zunahme der Infektionen, die einen Gipfel in der sechsten Woche erreicht und dann ab der achten Woche abflacht – allen Ländern gemeinsam ist, in denen diese Krankheit entdeckt worden ist, unabhängig von ihren Bekämpfungsstrategien. Einige verfügten einen strengen und sofortigen Lockdown, der nicht nur den sogenannten sozialen Abstand und die Vermeidung von Menschenansammlungen beinhaltete, sondern auch den Stillstand der Wirtschaft (wie Israel); andere „ignorierten“ die Infektion und ließen zumeist das normale Leben weiterlaufen (solche wie Taiwan, Korea oder Schweden), und manche griffen eingangs zu einer milden Verfahrensweise, wandelten diese aber bald in einen vollständigen Lockdown um (so wie Italien oder der Staat New York). Unabhängig davon geben die erhobenen Daten ähnliche Konstanten für all diese Länder hinsichtlich des zunächst schnellen Wachstums und des Rückgangs der Krankheit.“ Professor Ben-Israel zeigt dazu beeindruckende Kurven hinsichtlich des Verlaufs in den Staaten Italien, Deutschland, Frankreich, Österreich, Schweden, Großbritannien, USA und Israel. Über einen Zeitraum von ca. sieben Wochen fallen sie alle parallel von zwischen gut 30 und knapp 40 % der akkumulierten Zahl der Infektionen auf zwischen 2 und 7 % ab. Interessant dabei ist unter anderem, daß auch die Kurve für Schweden nicht wesentlich anders verläuft, als die für die anderen Staaten. Bekanntlich hat sich Schweden gegen einen Lockdown entschieden.

Aus den Verlaufskurven lernen

Natürlich, so Professor Ben Israel weiter, reduziert ein vollständiger Lockdown die Verbreitung des Virus. Dennoch, wie vorhin gezeigt, stellen wir einen ähnlichen Verlauf des Rückgangs der Infektion auch in den Ländern fest, die keinen vollständigen Lockdown durchgesetzt haben. Die Schlussfolgerung des Wissenschaftlers geht dahin, daß angesichts der Evidenz des Rückganges der Erkrankungen auch ohne den vollständigen Lockdown die seitherige Verfahrensweise aufgegeben und der Lockdown rückgängig gemacht werden sollte. Gleichzeitig wird dazu geraten, mit Maßnahmen fortzufahren, die geringe Kosten verursachen, wie etwa das Tragen von Schutzmasken, die Ausweitung der Tests für bestimmte Bevölkerungsgruppen und das Verbot von Massenansammlungen.

Stirbt man an oder mit Corona?

Zu den wesentlichen Gesichtspunkten, die das Ausmaß einer Seuchenbekämpfung oder der Unterbindung von Infektionen bestimmen, gehört natürlich auch, wie tödlich der Krankheitsverlauf tatsächlich ist. In den vergangenen Wochen haben wir gerade aus Ländern wie Italien, Spanien und den USA erschreckend hohe Todeszahlen gehört. Allerdings waren diese Zahlen bisher nicht auf der Grundlage von Obduktionsergebnissen zu Stande gekommen. Nun hat der Hamburger Pathologe Professor Klaus Püschel 100 Tote obduziert, die als Patienten in die Kliniken eingeliefert worden waren, weil sie mit dem Virus infiziert waren und schwere Krankheitsverläufe aufwiesen. Professor Püschel stellte fest, daß sie samt und sonders an teils erheblichen, häufig multiplen, Vorerkrankungen litten und im Durchschnitt über 80 Jahre alt waren. Natürlich ist auch jeder dieser Toten zu beklagen. Und natürlich muß auch alten und vielfach kranken Menschen jegliche medizinische Hilfe zuteil werden. Allerdings fragt man sich auch, ob solche Patienten nicht auch dann keine Überlebenschance mehr haben, wenn sie statt mit dem Corona Virus mit einem anderen Influenza Virus infiziert werden, oder zu den vorhandenen Vorerkrankungen eine sonstige weitere Krankheit kommt.

Erst mal was tun ist natürlich richtig

Das Problem zu Beginn der Coronakrise war, daß eine neuartige Infektionskrankheit sich rasch ausbreitete, gegen die es weder einen Impfstoff, noch ursächlich wirkende Medikamente gab. Die naheliegendste Strategie zur Eindämmung, wenn nicht gar nachhaltigen Bekämpfung der Krankheit war natürlich die Unterbrechung der Infektionsketten. Schon die Pest um die Wende vom 15. und 16. Jahrhundert konnte letztendlich durch strengste Quarantänemaßnahmen letztendlich zum Verschwinden gebracht werden. Und deswegen war es richtig, alle erfolgversprechenden Maßnahmen erst einmal zu ergreifen. Dies gilt umso mehr, als es die vornehmste Pflicht, ja die Daseinsberechtigung des Staates überhaupt ist, Leben und Gesundheit seiner Bürger zu schützen.

Hinzulernen ist unumgänglich

Jedoch gilt in allen Lebenslagen dann, wenn es darum geht etwas zu bewirken oder etwas zu verhindern der Grundsatz, daß stets und fortlaufend geprüft werden muß, welche Maßnahmen sinnvoll und zielführend sind, und welche neuen oder anderen Maßnahmen hinzutreten oder gar an die Stelle derjenigen treten müssen, die sich als nicht zweckmäßig oder gar unnütz erwiesen haben. Dies gilt ganz besonders dann, wenn, um hier ein naheliegendes Bild zu benutzen, die verabreichte Medizin schwere Nebenwirkungen hat. Das ist ja der Fall. Die wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise werden erheblich sein. Die unglaublichen Summen, die aufgewandt werden müssen, Unternehmen und Bürger über die finanziellen Folgen des Lockdown hinüber zu retten – es geht zunächst einmal bereits um Hunderte von Milliarden Euro – müssen ja letztendlich von allen Bürgern bezahlt werden, voraussichtlich vorwiegend von der Generation unserer Kinder. Darüber besteht allseits Einvernehmen. Die Mittel zur Bekämpfung der Infektionskrankheit sind drastisch. Es werden eine Reihe von Grundrechten der Bürger eingeschränkt, teilweise nahezu suspendiert. Somit ist ganz offensichtlich eine besondere Sorgfalt geboten.

Der verfassungsjuristische Dreiklang; geeignet, erforderlich und verhältnismäßig

Deutschland ist ein demokratischer Rechtsstaat. Alle Maßnahmen, die der Gesetzgeber und die Exekutive ergreifen, um der Infektionskrankheit die Stirn zu bieten, müssen den Anforderungen genügen, die nach unserer Verfassung auch in solchen Fällen gestellt werden müssen. Das gilt natürlich zunächst in formaler Hinsicht. Nur wenn Gefahr im Verzug ist, kann zunächst die Exekutive nahezu alles tun. Dann aber sind die Parlamente zuständig. Das scheint derzeit zumindest nicht eindeutig durchgehalten zu werden. Jedenfalls gibt es einschlägige Warnungen von Verfassungsjuristen. Für die Einschränkung oder gar Suspendierung von Grundrechten gilt nach allgemeiner Meinung der Verfassungsjuristen, daß diese drei Kriterien genügen müssen. Die Maßnahmen müssen zunächst geeignet sein, das erstrebte Ziel zu erreichen. Das ist natürlich eine Frage, die nur auf der Basis des fachlichen Rats der Wissenschaftler, im vorliegenden Falle der Virologen und Epidemiologen, von Politikern und Juristen entschieden werden kann. Als junger Rechtsanwalt habe ich gelernt, daß die Arbeit des Juristen am Sachverhalt beginnt. Nur wenn der Sachverhalt eindeutig feststeht, kann er einer rechtlichen Bewertung zu Grunde gelegt werden. Hier eben die Frage, ob eine bestimmte grundrechtsbeschränkende Maßnahme dazu geeignet ist, die Verbreitung der Infektionen zu unterbinden, zumindest aber nachhaltig einzudämmen. Die zweite Frage des Juristen  an den Sachverständigen geht dann dahin, ob die Maßnahme auch erforderlich ist, um das angestrebte Ziel zu erreichen, oder ob nicht eine weniger einschneidende Maßnahme das gleiche Ergebnis zeitigen kann. Auch das kann der Jurist bzw. Politiker nicht aus eigenem Wissen beantworten, sondern dazu benötigt er die fachliche Bewertung. Die dritte Frage bei der Prüfung, ob eine grundrechtsbeschränkende Maßnahme rechtlich zulässig ist, ist die nach der Verhältnismäßigkeit. Das ist eine genuin juristische Frage. Es sind die Vor- und Nachteile abzuwägen, insbesondere sind die betroffenen Rechtsgüter in den Blick zu nehmen. Entspricht es dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, eines überschaubaren Vorteils wegen die Grundrechte vieler Bürger zu suspendieren oder eine schwere Wirtschaftskrise mit der Folge sozialer Unruhen, gar der Gefährdung des bisherigen Standes der medizinischen Versorgung der Bevölkerung in Kauf zu nehmen? Sicherlich wird man als Politiker oder Jurist auch hier wissenschaftliche Beratung in Anspruch nehmen, etwa der Wirtschaftswissenschaften.

Ohne tägliches Update geht es nicht

Vor allem aber ist es unumgänglich, alle neuen Erkenntnisse, sei es über den Krankheitsverlauf, sei es über die Todesursachen, sei es über die epidemiologischen Auswirkungen von Maßnahmen, sei es über ihre wirtschaftlichen Auswirkungen, täglich zur Kenntnis zu nehmen, zu prüfen und daraus die notwendigen Schlussfolgerungen zu ziehen. Die Erkenntnisse, zu denen die oben erwähnten Wissenschaftler gekommen sind, müssen selbstverständlich auch von den Wissenschaftlern in ihre Überlegungen einbezogen werden, die derzeit die verantwortlichen Ratgeber der Politik sind. Gegebenenfalls ist dieser Ratgeberkreis um weitere Wissenschaftler zu erweitern. Nur der handelt verantwortlich, der die Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit seiner Maßnahmen täglich überprüft, und zwar ergebnisoffen. Die Politik sollte sich im übrigen auch darüber im klaren sein, daß die Dinge nun einmal öffentlich ablaufen. Jeder kann sich über den Verlauf der Krise auf den Internetseiten der einschlägigen wissenschaftlichen Institutionen wie des Robert-Koch-Instituts informieren. Die beteiligten Wissenschaftler legen ihre Erkenntnisse öffentlich dar. Inzwischen kennt nahezu jeder Bürger die Gesichter der führenden Virologen. Es kann auch jeder die Bedenken nachlesen, die von Verfassungsjuristen öffentlich geäußert werden. Kurz und gut, es findet die demokratische Kontrolle statt, weil eben nicht geheim informiert, verhandelt und entschieden wird. Der Kenntnisstand des interessierten Bürgers ist jedenfalls so gut, daß er mindestens die Plausibilität der Maßnahmen prüfen kann, die von der Politik angeordnet werden. Ein einfaches „weiter so“ wäre aber keinesfalls plausibel. 

Corona – lernen wir daraus?

Die Corona-Krise ist sicherlich die größte Herausforderung für unser Land seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Sie lehrt uns, bisher für selbstverständlich gehaltenes zu hinterfragen. Sie zeigt uns die Verletzlichkeit unseres hochkomplexen Gesellschafts-,Staats-, und Wirtschaftssystems. Sie zeigt uns allerdings auch die Versäumnisse der Vergangenheit. Daraus sollten wir lernen.

Klar ist, daß die Regeln eingehalten werden

Es ist ganz sicher nicht richtig, sich den Maßnahmen zur Eingrenzung der Infektionen mit dem Corona Virus zu verweigern, weil man etwa glaubt, sie seien falsch oder gar schädlich. Man mag so etwas meinen. Auch in dieser Lage gilt das Grundrecht auf Meinungsfreiheit uneingeschränkt. Aber dieses Recht gewährleistet nur, daß man eine Meinung nicht nur haben, sondern auch äußern kann, egal ob sie richtig oder falsch, irreführend oder zielführend, wertvoll oder wertlos ist. Dieses Grundrecht geht aber nicht darüber hinaus, insbesondere gibt es niemandem das Recht, geltende Gesetze und Verordnungen zu ignorieren oder gar zu sabotieren. Alles andere bedeutete Anarchie und Chaos. Daran kann niemand ein Interesse haben.

Es werden manche Grundrechte eingeschränkt, die Meinungsfreiheit nicht

Ebenso wichtig ist es allerdings, daß die Meinungsfreiheit uns Bürgern auch erlaubt, Fehler und Versäumnisse der Regierungen und Parlamente anzusprechen. Wesensmerkmal der Demokratie ist es nach unserem Grundgesetz nun einmal auch, daß Regierungen in freien Wahlen abgewählt werden können. Daraus folgt, daß die öffentliche Kritik an ihren Maßnahmen stets zulässig ist, solange sie Kritik bleibt und nicht etwa zum Ungehorsam gegen rechtmäßig zustandegekommene Gesetze, Verordnungen und Verwaltungsmaßnahmen aufruft. Man könnte auch sagen, kritische Loyalität zeichnet den mündigen Staatsbürger aus. Er hält sich auch an die Gesetze, deren Abschaffung er fordert. Und das selbst dann, wenn es daran auch fundierte Kritik von Verfassungsjuristen gibt. Denn, und darin sind sich alle, auch die kritischsten, Verfassungsjuristen einig: Der Widerstandsfall nach Art. 20 Abs. 4 GG liegt bei weitem nicht vor.

Die Krise traf ein völlig unvorbereitetes Land

Kritik ist auch gegenwärtig notwendig. Wir haben mit Erstaunen festgestellt, wie unvorbereitet die Corona-Krise unser Land getroffen hat. Nicht nur, daß die Ausbreitungsgeschwindigkeit und die Gefährlichkeit des Erregers zunächst von Politik und Medien unterschätzt, ja kleingeredet wurden. Es hat sich leider herausgestellt, daß es so gut wie keine Vorsorgemaßnahmen wie etwa eine angemessene Bevorratung von Schutzausstattung, Notfallpläne für die rasche Vermehrung von Klinikkapazitäten, und das Hochfahren der Arzneimittelproduktion in Deutschland gab. Ebensowenig gab es Planungen für die Unterbrechung der Infektionsketten durch Einschränkung oder Unterbindung menschlicher Kontakte. Man mußte den Eindruck gewinnen, daß die Politik hektisch auf die sich täglich verschlimmernde Lage zu reagieren versuchte. Es scheint bis heute so, daß die Entscheidungen von den Wissenschaftlern getroffen werden, die doch eigentlich lediglich beratend tätig sein sollen und wollen. Die Virologen und Epidemiologen sind offenbar weit über ihr Fachgebiet hinaus gefordert, entsprechen diesen Herausforderungen aber auch, indem sie zum Beispiel sich auch Gedanken darüber machen, inwieweit die vorgeschlagenen Maßnahmen verhältnismäßig sind, auch und gerade mit Blick auf die Volkswirtschaft. Denn wir wollen ja nicht in dem Wasser ertrinken, mit dem wir das Feuer löschen.

Man hätte sich vorbereiten können

Das ist deswegen so erstaunlich, weil zu Beginn der Krise bereits seit sieben (!) Jahren die Bundestagsdrucksache 17/12051 vorlag, die indessen offensichtlich in irgendwelchen Schubladen vor sich hin vergilbte, wie das bei Gutachten und Expertenpapieren nun einmal so üblich ist. In diesem Expertenbericht werden zwei Katastrophenszenarien vorgestellt, ihre Ursachen, ihr Verlauf und die notwendigen Maßnahmen zu ihrer Bewältigung beschrieben. Das eine ist eine Hochwasserkatastrophe, und das andere ist eine Epidemie, ausgelöst durch ein Virus aus der Corona-Familie. Das Szenario ist beeindruckend, der Verlauf der Katastrophe, insbesondere hinsichtlich der Sterblichkeitsrate erschreckend, und reicht weit über das hinaus, was wir derzeit erleben. Allerdings verbreitet sich das Virus in diesem Szenario weitaus schneller, als es bei uns derzeit zu beobachten ist. Aber es wird in diesem Expertenpapier auch vorgeschlagen, was in einem solchen Falle zu tun ist, vor allem, wie die Vorbereitung für eine solche Lage aussehen sollte. Auf Seite 73 des Gutachtens wird gefordert, wie die Krankenhäuser sich auf eine solche Pandemie vorbereiten sollten, und es wird darauf hingewiesen, daß die Herstellung von Medizinprodukten, persönlichen Schutzmasken und ähnlichem in Deutschland sichergestellt sein muß. Also all das, was die Wissenschaftler nunmehr von der Politik fordern. Sie haben es auch damals schon gefordert, denn an der Erstellung dieser Bundestagsdrucksache hat unter anderem das Robert-Koch-Institut mitgewirkt. Geschehen ist allerdings nichts.

Die Gesetze sind längst da

Das ist auch deswegen so erstaunlich, weil schon seit Jahrzehnten außer dem Bundesimmissionsschutzgesetz, das die rechtliche Handhabe für Maßnahmen der Behörden unter Einschränkung einer Reihe von verfassungsmäßigen Grundrechten im Katastrophenfall wie dem vorliegenden, das Bundesleistungsgesetz gibt, auf Grund dessen die dann notwendige Ausrüstung auch im Wege der Beschlagnahmung bei den Unternehmen beschafft werden kann. Dieses Gesetz ist für Ausnahmesituationen wie den Verteidigungsfall, aber auch nationale Katastrophen, geschaffen worden. In der Zeit des kalten Krieges wurde das sogar geübt. Infrage kommende Unternehmen hatten dann zum Beispiel LKWs oder Baumaschinen aufgrund eines Leistungsbescheides zur Verfügung zu stellen. Gegebenenfalls wurden auch die Maschinenbediener zum Wehrdienst mit einberufen. Auf diese Weise war es möglich, die Bundeswehr von ihrer Friedensstärke – 495.000 Mann – auf ihre Kriegsstärke – 1,3 Millionen Mann – zu bringen und vor allem auch mit Fahrzeugen und Gerät auszurüsten. Mit dem typischen Soldatenhumor nannten wir damals derartig ausgerüstete Truppenteile „Coca-Cola Bataillon“, denn die zivilen Fahrzeuge wurden erst gar nicht mit olivgrüner Farbe getarnt, sondern blieben wie sie waren. Das hatte nebenbei durchaus eine Tarnwirkung, denn man konnte davon ausgehen, daß die feindliche Luftaufklärung „zivil“ lackierte LKWs nicht als militärische Einsatzfahrzeuge identifizieren würde.

Die Politik hat versagt

Was wir also erlebt haben, ist ein Versagen der Politik. Trotz Kenntnis gerade des wirklich eingetretenen Katastrophenszenarios seit sieben Jahren, und trotz Vorhandensein der gesetzlichen Instrumente wurde keinerlei spezifische Vorsorge für diesen Fall getroffen.

Was wir daraus lernen

Was lernen wir daraus? Neben der reichlich redundanten Erkenntnis, daß die grundsätzliche Unzulänglichkeit des menschlichen Geistes eben auch den Politikern eigen ist, doch vor allem eins: es muß eine Grundausstattung an medizinischer Schutzkleidung, Schutzmasken und notwendigem Gerät wie etwa Beatmungsvorrichtungen vorgehalten werden. Es muß dafür gesorgt werden, daß im Katastrophenfall die Produktion dieser Dinge rasch hochgefahren werden kann, und zwar in Deutschland und nicht etwa in China oder Indien. Wir dürfen nicht davon abhängig sein, daß Lieferungen aus dem Ausland zur rechten Zeit und in ausreichendem Umfang erfolgen. Natürlich muß die Vorhaltung solcher Produktionskapazitäten in der Industrie, aber auch die Möglichkeit, Kliniken rasch für die Katastrophenmedizin zu optimieren, mit entsprechender finanzieller Entschädigung der betroffenen Unternehmen einhergehen. Dies wird dann immer noch weitaus weniger Geld kosten, als wir heute für die Folgen der verschleppten Pandemie ausgeben, und vor allem für die Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen noch ausgeben müssen. Und nicht zuletzt werden wir sorgfältig zu prüfen haben, wer sich an verantwortlicher Stelle in dieser Lage bewährt hat oder auch nicht. Daraus werden wir dann Konsequenzen ziehen. Die Corona-Krise wird enden, die Demokratie nicht.


Die AfD verspielt ihre Wählbarkeit

Als Angela Merkel ihre desaströse Währungspolitik in der Euro-Krise für alternativlos erklärte, war die Stunde gekommen, diese nicht nur unlogische, sondern auch antidemokratische Erklärung mit der Gründung einer neuen Partei zu beantworten. Schließlich gibt es nach den Gesetzen der Logik in jedem Falle eine Alternative. Ob sie richtig oder falsch ist, steht auf einem anderen Blatt. Vor allem aber kann es in einer Demokratie niemals nur eine einzige Möglichkeit des politischen Handelns geben. Immer muß es Alternativen geben, denn der Demokratie ist es gerade wesenseigen, die Vor- und Nachteile unterschiedlicher Handlungsoptionen abzuwägen. Nahezu immer gibt es unter den Bürgern wie auch ihren gewählten Vertretern unterschiedliche Auffassungen über den richtigen Weg, zuweilen auch über das anzustrebende Ziel. Eine Regierungschefin, die ihre Handlungsweise für alternativlos erklärt, bekundet damit gewollt oder ungewollt auch ihre Verachtung für den demokratischen Entscheidungsprozeß.

Die Alternative besetzte ihren Platz

Es nimmt deshalb nicht Wunder, daß die neu gegründete Partei die Anmaßung der Alternativlosigkeit demonstrativ in ihre Namensgebung aufnahm und sich ausdrücklich als „Alternative für Deutschland“ bezeichnete. Weil Frau Merkel gleichzeitig die Unionsparteien immer weiter nach links rückte, denn sie hielt dies für politisch opportun, öffnete sie auf der rechten Seite des politischen Spektrums ein immer größer werdendes Vakuum, in das die neue politische Alternative eindringen und zur größten Oppositionspartei im Deutschen Bundestag werden konnte, und das gerade einmal vier Jahre nach ihrer Gründung. Obgleich die anderen Parteien sie zunehmend und immer bösartiger werdend als politischen Paria behandelten, bewirkte allein ihre Existenz doch, daß die von ihr vertretenen Anliegen insbesondere in der Europa- und Migrationspolitik von den Regierungsparteien aufgegriffen und durchaus auch in ihrem Sinn entschieden wurden. Das gilt vor allem für die Migrationspolitik. Insoweit konnte die AfD der Mehrheitsmeinung in weiten Teilen eine Stimme geben.

Der Störenfried versalzt die Suppe

Störend wirkte allerdings die organisatorische Verfestigung und zunehmende Radikalisierung des rechten Flügels der Partei, der sich dann auch mit einer gewissen Chuzpe ganz offiziell als „Flügel“ bezeichnete und begann sich zur Partei in der Partei zu entwickeln. Die dort vertretenen Positionen machten es auch möglich, daß der Verfassungsschutz seine Beobachtung bekannt machen konnte. Ob dem am Ende die Gerichte folgen werden, kann man natürlich heute nicht sagen, vor allem deswegen nicht, weil es sich hier ja auch um einen dynamischen Prozeß handelt. Je mehr sich Höcke, Kalbitz und Consorten in Richtung NPD entwickeln, umso eher werden die Gerichte ihrer Beobachtung durch den Verfassungsschutz zustimmen.

Die heilsame Operation

Es wurde daher allgemein als gutes Zeichen angesehen, daß der Bundesvorstand der Partei mit überwältigender Mehrheit (elf Pro, eine Contra, eine Enthaltung) die Auflösung des sogenannten Flügels verlangte, und Höcke dem auch nachzukommen versprach. Diesem ersten Schritt in die richtige Richtung ließ dann der Parteivorsitzende Prof. Jörg Meuthen in einem Interview am 1.4.2020 den logischen zweiten Schritt folgen und plädierte dafür, daß die Anhänger des Flügels die Partei verlassen sollten. Denn es gebe doch schon lange in der Partei zwei Parteien, eine freiheitlich-konservativ-marktwirtschaftlich ausgerichtete Mehrheit und eben den völkisch-etatistisch-kollektivistisch ausgerichteten Flügel. Aus diesen Kreisen hört man ja auch die Eigendefinition „national-sozial“, was nun einmal sprachlich eine fatale Nähe zu „national-sozialistisch“ aufweist. Auch inhaltlich ist das nicht sehr weit von den Vorstellungen der Nationalsozialisten entfernt, was ja auch mit der von Meuthen gewählten Formulierung zutreffend beschrieben wird. Die Existenz dieser Strömung in der Partei führte jedoch nicht nur zur Beobachtung durch den Verfassungsschutz, sondern stand der weiteren Entwicklung zur Volkspartei entgegen. Mehr als 15 % konnten die Umfragewerte auch in den besten Phasen nicht erreichen. Seither sinken sie, und das nicht nur wegen der alles überstrahlenden Corona-Krise. Zu diesem Thema später.

Die stalinistische Selbstkritik eines Vorsitzenden

Um so überraschender und auch verstörender war, daß am 6.4.2020 der Bundesvorstand bekannt gab, Jörg Meuthen habe sich von den Ausführungen in dem Interview am 1.4.2020 distanziert und Selbstkritik geübt. Das sei ein großer Fehler gewesen. Es gehe hier um die Einheit der Partei. Diese müsse auf jeden Fall gewahrt bleiben. Ich kann mich nicht daran erinnern, daß es so etwas in unserem Lande schon einmal gegeben hätte, jedenfalls nicht in der Demokratie. Wohl aber sind uns solche Vorgänge aus der Geschichte der totalitären Regime, auch in Deutschland, bekannt. Insbesondere die kommunistischen Parteien in stalinistischer Zeit kannten die öffentliche Selbstkritik von sogenannten Abweichlern, was dann auch nicht selten Stilmittel der Schauprozesse war. In einer Demokratie indessen ist das ein unmöglicher Vorgang. Sicherlich ist es normal, daß Politiker ihre Entscheidungen überdenken und korrigieren. Öffentliche Selbstkritik in diesem Stile indessen hat in einer Demokratie nichts zu suchen. Das ist Stalinismus reinsten Wassers. Unabhängig davon kann auch nicht die Einheit einer Partei ihr wichtigstes Anliegen sein. Wichtiger als die Einheit ist der politische Inhalt. Wenn eben die Abweichung einer Strömung in der Partei derart weit von der Hauptströmung verläuft, ja sogar unvereinbar damit ist, dann kann es nur die Trennung geben. Ob es für einen Parteiausschluß reicht oder nicht, ist dabei gleichgültig. Entweder wird man diese Leute über parteiinterne Wahlen los, oder sie gehen eben von selbst, weil sie einsehen müssen, daß sie mit ihren Vorstellungen innerparteilich keine Mehrheit finden, kurz gesagt, in der falschen Partei sind.

Der Flügel verschwindet, die Flügellanten bleiben

Der fatale Eindruck in der Öffentlichkeit ist, abgesehen vom stalinistischen Geruch, daß die inhaltlichen Positionen des sogenannten Flügels eben innerhalb der Partei bestehen bleiben, und somit jeder, der sie wählt, auch diese Positionen billigt, zumindest toleriert. Die von Herrn Meuthen zu Recht als freiheitlich-konservativ-marktwirtschaftlich orientierten Wähler können ihre Stimme einer Partei nicht geben, die nicht imstande ist, sich einer völkisch-etatistisch-kollektivistischen Strömung auch personell zu entledigen. Voraussichtlich wird die Partei daher in kommenden Wahlen, jedenfalls in den westlichen Bundesländern, die nun einmal rund 85 % der Wähler stellen, allenfalls die Fünf-Prozent-Hürde knapp nehmen können, wenn nicht in vielen Fällen daran auch scheitern. Das Projekt einer freiheitlich-konservativen und marktwirtschaftlichen Alternative zur unseligen Politik des Merkelismus wird dann gescheitert sein. Für Deutschland ist das keine erfreuliche Entwicklung. Ob es gelingt, den nachdenklichen bürgerlichen Wählern eine neue Alternative zur Wahl anzubieten, muß ebenso offen bleiben wie die Frage, ob sich die Union nach Merkel von ihrem fatalen Linkskurs lossagen und zu ihren Wurzeln zurückfinden kann.

Die nicht bestandene Reifeprüfung

Die politische Unreife der Vorstände und Mandatsträger der AfD zeigt sich nun leider auch im Umgang mit der Corona-Krise. Es geht einfach nicht an, vor laufender Kamera in Sitzungen des Bundestages und der Landesparlamente demonstrativ eng beieinander zu sitzen, wenn ganz Deutschland den empfohlenen „sozialen Abstand“ einhält. Und es geht nicht an, daß Politiker wie der bayerische AfD-Abgeordnete Hansjörg Müller öffentlich erklären: „88 % der Corona-Toten, die aus Italien gemeldet sind, sind keine Corona-Toten. Da werden andere Tote untergeschoben, um die Statistik nach oben zu jubeln. Und selbst von den 12 %, die dann noch übrig bleiben, sind die meisten nicht an Corona gestorben, sondern mit Corona.“ Abgesehen von dem unangemessen flapsigen Sprachgebrauch ist eine solche Äußerung absolut unvertretbar. Zum einen gibt der Herr Abgeordnete nicht an, aus welcher Quelle er diese Erkenntnis hat, insbesondere ob es sich dabei um eine wissenschaftlich seriöse Quelle handelt. Man kennt das von den Verschwörungstheoretikern, die derzeit ja überall um die Ecke kommen. Und zum anderen fehlt es an einer Auseinandersetzung mit den Erkenntnissen der Wissenschaft, die uns nun einmal von den Fachleuten vermittelt werden. Etwa diese: „Letztendlich führt diese Corona-Virus-Infektion dazu, daß man eine Lungenentzündung kriegt, im schlimmsten Fall ein Lungenversagen und darauf basierend an Herzversagen stirbt. Aber die Ursache ist ganz klar die Infektion mit dem Corona Virus.“ (Prof. Ulrike Protzer, TU München). Davon unberührt bleibt natürlich, daß auch die Opposition gemeinsam mit der Regierung nach den richtigen Maßnahmen zur Krisenbewältigung sucht und diese auch diskutiert. Das hat aber im Parlament und in Gremien zu geschehen, und zwar ganz ohne Besserwisserei.

Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern…

läßt Schiller die Eidgenossen auf dem Rütli schwören. Und das trifft die Lage, die von Not und Gefahr für die Gemeinschaft geprägt ist. Da wollen wir nicht nur, da müssen wir sein ein einig Volk.

Es mag ja sein, daß es auch andere wissenschaftlich vertretbare, vielleicht sogar am Ende bessere Strategien im Kampf gegen die vom Corona-Virus ausgelöste Krankheit Covid-19 gibt. Vielleicht wird das irgendwann von den Virologen so gesehen, oder auch nicht. Was aber gar nicht geht, ist eine Verweigerungshaltung in der Situation, in der Staat und Gesellschaft alle Kräfte aufbieten und anspannen müssen, der ungeheuren Gefahr zu begegnen, die in Gestalt dieses Virus aufgetreten ist. Der französische Präsident Macron hat die Situation mit dem Kriegsfall verglichen. In einer solchen Situation versammelt sich ein Volk hinter seinen verantwortlichen Regierenden, seien sie demokratisch gewählt oder nicht. Ein Beispiel aus der Geschichte. Bekanntlich stand die Sozialdemokratie in einem scharfen politischen Gegensatz zum Kaiser und der bürgerlich-konservativen Regierung. Als jedoch der Erste Weltkrieg ausbrach, stand Deutschland jedoch über die politischen Lager hinweg geschlossen hinter dem Kaiser. Deswegen konnte er dann am 4.8.1914 im Reichstag sagen: „Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche.“ In dieser Situation kann man vernünftigerweise nichts anderes tun, als den dazu noch auf wissenschaftlichem Rat beruhenden Anweisungen der Regierung geschlossen Folge zu leisten. Denn alles andere würde diese Maßnahmen verwässern und damit ihren Erfolg schon deswegen gefährden. Und ganz sicher ist keine Zeit, in einer solchen Situation noch wochenlange Diskussionen zu führen, bis man dann endlich zu einem Entschluß gelangt und beginnt ihn umzusetzen. In der Zwischenzeit gehen den Kliniken die Beatmungsgeräte und den Bestattern die Särge aus. Das sollte eigentlich auch politischen Neulingen klar sein. Wer anders handelt, muß sich nicht wundern, wenn sich seine Umfragewerte im freien Fall befinden.


Therapie-Empfehlung

Die aktuelle Lage rund um die Corona-Krise legt es nahe, sich auch hinsichtlich anderer Probleme einer Metaphorik aus dem medizinischen Vokabular zu bedienen. Die Patienten in diesem Falle heißen AfD und Demokratie.

Die Amputation

Zur Sache. Der Bundesvorstand der AfD hat mit begrüßenswerter Klarheit – von 13 Vorstandsmitgliedern 11 ja, 1 nein, 1 Enthaltung – entschieden, daß sich der „Flügel“ um Björn Höcke unverzüglich, das heißt bis zum 30.04.2020, aufzulösen hat. Das ist angesichts der organisatorischen Verfestigung, die diese Partei in der Partei im Laufe der Zeit erreicht hat, ein realistisches Datum. Es genügt ja nicht, diesen Beschluß mit einem braven Kopfnicken zu quittieren. So begrüßenswert, ja überfällig dieser Schritt nicht nur aus der Sicht der bürgerlichen Parteimitglieder, die ja nun ganz offensichtlich die große Mehrheit der Mitglieder stellen – das Abstimmungsergebnis im Bundesvorstand läßt ja an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig – sondern auch im Sinne der Millionen von bürgerlichen Wählern und Sympathisanten der Partei auch ist: es kann sich dabei nur um den ersten Schritt auf dem Weg zu einer grundsätzlich für jedermann wählbaren Partei handeln. Der demoskopisch gemessene dramatische Niedergang ihrer Zustimmungswerte sollte ihre Führung aufrütteln. Ein :“Weiter so!“ kann nur zum Marsch in die Bedeutungslosigkeit führen. Die „Republikaner“ lassen grüßen.

Das politische Corona-Virus

Genau das, nämlich die Klarstellung der Bürgerlichkeit und Aussonderung der völkischen Nostalgiker, fürchtet allerdings das linksliberale Lager von Union bis Grüne mitsamt seiner Hilfstruppen in den Medien von ARD bis SZ wie der Teufel das Weihwasser. Und deswegen folgte diesem Schritt unverzüglich die Sprachregelung, wonach das am rechtsextremen Charakter der AfD als Ganzes nichts ändere, vielmehr davon ausgegangen werden müsse, daß die rechtsextremen Netzwerke um Höcke und Kalbitz jetzt eben von innen heraus ohne die Farben des „Flügels“ im Wappen zu führen, die Macht in der Partei übernehmen würden. Und das sei noch viel gefährlicher als die bisherige Lage, weswegen der Verfassungsschutz nun die AfD als Ganzes zu beobachten und selbstverständlich alsbald zur Beurteilung als verfassungsfeindlich zu kommen habe. In seiner grenzenlosen Dummheit und Überheblichkeit hat Höcke dieser Denkfigur auch noch reichlich Nahrung gegeben, indem er im Interview mit seinem Mentor Kubitschek genau solche Phantasien abgesondert hat.

Wenn dir dein rechtes Auge zum Ärgernis wird, so reiß‘ es heraus

In Anlehnung an die zitierte Bibelstelle Matth. 5, 29 und mehrfach redundant bei anderen Evangelisten kann man der AfD nur raten, sich solcher Figuren wie Höcke und Kalbitz schnellstmöglich zu entledigen, idealtiter bei den nächsten parteiinternen Wahlen, aber auch ungeachtet der bekannten Rechtsprobleme mit Parteiausschlussverfahren, solche Verfahren gegen diese parteischädigenden Gestalten aus dem Gruselkabinett der deutschen Politik und Politikgeschichte umgehend einzuleiten, allein schon wegen der Außenwirkung solcher Verfahren. Manchmal klappt das ja auch, wie die Fälle der dubiosen Fürstin Sayn-Wittgenstein und des bizarren Julius Streicher Wiedergängers Wolfgang Gedeon zeigen, eines Arztes, der wohl selbst der Therapie bedarf, allerdings aus der Fachrichtung Psychiatrie.  

Die Psychose     

Am Fall AfD zeigt sich allerdings auch, wie krank die Demokratie in Deutschland ist. Seit der von Frau Merkel ausgelöste und stetig forcierte Linksruck der Unionsparteien die deswegen naturgemäß zu erwartende Gründung einer neuen Partei rechts von der Union, dort, wo sie selbst einst stand, ausgelöst hat, seit diesem Tag bekämpft die Union diese Partei mit allen, wirklich allen Mitteln. Daß sie sich dabei gerne von den Parteien des linken Spektrums helfen läßt, zeigt nur das Ausmaß ihrer Panik. Die AfD wäre gut beraten, wenn sie sich zum Thema Umgang mit politischer Konkurrenz etwa mit der Geschichte der Bayernpartei, insbesondere ihrer erfolgreichen Marginalisierung durch die CSU Ende der 50er Jahre befassen würde. Wie man mittels der sog. Spielbankenaffäre eine konkurrierende Partei kriminalisiert, selbstverständlich ohne, daß dies im Einzelnen gerichtsfest nachgewiesen werden kann, auch wenn ein ehemaliger Generalsekretär fortan mit dem Spitznamen „Old Schwurhand“ jahrzehntelang durch die Medien geistert, das kann man alles nachlesen, und man kann sich seine Gedanken über Parallelen in unseren Tagen machen. Denn die einhellige, faktenwidrige Diffamierung als rechtsextrem, unmoralisch, rassistisch, inhuman etc. pp., kann nur auf einem strategischen Masterplan beruhen, der selbstverständlich ebenso informell wie praktisch verbindlich das Handeln und Reden der politisch-medialen Kaste unseres Landes bestimmt. Wie anders kann es möglich sein, daß marktbeherrschende Presseerzeugnisse von FAZ bis WELT sich weigern, eine Anzeige der AfD, in der sie sich unzeifelhaft zum Grundgesetz bekennt, abzuzdrucken? Lieber auf den erklecklichen Umsatz mit einer ganzseitigen Anzeige verzichten, als von der Einheitslinie abzuweichen. Die Ketzerei darf nicht einmal auf den Anzeigenseiten Platz greifen. Bei Meidung der ewigen Verdamnis aus dem Paradies des Guten, Wahren und Schönen, nein, das geht wirklich nicht. Daß eine solche Haltung bei mir eine tiefempfundene Verachtung auslöst, will ich nicht verschweigen. Die natürliche Folge des Ekels ist, daß man sich übergibt. Sonst nimmt der Körper Schaden. Als Demokrat ekelt mich ein solches Verhalten eben an, ebenso wie die allen demokratischen Regeln Hohn sprechende „Anullierung“ der Wahl des Thüringischen Ministerpräsidenten im Februar dieses Jahres. 

Ein demokratisches Therapeuthikum wird gesucht!

Ralph Giordano hat Franz Josef Strauß einst als Zwangsdemokrat bezeichnet. Das wurde ihm dann zu recht von den Verwaltungsgerichten verboten, das Verbot später jedoch vom Bundesverfassungsgericht unter Hinweis auf die Meinungsfreiheit aufgehoben. Doch könnte Frau Merkel nach alledem erfolgreich gegen jemanden klagen, der sie und ihre politischen wie medialen Unterstützer als Scheindemokraten bezeichnete?

Was unsere Demokratie dringend braucht, ist Besonnenheit, das freie Wort und Ehrlichkeit. Eiferer wie Höcke und Co. haben da ebensowenig verloren wie Sykophanten und Speichellecker. Ein Hinweis gerade für überzeugte „Europäer“, tatsächlich nur Jubelperser der Fehlkonstruktion EU: anderswo in Europa ist das politische Spektrum tatsächlich bunt. Alle Spektralfarben sind da auch in der Politik zu sehen, und keiner stört sich dran. Bei uns hingegen sollen jedoch nur die rot-grünen Farbtöne wahrnehmbar sein, mit ein bißchen Nostalgiegelb als Erinnerung an die demokratischen Anfangszeiten. Armes Deutschland!

Corona – nüchtern betrachtet

Das Corona-Virus, um die populäre Bezeichnung zu benutzen, bestimmt das Denken und Handeln weltweit. Kaum ein Land, das nicht betroffen ist, aber auch kaum ein medial aktiver Zeitgenosse, der dazu nichts zu sagen hat. Experte, Politiker oder Journalist, – natürlich m/w/d – soviel sprachliche political correctness muß ja sein, weil kaum noch jemand richtig deutsch kann und z.B. den generisch maskulinen Plural richtig als Bezeichnung für beide oder von mir aus alle biologischen Geschlechter versteht, vielleicht auch nur mißverstehen will, um darauf sein/ihr arg versalzenes politisches Süppchen zu kochen. Soviel Feministinnen/Grünen/Pseudo-Intellektuellen-Bashing muß auch sein.

Die Lage

Doch nun zur Sache. Unbestreitbar haben wir es mit einer Pandemie zu tun. Das Virus verbreitet sich global mit atemberaubender Geschwidigkeit. Ungebremst – auf die Bremsen kommen wir noch – vermag es sich 1:3 zu verbreiten, das heißt, ein Infizierter kann drei weitere Personen anstecken, was in der nächsten Runde eben bereits neun weitere Infizierte ergibt, also bis dahin einschließlich des Ersten 1 + 3 + 9 = 13 und so fort, 40, 160….. Die bekannte Geschichte vom Erfinder des Schachspiels, der sich zur Belohnung von seinem König nur ein Paar Weizenkörner erbat, nämlich auf alle 64 Felder des Schachbretts beginnend auf dem ersten ein Korn, auf dem zweiten zwei und dann immer weiter mit der Verdppelung, was am Ende die Kornvorräte des Reichs bei weitem nicht ausreichen ließ, muß hier nicht zu Ende erzählt werden. Nur, daß es in diesem Falle noch wesentlich drastischer ist, weil es nicht „nur“ um die Verdoppelung, sondern um die Verdreifachung der jeweils erreichten Menge geht. Deswegen sehen wir diese atemberaubende Ausbreitungsgeschwindigkeit, wobei zusätzlich zu bemerken ist, daß die Statistiken wegen unterschiedlicher Zählweise, z.B. mit oder ohne Tote, wegen teils erheblicher Erfassungsprobleme und nicht zuletzt infolge teils nur rudimentärer und/oder nmaroder Verwaltungsstrukturen keineswegs immer aussagekräftig sind. 

Diese Lage ist dazu geeignet, Ängste, irrationale Vorstellungen und diktatorische Maßnahmen ebenso auszulösen, wie die Staaten auf die Probe zu stellen insoweit, als sie ihrer Kernaufgabe nachkommen können und müssen, elementar Daseinsvorsorge zu betreiben. Und nichts ist elementarer als die Existenz schlechthin, verfassungsrechtlich betrachtet, das Recht jedes Menschen auf Leben und Gesundheit.

Helfen uns Außenseiter der Wissenschaft oder gar Verschwörungstheorien?

Betrachten wir zunächst die Reaktionen der Bevölkerung, wie das so unschön bürokratisch zumeist formuliert wird, recte der Bürger unseres Landes. Natürlich ist das die Stunde der Verschwörungstheoretiker, aber auch der wissenschaftlichen Außenseiter. Um mit letzteren zu beginnen: Natürlich ist es legitim, ja sogar dem Wesen der Wissenschaft geschuldet, daß es Mehrheits- und Mindermeinungen gibt, daß es gar überwiegende, ja herrschende Meinungen gibt, ebenso wie Außenseitermeinungen und auch manchmal ganz neue Erkenntnissse, die sich im einen oder anderen Falle bald zur neuen herrschenden Meinung mausern. Doch wie sollen verantwortliche Politiker damit umgehen? Als forensisch tätiger Jurist bin ich gewohnt, Gutachten von Sachverständigen zu lesen, auch zu versuchen sie zu verstehen und sie letztendlich als Tatsache meiner rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legen, wenn ich sie für überzeugend halte, weil die Ermittlung der Beurteilungsgrundlagen, die wissenschaftliche Beweisführung und die darauf fußende Herleitung des Ergebnisses mir plausibel erscheinen. Nicht anders kann die Entscheidungsfindung verantwortlicher Politiker verlaufen, und ich habe den Eindruck, daß dies derzeit auch so ist. 

Der Wert wissenschaftlicher Expertise

Gerade weil ich Sachverhalte und Problemstellungen, zu deren Beurteilung Fachkenntnisse erforderlich sind, über die ich selbst nicht verfüge, eben nur nach diesen Grundsätzen beurteilen kann, sind andere Lösungsansätze für mich nicht überzeugend. Was seriöse wissenschaftliche Mindermeinungen angeht, so vermnag ich erst einmal nicht zu beurteilen, ob es sich dabei tatsächlich um solche und nicht um Scharlatanerie handelt. Handelt es sich tatsächlich um seriöse wissenschaftliche Meinungen, so wird sich irgendwann herausstellen, ob sie richtig oder falsch sind. So lange kann man aber gerade in einer Krisenlage nicht warten. Da muß schlicht und einfach gehandelt werden, und zwar rasch. Es gilt der alte militärische Grundsatz, daß ein falscher Entschluß immer noch besser ist, als kein Entschluß. Und so mag es auch in diesem Falle so sein, daß wir in einigen Jahren wissen, ob die verantwortlichen Politiker weltweit in der Corona-Krise richtig oder falsach gehandelt haben. Wir werden dann wohl auch wissen, ob man etwa mit Nichtstun – Theorie der Herdenimmunität – besser oder schlechter gefahren wäre. 

Vergleichbares und nicht Vergleichbares

Unbrauchbar ist auch der Hinweis auf die wirklich hohen Opferzahlen der Influenza, aber auch auf die Verbreitung der Erkältungsgrippe. Letztere ist ja nicht viral verursacht. Sie verläuft auch in aller Regel harmlos, so die Lebenserfahrung. Die Influenza hingegen wird durch Virus-Infektion übertragen. Doch unbeschadet der ständigen jährlichen Mutation des Grippevirus gibt es dagen jährlich neue und wirksame Impstoffe. Und es gibt Medikamente zur Behandlung der Erkrankten. Somit ist der Vergleich mit der durch das Corona-Virus verursachten Krankheit „Covid-19“ reichlich schief, allenfalls dazu geeignet, die Unterschiede deutlich herauszustellen, was ja im übrigen das Wesen des Vergleichs ist. Auch der Hinweis darauf, daß in Deutschland täglich ohnehin ca. 2500 Menschen eines natürlichen Todes sterben, und daneben die Opfer von Covid-19 kaum noch ins Gewicht fallen, ist unzulässig. Denn zum einen würde die Zahl der Erkrankten und damit die Zahl der Toten exponentiell steigen, würde die Infektionsrate nicht wenigstens wenentlich verlangsamt, und zum anderen führt der Verlauf von Covid-19 zu einer noch nie dagewesenen Zahl von Patienten, die einer intensiven klinischen Behandlung bedürfen, was über kurz oder lang das Gesundheitssystem eines Landes überfordern kann, wie man das derzeit u.a. in Italien leider sehen muß.  

Warum Verschwörungstheorien nie etwas taugen können

Für völlig unbrauchbar halte ich alle Verschwörungstheorien. Darunter fallen natürlich Erklärungen wie die von den finsteren „Finanzfaschisten“, die Finanzwelt beherrschenden Juden, geheimnisvollen, global agierenden Trusts und ähnliche Sottisen. Allen ist gemeinsam, daß sie ohne irgendwelche Beweise oder auch nur Beweisangebote vorgetragen werden. Man kann das eben glauben oder nicht, so wie man glauben kann, nach dem Tode in der Hölle zu landen, wenn man religiöse Speise- bzw. Bekleidungsvorschriften nicht einhält, oder ein Unglück zu erleiden, wenn man an einem Freitag, dem 13. aus dem Hause geht. Wen derartiges umtreibt, dem ist halt nicht zu helfen.

Das Dilemma der Abhängigkeit von Experten

Daß wir auch in dieser Krise vom fachlichen Urteil der Experten abhängen, ist einerseits mißlich, andererseits auch beruhigend. Beruhigend deswegen, weil wir nun einmal in einer Gesellschaft leben, die auf Rationalität beruht, und die deswegen auch – jedenfalls seit der Aufklärung – ihre Entscheidungsprozesse rational, logisch und wissensbasiert organisiert hat. Mißlich deswegen, weil wir in unserer Gesamtheit eben diesem rationalen Urteil unserer Experten unterworfen sind, und mangels besseren Wissens nur auf dieser Grundlage entscheiden und handeln können. Denn damit bleibt immer ein Rest Ungewissheit, zumal wir ja das Erfahrungswissen haben, daß wissenschaftliche Erkenntnisse sich immer wieder wandeln können. Doch die Alternativen sind eben keinesfalls akzeptabel. Aberglaube, Wunderglaube und diffuse Ahnungen taugen eben nicht als Entscheidungsgrundlagen, vor allem dann nicht, wenn es um die Existenz, um Sein oder Nichtsein geht.

Die vorübergehende Einschränkung von Grundrechten ist rechtens

Der Rat der Experten, bis zur Verfügbarkeit von Impfstoff und Medikamenten die Verbreitung der Infektion mit dem Corona-Virus durch weitgehende Unterbindung sozialer Kontakte und damit dem nahezu vollständigen Stillstand des gesellschaftlichen Lebens und vor allem der Wirtschaft zu verhindern, führt natürlich auch zu einer erheblichen Einschränkung unserer Grundrechte. Nicht unerwartet haben Bürger unseres Landes bereits von ihrem Recht Gebrauch gemacht, gegen entsprechende Maßnahmen des Staates die Verwaltungsgerichte anzurufen. Ebenso erwartbar haben die Gerichte durchweg entschieden, daß die angefochtenen grundrechtsbeschränkenden Maßnahmen rechtens sind. Besondere Lagen erforden eben besondere Maßnahmen. Man muß nicht soweit gehen wie der französische Präsident Macron und feststellen, daß wir uns im Krieg befinden, im Krieg mit einem unsichtbaren, heimtückischen und äußerst gefährlichen Feind. Doch genau deswegen ermöglicht das Bundesinfektionsschutzgesetz als ultima ratio auch solche Maßnahmen, die mit der Einschränkung von Grundrechten wie des Rechts auf Feiheit (Art. 2 Abs. 2 GG), des Rechts auf Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 2 GG), das Post- und Fernmeldegeheimnis (Art. 10 GG), des Rechts auf Freizügigkeit (Art. 11 GG) und der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG) verbunden sind. Das sind in der Tat schwerwiegende Eingriffe in unsere Freiheitsrechte, die unsere Vorfahren einst hart erkämpfen mußten. Doch ist es ebenso offensichtlich, daß eine Gesellschaft im Angesicht der Gefahr zusammenstehen muß, und wenn es sein muß, alle Kräfte zur Abwehr des Feindes aufbietet. Vergessen wir nicht, daß es vor noch nicht allzu langer Zeit absolut selbstverständlich war, zur Abwehr der existentiellen Bedrohung des Gemeinwesens durch äußere Feinde auch das eigene Leben einsetzen zu müssen. Man nannte das Krieg. Aus eben diesem Grunde verlangen unsere Gesetze in solchen Ausnahmefällen wie Krieg (Notstandsgesetze!) und Seuchen (Bundesinfektionsschutzgesetz) von den Bürgern außergewöhnliche Anstrengungen einschließlich des – vorübergehenden – Verzichts auf Grundrechte, wenn das zur Gefahrenabwehr notwendig und erfolgversprechend ist.

Zur Demokratie gehört auch die Disziplin

Wir wissen heute nicht ganz sicher, hoffen jedoch begründet, daß unsere Politiker von den Experten zutreffend beraten werden und deswegen auch richtig entscheiden. Als Demokraten müssen wir dann auch so konsequent sein, daß wir die Politiker, die wir durch unsere Wahl dazu bestellt haben, für unser Wohl und Wehe Sorge zu tragen, auch in dieser Aufgabe dadurch unterstützen, daß wir ihren Entscheidungen und Anordnungen nun Folge leisten, ob wir sie für richtig oder falsch halten. Denn es ist der Demokratie wesenseigen, daß die Entscheidungen der auf Zeit gewählten und mit der Entscheidungsgewalt ausgestatteten Regierenden mittelbar unsere eigenen Entscheidungen sind. Diesen Entscheidungen nicht Folge zu leisten wäre daher in höchstem Maße widersprüchlich, ganz abgesehen von der sabotierenden Wirkung solchen Ungehorsams. Wir haben uns ihnen anvertraut und ihnen Vollmacht gegeben. Videant consules sagten die Römer, wenn sie ihre Geschicke in die Hände ihrer gewählten Vertreter legten. Lassen wir sie also tun, wozu wir sie bestellt haben. Tun sie es schlecht, so können wir sie bei nächster Gelegenheit abwählen. Tertium non dabitur.

     

     

Deutschland dackelt hinterher

Nun hat sie es getan. Angela Merkel hat die Grenzen zu Frankreich, Österreich und der Schweiz geschlossen. Das hätte sie natürlich schon vor Wochen tun können, wie das andere Länder getan haben. Die Ausrede, die noch für die Untersagung von Massenveranstaltungen wie Bundesligaspiele, Popkonzerte und Parteitage wohlfeil war, hier sei der Bund gar nicht zuständig, galt dafür nie. Doch auch das ist nur ein Symptom dafür, wie kraftlos, uninspiriert und einfach schlecht dieses Land regiert wird. Der Reihe nach:

Die Blaupause

Im November 2002 brach in China die SARS-Epidemie aus. Es handelte sich um eine ähnliche Virus-Grippe wie nunmehr bei Covid-19, populär Corona genannt. Ursachen und Verlauf haben eine große Ähnlichkeit mit der Corona-Pandemie unserer Tage. Jedes Mal lag der Beginn in China. Und deswegen wurde das erst einmal vertuscht, wie das sich in Diktaturen eben gehört. Dort ist ja alles wunderbar, weil die allmächtige Partei unter Führung ihres allwissenden und begnadeten Vorsitzenden alles im Griff hat und das Glück des Volkes täglich mehrt. Allerdings hat die chinesische Regierung damals wie auch heute rigorose Maßnahmen zur Eindämmung der Ansteckungsgefahr getroffen, in einem Ausmaß, das in demokratischen Rechtsstaaten so nicht möglich ist. Auch damals sprang das Virus über die Landesgrenzen, weil eben geraume Zeit weder im Lande Quarantänemaßnahmen getroffen, noch die Grenzen geschlossen wurden. Doch als man das alles nachgeholt hatte, ging die Zahl der Erkrankungen erst in China und dann in den anderen betroffenen Ländern wie Kanada drastisch zurück und das Feuer erlosch, weil ihm der Sauerstoff ausging, um eine naheliegende Metapher zu benutzen. Im Juli 2003 war dann der Spuk vorbei.

Lessons learned

Man kann nicht sagen, daß aus dieser Pandemie keine Lehren gezogen worden wären. Auch in Deutschland nicht, wo sie sehr milde verlief. Lediglich neun Menschen hatten sich infiziert, davon starb keiner. Die Wissenschaftler gaben auch der Politik die nötigen Informationen. Diese mündeten in die Bundestagsdrucksache 17/12051 vom 03.01.2013. Sie enthält neben einer Risikoanalyse auf einem ganz anderen Gebiet, nämlich der Hochwasserprophylaxe, eine Risikoanalyse „Pandemie durch Virus Modi-SARS“. Diese Risikoanalyse wurde unter fachlicher Federführung des Robert-Koch-Instituts durchgeführt. Zugrunde liegt ein Szenario, das eine von Asien ausgehende, weltweite Verbreitung eines hypothetischen neuen Virus unterstellt, welches in dieser Studie den Namen Modi-SARS-Virus erhielt. Es beschreibt durchaus drastisch den möglichen Verlauf einer solchen Pandemie, und zwar weitaus schlimmer als dies bei der SARS-Pandemie der Fall war, die zum Zeitpunkt der Erstellung dieser Studie ja noch gar nicht bekannt war. Dennoch sind die Parallelen verblüffend. Vor allem werden darin den Politikern Vorsorgemaßnahmen und Handlungsmuster für den Fall des Ausbruchs einer solchen Pandemie an die Hand gegeben. Unter anderem empfehlen die Wissenschaftler Massenansammlungen zu vermeiden, auch die Benutzung des ÖPNV mindestens einzuschränken. Neben einer angemessenen Kommunikation mit der Bevölkerung und Information über den Verlauf gehören behördliche Maßnahmen im Gesundheitswesen wie Absonderung, Isolierung und Quarantäne zu den empfohlenen Handlungsoptionen.

Deutschland dackelt hinterher

Tatsächlich hat Deutschland nun erst Mitte März mit den behördlichen Anordnungen reagiert, die in einem solchen Fall nach den Erfahrungen mit SARS und aufgrund der Empfehlungen in der BT Drucksache 17/12051 notwendig sind. Vom Ausbruch einer neuartigen Grippeepidemie in der Art von SARS wußte man Ende Dezember 2019. Spätestens Mitte Januar 2020 war klar, daß diese neue Corona-Grippe weitaus epidemischer verlief und eine weitaus höhere Zahl von Todesopfern zu erwarten war, als seinerzeit bei SARS. Die meisten europäischen Staaten reagierten auch ähnlich wie China selbst, das sich zwar auch dieses Mal vorhalten lassen muß, in den ersten Wochen den Ausbruch der Epidemie vertuscht zu haben, dann aber rigoros die notwendigen Maßnahmen durchgeführt hat. Vor allem Österreich hat hier rasch und effizient reagiert. Auch andere europäische Staaten, Estland, Polen, Italien, Spanien, Tschechien, Frankreich und Dänemark haben zur Unterbrechung der Infektionsketten ihre Grenzen geschlossen. Deutschland war da noch lange nicht so weit. Auf der Internetseite des Bundesinnenministeriums konnte man lesen: „Nach dem Pandemieplan des Robert Koch Instituts Teil II werden sog. (sic!) Grenzschließungen nicht als sinnvoll angesehen, um eine Ausbreitung zu verhindern.“ Erst heute Nachmittag, am 15.03.2020 hat Deutschland nun die Grenzen zu Frankreich, Österreich und der Schweiz geschlossen. Immerhin.

Weltoffenheit vor Sicherheit der Deutschen

Kann es sein, daß die Schließung der Grenzen für Angela Merkel ein Schreckgespenst ist? Für die Kanzlerin der „Willkommenskultur“, der offenen Grenzen? Kann es sein, daß man an derartigen Befindlichkeiten Regierungsentscheidungen ausrichtet, die für Gesundheit und Leben der 82 Millionen Bürger dieses Landes von größter Bedeutung sind? Und wie ist das nun eigentlich mit der weiteren Aufnahme von Migranten, die sich zumeist wahrheitswidrig als politisch Verfolgte oder Bürgerkriegsflüchtlinge ausgeben, und von denen man nicht selten nicht einmal weiß, vorher sie eigentlich kommen und wer sie sind? Findet da jetzt wenigstens an der Grenze ein Coronatest statt, wie ihn jeder über sich ergehen lassen muß, der aus einer Gegend einreist, in der die Krankheit grassiert? Davon hat man noch nichts gehört.

Nichtstun statt regieren

Vor allem aber fragt man sich angesichts der mehr als zögerlichen Maßnahmen dieser Regierung, aber auch der für einen Teil der Sicherungsmaßnahmen zuständigen Landesregierungen, inwieweit die Politik dieses Landes überhaupt handlungsfähig ist. Ausgerechnet das bei weitem größte, bevölkerungsreichste, in der geographischen Mitte Europas gelegene Land mit entsprechend vielen Grenzen tut erst einmal wochenlang nichts. Man weiß zwar, daß sich das Virus von Mensch zu Mensch über Tröpfcheninfektion verbreitet und nicht etwa kilometerweit durch die Luft fliegt. Also kann die Ansteckungsgefahr in der Tat wesentlich verringert werden, wenn die Landesgrenzen eine Zeit lang geschlossen werden. Doch das scheint deutschen Politikern, denen Weltoffenheit alles, Sicherheit offenbar wenig und Abschottung ein Horror ist, nur möglich zu sein, wenn der Druck von außen übermächtig wird. Der hilflose Ruf des Innenministers nach einer europäischen Lösung ist durchaus kennzeichnend für die Befindlichkeit unserer politischen Klasse. Nur ja nichts unangenehmes selbst entscheiden. Ja, am besten sich alles von Brüssel aus vorgeben lassen. Europa ist doch die Lösung. Eben nicht, wie die Corona-Krise zeigt. Nur die Nationalstaaten sind handlungsfähig, und das ist auch gut so. Denn die Probleme sind ungeachtet des Tatbestandes einer Pandemie regional unterschiedlich, und werden daher auch am besten regional, d.h. auf der Ebene der Nationalstaaten und ihrer Untergliederungen gelöst. Darüber hinaus gibt es keine demokratisch legitimierte europäische Staatsgewalt. Nur eine solche demokratisch legitimierte europäische Staatsgewalt hätte auch einerseits eine entsprechende Verantwortung gegenüber ihren Bürgern, und zum anderen auch spiegelbildlich dazu die Akzeptanz ihrer Maßnahmen seitens eben dieser Bürger. Bei den Nationalstaaten ist das der Fall. Ihre Bürger erwarten auch von ihren Regierungen, daß sie ihren Aufgaben auf dem Gebiete der Daseinsvorsorge und der Sicherheitspolitik nachkommen. Bei anderen Ländern funktioniert das auch. In Deutschland hingegen scheint Schwäche ein Qualifikationsmerkmal für die Übernahme von politischen Führungsämtern zu sein. Eine Ablösung auf breiter Front tut not.

Was wäre Deutschland ohne die USA?

Durch die politischen Debatten in Deutschland geistert seit Jahren immer wieder eine Schimäre namens NATO-Austritt, gerne auch als politische Neutralität oder Anlehnung an Russland statt an die USA deklariert. An den politischen Rändern ist das auch Programm. Sowohl die derzeit unter dem Namen Die Linke firmierende SED als auch die nur wegen Bedeutungslosigkeit nicht verbotene NPD fordern den Austritt Deutschlands aus der NATO und fantasieren entweder von einer friedlichen Welt ohne Waffen oder von einer Verteidigung des Vaterlandes allein mit eigenen Kräften. Unabhängig vom politischen Hintergrund solcher Forderungen ist es durchaus von Interesse, die Realisierbarkeit solcher Vorstellungen nüchtern und sachlich zu untersuchen.

Die Studie des International Institute for Strategic Studies (IISS)

Dieses in Großbritannien ansässige Institut untersucht seit Jahrzehnten strategische Fragen. Seine Kompetenz ist international unbestritten hoch. Nachdem der amerikanische Präsident in der Vergangenheit Zweifel an der NATO geäußert hat, und sich aus manchen seiner Andeutungen ablesen ließ, daß er zumindest eine Reduzierung des US-Engagements in Europa erwägt, war das natürlich für die Wissenschaftler dieses Instituts Grund genug, einmal ein Szenario zu untersuchen, in dem die Verteidigung Europas ohne die USA erfolgt.

Der Angriff

Die Übungslage, um einen allen Militärs unter den Lesern vertrauten Begriff zu benutzen, geht davon aus, daß die USA   im Jahre 2021 aus der NATO ausgetreten sind. Es kommt zu erheblichen Spannungen zwischen Russland auf der einen sowie Polen und Litauen auf der anderen Seite. Nach Verletzungen des Luftraums, kleineren Schießereien an der russisch-litauischen Grenze und russischen Hackerangriffen auf Computer der polnischen und litauischen Regierung greifen russische Spezialeinheiten an und nehmen zunächst den litauischen Flughafen Kaunas ein. Zwei Wochen danach haben russische Streitkräfte alle litauischen Truppen vernichtet. Auch die deutschen Soldaten, die zur Überwachung des Luftraums und zur Abschreckung der Russen im Land waren, sind aufgerieben. Die europäischen NATO-Staaten rufen den Bündnisfall aus.

Das Verteidigungspotential Europas

Fehlende Waffensysteme

Die Beurteilung der eigenen Lage nach der niederschmetternden Beurteilung der Feindlage ist schlicht desaströs. Die europäischen NATO Partner verfügen bei weitem nicht über ausreichend Potential, vor allem Waffensysteme, aber auch Personal. Um dem Gegner einigermaßen gewachsen zu sein, müssten zusätzlich zum Bestand der europäischen NATO Partner vorhanden sein:

Heer

Luftabwehreinheiten: 72-90 Batterien, Kosten 62-78.000.000.000 $

Kampfpanzer: 2500-3750, Kosten 25-38.000.000.000 $

Schützenpanzer: 2500-3750, Kosten 13-19.000.000.000 $

Luftwaffe

Kampfflugzeuge: 264, Kosten 25-31.000.000.000 $

Marine

Zerstörer: 16, Kosten 31-33.000.000.000 $

Neben diesen Waffensystemen ist natürlich die gesamte Peripherie zu beschaffen, also Artillerie, Pioniergerät, Logistik, Informationstechnologie etc.

Woher die Soldaten nehmen?

Hinzu kommen Kosten für das notwendige Personal. Es genügt ja nicht, etwa der Bundeswehr 54 Kampfpanzer auf den Hof zu stellen, sondern man muß ja auch die Panzersoldaten dazu rekrutieren, also ein Bataillon mit rund 500 Mann. Und das 75 mal. Das Institut kommt auf notwendige Kosten für die materielle und personelle Aufrüstung der europäischen NATO Partner in Höhe von rund 357 Milliarden $. Doch damit ist es nicht getan. Die Beschaffung von Waffensystemen nimmt erfahrungsgemäß einen Zeitraum von mehreren Jahren in Anspruch. Selbst wenn man auf Neuentwicklungen verzichtet, muß in solchen Zeiträumen gedacht werden. Wesentlich problematischer ist indessen, daß die zusätzlichen Soldaten für die Bedienung der genannten Waffensysteme und ihrer Peripherie er erst einmal rekrutiert, ausgebildet und trainiert werden müssen. Um etwa einen Abiturienten zum Leutnant auszubilden, braucht man drei Jahre. Um aus ihm einen Kompaniechef zu machen, braucht man weitere 5-6 Jahre. Und um ihm die Führung eines Bataillons anvertrauen zu können, braucht man, auch wenn größter Eile an den Tag gelegt wird, weitere 8-10 Jahre. Das heißt, die Ausbildung von Soldaten bis zur Führungsebene Bataillon dauert knapp 20 Jahre. Wir wollen optimistisch sein, und das Personal für die höheren Führungsebenen Brigade, Division und Korps in der bereits vorhandenen Generalität finden, in dem wir die obersten Führungsebenen der NATO und der Mitgliedstaaten ausdünnen. Sonst bräuchten wir ja nochmal mindestens 10 Jahre mehr.  Die Menge der Soldaten, die man braucht, läßt sich vielleicht daran ablesen, daß die vom Institut geschätzten notwendigen zusätzlichen 3750 Kampfpanzer die Neuaufstellung von 75 Panzerbataillonen erfordern, bei zwei Panzerbataillonen pro Brigade und den ebenfalls erforderlichen 75 Panzergrenadierbataillonen macht das also 37-38 neue Kampfbrigaden aus, je rund 5000 Mann stark.  Dazu kommt das Personal für wenigstens sieben Divisionsstäbe und die ebenfalls benötigtenb Divisionstruppen. Auf Korpsebene gilt das gleiche. Allein um die Landstreitkräfte aufzubauen, die danach zusätzlich erforderlich sind, benötigen wir weitaus mehr als die aktuelle Personalstärke der Bundeswehr von immerhin rund 185.000 Mann. Entsprechendes gilt für die Anteile von Luftwaffe und Marine, so daß wir der Einfachheit halber sagen können, nicht einmal eine zusätzliche komplette Bundeswehr wäre ausreichend, die notwendige Verstärkung der verbliebenen europäischen NATO-Anteile darzustellen.

Weder genügend Soldaten noch genügend Zeit

Dieses Personal kann auf dem Arbeitsmarkt schlicht und einfach nicht rekrutiert werden. Die Wehrpflicht existiert nicht mehr. Abgesehen davon wird auch die notwendige Erhöhung der Verteidigungshaushalte nicht durchsetzbar sein. Schon dieses Zahlenwerk zeigt, daß Europa ohne die Hilfe der USA nicht verteidigt werden kann. Aber auch die Zeitachse zeigt überdeutlich, daß Europa ohne die USA hilflos wäre. Das Szenario spielt ja unmittelbar nach dem Ausscheiden der USA aus der NATO. Es ist nicht einmal abwegig anzunehmen, daß Russland dies zum Anlaß nehmen würde, wenn nicht gleich mit militärischer Gewalt, so doch mit diskretem Hinweis auf sein Potential seine geostrategischen Interessen im Westen durchzusetzen. Europa wäre auch viele Jahre schlicht wehrlos.

Reden wir über die Konsequenzen

Wer also von einer Auflösung der NATO fantasiert, hat entweder keinerlei Verständnis für militärische, insbesondere strategische Fakten, oder aber er will, daß sich Europa Russland unterwirft. Ob man dann als Satellitenstaat eines kulturell sicherlich ebenfalls hochstehenden, politisch indessen mindestens autoritären und außenpolitisch erwiesenermaßen rücksichtslosen Staates mit entsprechender jahrhundertelanger Tradition besser fahren würde, als mit dem Bundesgenossen USA, der noch nie etwas anderes als eine Demokratie war, allerdings sicherlich auch seine eigenen geostrategischen Interessen hat, diese bei seinen NATO-Verbündeten in der Vergangenheit jedoch nur dezent durchgesetzt hat, ist wohl nicht schwer zu beantworten.

Die politischen Ränder unseres Landes sind aus vielen Gründen für vernünftige Bürger nicht wählbar. Ein absolutes Ausschlußkriterium ist auf jeden Fall die Forderung nach einem Austritt Deutschlands aus der NATO. Quod erat demonstrandum.