Unter dieser Überschrift veröffentlichte das Hamburger Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL am 10.10.1962 einen Artikel über das soeben zu Ende gegangene NATO-Manöver „Fallex 62“. Die Verfasser, darunter der kriegsgediente Fallschirmjägerleutnant Conrad Ahlers, berichteten darin über erhebliche Mängel der Verteidigungsplanung des westlichen Bündnisses und über einen geradezu katastrophalen Zustand der Bundeswehr. (War eigentlich gerade mal sechs Jahre nach der Aufstellung dieser Armee gewissermaßen aus dem Nichts etwas anderes zu erwarten?) Das löste zunächst die sogenannte SPIEGEL-Affäre aus, über die an dieser Stelle nichts gesagt werden soll, obgleich es auch dazu einiges zu sagen gäbe. In der Folgezeit kam es jedoch zur Änderung der NATO-Doktrin, weg von der massive retaliation hin zur flexible response. Vor allem aber wurden Organisation und Ausrüstung der Bundeswehr erheblich verbessert. Unter anderem führte der erkannte Mangel an Offizieren und Unteroffizieren für die mobil gemachten Truppenteile zur Entwicklung und Umsetzung einer Reservistenkonzeption. Diese Armee hatte sich in der Zeit des Kalten Krieges zu einer durchaus ansehnlichen Truppe entwickelt, trotz aller Mängel.
Mehr als 50 Jahre nach Fallex 62 muß man jedoch feststellen, daß ein Zustandsbericht über die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr erneut unter der Überschrift „Bedingt abwehrbereit“ erscheinen müßte, eher noch mit „Nicht abwehrbereit“ überschrieben werden sollte. Denn in diesen Tagen häufen sich die Meldungen über Mängel und Lieferverzögerungen von Großgerät wie Luftfahrzeugen, Kriegsschiffen und Gefechtsfahrzeugen. Eine kurze Übersicht, basierend auf Medienberichten, die aber wegen ihrer relativ übereinstimmenden Berichterstattung einigermaßen glaubhaft erscheinen:
Der A 400 M sollte eigentlich schon seit Jahren die Transall aus den 60er Jahren abgelöst haben. zur Zeit rechnet man mit der Einsatzfähigkeit 2019. Ob bis dahin alle Mängel abgestellt sein werden, wird sich weisen.
Von den bisher mit ca. zwei Jahrzehnten Verspätung ausgelieferten 109 Eurofightern sind dem Vernehmen nach nur 42 einsatzbereit.
Der Kampfhubschrauber Tiger fliegt inzwischen zwar auch in der Truppe, muß aber alle 25 Flugstunden in die Inspektion. Meistens kann er nicht geflogen werden, denn Ende 2014 waren nur 11% der Maschinen startklar.
Nicht besser steht es um die Einsatzbereitschaft des Transporthubschraubers NH 90. Er steht derzeit überhaupt am Boden, im vergangenen Jahr waren durchschnittlich nur 17,45 % der Maschinen einsatzbereit.
Wenig gutes hört man auch von der Marineversion MH 90. So soll das vorgesehene Leistungsspektrum nicht erreicht werden.
Kaum weniger Freude machen der Bundesmarine ihre neuen U-Boote der Klasse 212 A. Es scheint, als seien Vorserienmodelle zu Entwicklungszwecken ausgeliefert worden.
Die fünf neuen Korvetten der „Braunschweig“-Klasse sind nicht nur verspätet und, wen wundert’s noch, wesentlich teurer als bestellt ausgeliefert worden, nein, die stolzen Schiffe haben auch allerhand Gebresten, vom untauglichen Getriebe bis zum Schimmel in der Klimaanlage.
Das Gruppenfahrzeug der Infanterie „Boxer“, von dem überhaupt nur kümmerliche 180 Stück an die Truppe ausgeliefert worden sind, kommt wohl ebenfalls aus den Kinderkrankheiten nicht heraus. Lediglich 70 Fahrzeuge können genutzt werden, die restlichen 110 sind in der Instandsetzung.
Der Nachfolger des SPz Marder wird ziemlich verloren in den Hallen und auf den Übungsplätzen herumstehen, denn statt der ursprünglich geplanten 1.000 Gefechtsfahrzeuge werden nur 350 angeschafft. Über die Mängel bei einsatzwichtiger Elektronik kann man aber hinwegsehen, denn im hinteren Kampfraum können auch hochschwangere Soldatinnen ihren Gefechtseinsatz absolvieren. Das paßt ja gut in das Attraktivitätsprogramm der Frau Verteidigungsministerin.
Die mangelnde Präzision des Standard-Sturmgewehrs G 36 unter Hitzebedingungen wird inzwischen von diversen Ausschüssen untersucht. Es gibt Berichte, wonach der Hersteller nach Auslieferung der Waffe an die Truppe das Material der Kunststoffbauteile durch ein billigeres ersetzt haben soll, das sich bei Hitze verzieht und damit die bekannten Einbußen bei der Treffsicherheit verursacht.
Die Personalprobleme infolge der Umstellung von einer Armee mit einem großen Anteil von Wehrpflichtigen in eine reine Berufsarmee zeigen sich immer deutlicher. Es fehlt in allen Laufbahnen an qualifiziertem Nachwuchs. Stellen können nicht besetzt werden. Anforderungen müssen zum Teil herabgesetzt werden. Nach Jahren der Fokussierung auf Einsätze im Rahmen von Missionen wie KFOR, IFOR, ISAF und ähnlichen muß festgestellt werden, daß die Fähigkeit zur Landesverteidigung auch im NATO-Verbund verlorengegangen ist, allein schon mangels Masse. Hektische Aktionen wie die Rückführung von 100 bereits ausgemusterten Kampfpanzern in die Truppe zeigen doch nur wo diese Armee inzwischen wirklich angekommen ist.
Dieser Befund bliebe aber nichtssagend, wenn er nicht zum Anlaß genommen würde, nach den Ursachen zu suchen. Sie sind leicht aufzufinden. „Im Westen nichts Neues“ heißt ein bekannter Roman über den I. Weltkrieg. „In Deutschland nichts Neues“ wäre das Kapitel über die Ursachen der Misere zu übertiteln. Die Bundeswehr stößt in unserem Lande allenfalls auf ein höfliches Desinteresse, hat ein früherer Bundespräsident zutreffend festgestellt. Ihre Entstehung verdankt sie nicht dem Wunsch eines selbstbewußten Volkes nach einer starken Armee. Vielmehr wurde sie als Beitrag der unter Kuratel der Westmächte stehenden Bundesrepublik Deutschland zur NATO aufgestellt. Das geschah gegen den erbitterten Widerstand großer Teile der Bevölkerung und der SPD. Nach dem Zusammenbruch Deutschlands 1945, dem Totalverlust seiner Staatlichkeit und der Umerziehung der Deutschen von angeblich brutalen Militaristen zu sanften Pazifisten war die Abneigung gegen alles militärische so verbreitet, daß noch im Bundestagswahlkampf 1949 der spätere Verteidigungsminister Strauß tönte: „Wer noch einmal ein Gewehr in die Hand nehmen will, dem soll die Hand abfallen!“ Das Mißtrauen der Politiker und Bürger gegen die eigene Armee war dementsprechend groß. Es führte zur strikten Trennung von Armee und Verwaltung, zum Verbot des Einsatzes der Bundeswehr im Inneren, zu einer international beispiellosen Dominanz der zivilen Seite über die militärische Führung, zu einer teilweise grotesken Abgrenzung gegenüber der Wehrmacht bis hin zum Formaldienst und der Uniform, die zunächst nur eine schlechte Kopie der amerikanischen sein durfte. Dem pazifizierten, besser gesagt, kastrierten Volk konnte die Existenz einer eigenen Armee überhaupt nur mit der Behauptung schmackhaft gemacht werden, sie solle ja nicht eingesetzt werden, sondern existiere nur, damit es zu ihrem Einsatz erst gar nicht käme. Die älteren ehemaligen Soldaten erinnern sich noch an das Motto: „Kämpfen können, um nicht kämpfen zu müssen“. Natürlich ist es jedem Soldaten lieber, wenn er nicht kämpfen muß. Aber ihm ist klar, daß er dazu da ist, zu kämpfen, wenn sein Land ihn braucht. Diese Befindlichkeit war von Anfang an insbesondere unter den Intellektuellen dieser Republik verbreitet, was angesichts des Geisteszustandes der meisten heutigen Intellektuellen auch nicht weiter wundert. So schreibt Hans-Georg von Studnitz 1967 zu diesem Thema:
„Die Deutschen, die sich an Hitler nicht mehr erinnern wollen und Stalin vergessen haben, sind weit davon entfernt zu begreifen, daß nur solche Staaten Subjekte der Politik sein können, die Macht zu bilden und auszuüben verstehen. Noch heute wissen viele Deutsche nicht, wozu die Bundeswehr geschaffen wurde, welchen Auftrag sie haben und welche Stellung sie in der als pluralistisch bezeichneten Gesellschaft einnehmen sollte. Daß sich unter den Nichtwissenden viele Intellektuelle befinden, kennzeichnet den Grad der Verwirrung in einem Land, in dem gebildete Leute sich häufiger als anderswo durch einen erschreckenden Mangel an Intelligenz auszeichnen.“
Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen außer, daß sich daran bis heute nichts geändert hat. In einem solchen Lande wird eine Armee immer allenfalls als notwendiges Übel betrachtet, für das so wenig Geld wie möglich ausgegeben werden soll und deren Soldaten bestenfalls auf das von Bundespräsident Horst Köhler so treffend formulierte freundliche Desinteresse stoßen. Das wird sich nach der Aussetzung der Wehrpflicht noch weiter zum Schlechten entwickeln. Denn wenn die allermeisten Bürger nicht mehr aus eigener Kenntnis oder den Erzählungen naher Verwandter wissen, was die Bundeswehr ist und wozu sie fähig ist, dann schwindet das Interesse an ihr und der Sicherheitspolitik immer mehr. Den führenden Industriellen liegt die militärische Stärke ihres Vaterlandes auch nicht am Herzen, vielmehr macht man mit einem solventen und wenig kritischen Kunden einfach gute Geschäfte. Man gewinnt als Politiker mit sicherheitspolitischen Themen auch keine Wahlkämpfe. Im Gegenteil. Wer durch die Lande tingelt und höhere Renten statt mehr Panzer verspricht, hat allemal die besseren Chancen gewählt zu werden als derjenige, der Geld für die Bundeswehr fordert, jedenfalls soweit damit nicht Kitas in Kasernen finanziert werden sollen.
Wird sich etwas ändern? Kaum, jedenfalls nicht zum Guten. Hier in Bundesrepublikanien.