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Euromania

Wer einer Wahnvorstellung anhängt, umgangssprachlich von einer fixen Idee besessen ist, dem entgleitet immer mehr die Wirklichkeit, bis er endgültig in seiner Traumwelt angekommen ist, der er auch nicht mehr entrinnen kann. Diesen Eindruck erwecken die führenden Politiker der Eurozone, allen voran unsere Bundeskanzlerin. Anders kann man es nicht erklären, daß gegen allen Sachverstand die sogenannten Rettungsprogramme für Griechenland fortgeführt werden. Es dürfte inzwischen in Deutschland, aber auch in den anderen Zahlmeisterländern der Eurozone bekannt sein, daß es sich bei Griechenland nicht um einen Staat im herkömmlichen Sinne handelt, sondern um ein Gebilde, das lediglich die äußere Form eines Staates aufweist. Seine Einwohner – von Bürgern will ich nicht sprechen, denn zum Bürger gehört der Bürgersinn – haben zu diesem Staatswesen ganz offensichtlich ein feindseliges Verhältnis. Dies ist sicherlich aus der Geschichte des griechischen Volkes gut erklärbar. Man hat immerhin gut 400 Jahre Joch und Knute der Osmanen ertragen und eine Überlebensstrategie entwickelt, deren Grundlage es war, die feindlichen Besatzer zu hintergehen, wo es nur ging. Gerade dabei wurde eine Klientelwirtschaft entwickelt, die im Sinne des klassischen do ut des die Gunst der Herrschenden mit der Gefolgschaft der Beherrschten erkaufte. Nur so ist es verständlich, daß auch heute noch politische Ämter im Wege der Bestechung der Wähler mittels Posten- und Arbeitsplatzvergabe erlangt werden, und die Macht mit dem Reichtum zusammengehört, weshalb dieses nur dem Namen nach als Staat firmierende Gebilde seit Jahrhunderten die Beute der griechischen Oligarchie ist, die politische Ämter und Reichtümer des Landes unter sich aufteilt, selbstverständlich selbst keine Steuern bezahlt und ihr Geld auf Schweizer Banken wohlverwahrt weiß.

Unter diesen Umständen nimmt es doch nicht wunder, wenn etwa die Bewohner griechischer Inseln sich weigern, ihre Steuereinnahmen an die Athener Regierung abzuführen, oder wenn selbst die Angehörigen der politischen Klasse für ihre längst erwachsenen Kinder noch Kindergeld kassieren, wie das jüngst im Falle der griechischen Parlamentspräsidentin (!) bekannt geworden ist. Demgemäß darf es auch keine Liegenschaftskataster und Grundbuchämter geben, ebensowenig wie eine Steuerfahndung. Denn dann könnte ja irgendwann eine Regierung auf den Gedanken kommen, auch die Reichen des Landes zu besteuern. Doch selbst bei Vorliegen der technischen Voraussetzungen dürfte das kaum eintreten, denn dazu müßte sich ja erst einmal die kollektive Mentalität des Volkes fundamental ändern.

Es liegt also auf der Hand, daß keine von der derzeitigen oder auch einer künftigen griechischen Regierung versprochene Reform umgesetzt werden kann. Denn dazu fehlen sowohl die technischen Voraussetzungen als auch der politische Wille des Volkes.

Wir müssen davon ausgehen, daß unsere Politiker all dies wissen. Denn diese Dinge sind allgemein bekannt. Selbst wenn die Politiker nicht selbst Sachbücher und Zeitungen lesen sowie die Wissensmagazine der Rundfunkanstalten in Anspruch nehmen, so werden sie doch von ihren umfangreichen Beraterstäben informiert. Daran schließt sich die Frage an, warum sie wider besseres Wissen weiter zig Milliarden Euro in ein Faß ohne Boden kippen. Die Antwort liegt auf der Hand. Wir hören seit Monaten das Mantra von der europäischen Idee, die nicht sterben darf. Was diese europäische Idee genau sein soll, sagen unsere Politiker allerdings nicht. Vielmehr hören wir immer nur nebulöse Formulierungen wie etwa „mehr Europa“. Gelegentlich hören wir auch von der Notwendigkeit einer gemeinsamen oder gar europäischen, also Brüsseler Finanzordnung. Ebenso notwendig scheint wohl eine in diesem Sinne gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik zu sein. Das bedeutet nichts anderes, als die Aufgabe des herkömmlichen Nationalstaats zugunsten eines europäischen Zentralstaates. Denn zum Kernbestand eines Staates ebenso wie zur Demokratie gehört die Verfügung seiner Bürger und Parlamente über Finanzmittel und die Streitkräfte sowie die existenzielle Frage von Krieg und Frieden. Wenn dies in die Hände einer europäischen Institution gelegt wird, dann sind deren Mitgliedsstaaten nur noch leere Hülsen ohne Souveränität. Hinzu kommt, daß jedenfalls nach der derzeitigen Konstruktion sowohl der Europäischen Union als auch der Eurozone hinsichtlich dieser Gebilde von einer Demokratie nicht entfernt die Rede sein kann. Wesensmerkmal des modernen demokratischen Staates ist es doch, daß jeder wahlberechtigte Bürger in gleichem Maße an der Willensbildung teilnehmen kann. Die Eurozone kennt überhaupt keine parlamentarische Willensbildung. Das Europaparlament ist nach einem Schlüssel zusammengesetzt, der den Wählern etwa aus Malta und Luxemburg ein Vielfaches des Stimmengewichts zumißt, das einem Wähler aus Deutschland zukommt. Hinzu kommt die mit Händen zu greifende Tatsache, daß es  ein europäisches Staatsvolk nicht gibt. Nach allgemeiner Anschauung ist ein Volk eine Abstammungs-, Kultur-und Erlebnisgemeinschaft. Zur Kultur gehört eine gemeinsame Sprache. Demgemäß sind die meisten Nationalstaaten auch solche, deren weit überwiegende Mehrheit von Bürgern einem Volk in diesem Sinne angehört. Vielvölkerstaaten sind in der europäischen Vergangenheit zum einen selten gewesen, und zum anderen immer gescheitert. Eine europäische Sprache gibt es nicht. Die Kulturen der europäischen Völker mögen sich mehr oder weniger ähneln, wobei etwa zwischen Finnland und Griechenland doch erhebliche Unterschiede vorliegen, ebenso wie etwa zwischen Rumänien und den Niederlanden.

Die Verbissenheit, mit der die politische Klasse der europäischen Länder die Traumvorstellung eines europäischen Zentralstaates verwirklichen will, erstaunt unter diesen Umständen. Das legt die Vermutung nahe, daß es hier nicht um Rationalität, sondern um eine Glaubensvorstellung geht. Gegenüber religiösen Überzeugungen versagen alle rationalen Argumente. Und so muß dann eben dieses europäische Projekt weiterverfolgt werden, koste es was es wolle. Wenn eben im Falle Griechenlands eine Angleichung an wirtschaftlich stabile Verhältnisse wie in Mitteleuropa aufgrund der dortigen Kultur einfach unmöglich ist, dann verschließt man davor eben die Augen und stellt wie Palmström fest, daß nicht sein kann was nicht sein darf. Und das führt dann zu den Verhaltensweisen, die ich in meinem Beitrag vom 22.02.2015 „Der listenreiche Odysseus“ zugegeben süffisant beschrieben habe. Davon habe ich allerdings leider nichts zurückzunehmen.

Natürlich weiß man auch, daß jedenfalls eine immer weiter wachsende Zahl von Bürgern dieses Spiel durchschaut. Ob Arbeiterin, Arzthelferin oder Apothekerin, ob Müllmann, Metzgermeister oder Ministerialrat, inzwischen ist der Bildungs- und Wissensstand allgemein so hoch, daß Politiker vor ihren Wählern keinen Wissensvorsprung mehr haben. Daß sie dennoch ganz offen bekennen, die Bürger zu belügen, ist ein weiteres Mirakel unserer Zeit. Wir verdanken ja dem derzeit höchstrangigen Europapolitiker Jean-Claude Juncker die Erkenntnis, daß man in der Europapolitik bisweilen lügen muß und nach der Methode verfährt, erst einmal etwas zu tun, was Europa in die gewünschte Richtung verändert, abzuwarten was geschieht und dann, wenn die Proteste ausbleiben, den nächsten Schritt zu gehen.

Die Frage ist nur noch, wann der Schritt getan wird, der in den Abgrund führt. Die Milliarden, die in dieses Projekt buchstäblich geschaufelt werden, wirken wie der Sprengstoff, mit dem die Bombe angefüllt wird. Je größer die Ladung, so gewaltiger die Explosion.

Bis jetzt können Frau Palmström – pardon, Frau Merkel – und ihre Kollegen sich der mehrheitlichen Zustimmung ihrer Wähler sicher sein. Bertolt Brecht hatte ja recht: nur die allerdümmsten Kälber wählen ihre Metzger selber.

Blutgeld

Nun will Griechenland also von Deutschland Schadensersatz wegen der Kriegsverbrechen, die deutsche Soldaten vor über 70 Jahren begangen haben. Der Krieg war in der Tat schrecklich und zeigte furchtbare Auswüchse wie die Auslöschung ganzer Dörfer als Reaktion auf mörderische Aktionen griechischer Partisanen. Es besteht nicht der geringste juristische Zweifel daran, daß es sich dabei in keinem Fall um Repressalien handelte, die vom damals geltenden Kriegsvölkerrecht auch nur annähernd gedeckt waren. Allerdings darf auch nicht vergessen werden, in welch grausamer Weise griechische Partisanen in nicht wenigen Fällen deutsche Soldaten umgebracht haben. Gefangenen die Kehle durchzuschneiden haben eben nicht die IS-Terroristen „erfunden“, nein auch griechische Partisanen haben solch scheußliche Morde begangen. Dennoch rechtfertigte auch das nicht die Massenmorde an griechischen Zivilisten einschließlich Frauen und Kindern. Bemerkenswert ist im übrigen, daß Griechenland wegen der Kriegsverbrechen, die Italien und Bulgarien in diesem Krieg begangen haben, keine Ansprüche erhebt, obgleich sie große Ausmaße hatten. Es gehört aber zum Wesen der Wahrheit, daß sie unteilbar ist. Betrachtet man im übrigen die Kriegsgeschichte, so findet man derartige Greueltaten bereits in der Antike.

Es mag auf den ersten Blick überraschend erscheinen, daß gerade die Griechen des klassischen Altertums in ihren Friedensverträgen ausdrücklich amnestia (Vergessen begangenen Unrechts) und adeia (Straflosigkeit) bezüglich der wechselseitig begangenen Greueltaten zu vereinbaren pflegten. Das kann oder muß man sogar mit der Philosophie erklären. Denn der Verzicht auf Rache oder Bestrafung ist wohl Ausfluß einer Kultur des Maßhaltens und der Besonnenheit. Über dem Eingang des Tempels von Delphi, in dem die Seherin Pythia ihr Orakel sprach, stand zu lesen: „meden agan“ (nichts im Übermaß). Aristoteles, den man wohl bis heute als einen der größten griechischen Philosophen bezeichnen kann, hat dem Thema Maß und Übermaß in seiner Nikomachischen Ethik breiten Raum gegeben und eingehend begründet, warum alle Maßlosigkeit schadet. Es ist deswegen auch ein Beleg bemerkenswerter Weisheit, daß die Vertragsparteien des Westfälischen Friedens in Art. II. des Vertrages vom 24.10.1648 festgelegt haben: „Beiderseits sei immerwährendes Vergessen und Amnestie alles dessen, was seit Anbeginn dieser Unruhen an irgendeinem Ort und auf irgendeine Weise vom einen oder anderen Teil hüben und drüben, feindlich begangen worden ist….Vielmehr sollen alle und jede hin und her, sowohl vor dem Kriege als auch im Kriege, mit Worten, Schriften oder Taten zugefügten Beleidigungen, Feindseligkeiten, Schäden und Unkosten ohne alles Ansehen der Personen dergestalt gänzlich abgetan sein, daß alles, was deshalb der eine vom anderen fordern könnte, in immerwährendem Vergessen begraben sein soll.“ Nun war der Dreißigjährige Krieg wahrlich von einer Art, die uns heute noch schaudern macht. Auch von den Menschen jener Zeit wurde das so wahrgenommen, weshalb sich gerade dieser unfaßbar grausame Krieg tief im kollektiven Gedächtnis der Europäer festgesetzt hat. Und dennoch hat man am Ende auf allen Seiten eingesehen, daß nur eine solche allgemeine Amnestie eine tragfähige Grundlage für das friedliche Zusammenleben der Völker sein kann. „In amnesia consistit substantia pacis“ (Das Vergessen ist die Grundlage des Friedens).

Die Weisheit und das Maßhalten sind den Menschen unserer Zeit offenbar abhanden gekommen. Nach dem Ersten, noch mehr aber nach dem Zweiten Weltkrieg ging man daran, den Verlierern Reparationen ungeheuren Ausmaßes aufzuerlegen und ihre Soldaten für ihre Taten zur Verantwortung zu ziehen, zu Recht oder Unrecht sei in diesem Zusammenhang einmal dahingestellt. Denn wir befassen uns nicht mit der Frage, ob sich der eine oder andere im Zweiten Weltkrieg schuldig im moralischen oder rechtlichen Sinne gemacht hat. Wir gehen vielmehr der Frage nach, ob es klug ist, über die Taten und Untaten der Vergangenheit zu rechten. Und wir prüfen, ob das Ansinnen der Griechen, Deutschland nun auf Schadensersatz in Anspruch zu nehmen, juristisch überhaupt noch begründbar sein kann. Zwei Generationen nach dem Krieg noch solche Ansprüche zu erheben, kann nicht klug sein. Abgesehen davon, daß frühere Generationen das aus gutem Grund generell nicht getan haben, wie wir gesehen haben, sollte schon der schiere Zeitablauf entgegenstehen. Nicht umsonst kennen alle Rechtsordnungen den Grundsatz, daß zwischen dem Ereignis, das für jemanden einen Rechtsanspruch begründen kann und der Erhebung eines solchen Anspruchs nicht unendlich viel Zeit vergehen darf, sondern nach einer gewissen Zeit und bestimmten Umständen Rechtsfriede herrschen muß. Dann muß Vergangenes eben vergangen sein, alte Wunden müssen verheilen können. Deswegen kennt zum Beispiel das griechische Zivilrecht die Verjährung von Ansprüchen, im Falle der Schadensersatzforderungen kann die Verjährung nach 20 Jahren eingewandt werden. Das deutsche Zivilrecht sieht im Höchstmaß eine Frist von 30 Jahren vor. Und auch die Strafbarkeit des Mordes findet in manchen Staaten dieser Erde ihre zeitliche Befristung, endet jedoch in jedem Falle mit dem Tod des Mörders. Seine Nachkommen „erben“ eben nicht seine Schuld.

Im Falle Deutschlands und des Zweiten Weltkrieges ist das offenbar anders. Diese Vergangenheit soll wohl niemals vergehen und in die Obhut Klios, der Muse der Geschichte gegeben werden. Wie offene Wunden wirken Gedenkstätten wie etwa im griechischen Distomo. Die Schädel der Ermordeten und ihre Namen werden in gläsernen Vitrinen und auf Schautafeln präsentiert. Die Pietät, die allen Toten, auch diesen geschuldet ist, muß der ewigen Anklage weichen, die Sühne fordert und Geld generieren soll. Deutschland, dessen Soldaten und mehr noch Zivilisten ebenfalls den furor belli (Schrecken des Krieges) erdulden mußten, hat von solchen Forderungen abgesehen. Über die Gründe dafür kann man geteilter Meinung sein, im Ergebnis war es jedoch richtig, und wenn es aus den Gründen geschehen ist, die frühere Generationen von dem Ruf nach Genugtuung und Sühne abgehalten haben, dann war es auch weise.

Griechenland indessen scheint sich von allem weit entfernt zu haben, was gerade seine große Tradition ausmacht. Nicht die Weisheit der Philosophen, sondern die Wut der Rachegöttin Nemesis bestimmt das Denken seiner Politiker. Und nicht die mesotes (Mitte, rechtes Maß) bestimmt die Höhe der geltend gemachten Forderung. Nein, auf sage und schreibe 323 Milliarden Euro errechnen griechische Beamte die Reparationsforderungen gegen Deutschland. Das ist mehr als vier mal so viel, wie die Höhe der gesamten Staatseinnahmen Griechenlands im Jahre 2014, die sich auf ca. 80 Milliarden Euro belaufen haben. Der Staat könnte also gut vier Jahre seine Ausgaben bestreiten, ohne auch nur einen Cent Steuereinnahmen ausgeben zu müssen. Daß dies auch nicht entfernt den Gegenwert der im Krieg zerstörten Gebäude und der gern ins Feld geführten Zwangsanleihe ausmacht, liegt auf der Hand. Die ermordeten Zivilisten können in die Berechnung ohnehin nicht einfließen, es sei denn, man will nach archaischem Muster Blutgeld berechnen (wie viel eigentlich pro Person?). Dem Völkerrecht ist eine solche  Kommerzialisierung von Opfern kriegerischer Ereignisse fremd.

In rechtlicher Hinsicht muß unterschieden werden zwischen den Reparationszahlungen, die der Staat Griechenland von Deutschland als dem Rechtsnachfolger, mindestens aber Haftungsnachfolger des Deutschen Reiches verlangen konnte bzw. immer noch verlangen zu können glaubt, und den individuellen Ansprüchen griechischer Bürger gegen Deutschland auf Schadensersatz für den Verlust ihrer Eltern oder ihres Besitzes.

Beginnen wir mit den Reparationen. Da sind zunächst einmal die Kreditverträge von 1942, wonach Griechenland der deutschen Besatzungsmacht insgesamt 476 Millionen Reichsmark als zinsloses Darlehen gewähren mußte. Dazu muß man wissen, daß Art. 49 der Haager Landkriegsordnung der Besatzungsmacht das Recht einräumt, Geldmittel des besetzten Landes zum Unterhalt der Besatzungstruppe in Anspruch zu nehmen. Das ist später grundsätzlich ein reparationsfähiger Posten. Man hat auch im Pariser Reparationsabkommen vom 14.01.1946 diesen Punkt geregelt, indem Griechenland 2,7 % der gesamten Reparationen, die Deutschland zu zahlen hatte, zugesprochen wurden. Die erwähnten Kredite wurden ausdrücklich von diesem Abkommen erfaßt. Deutschland zahlte dann in Erfüllung dieser Verbindlichkeit im Laufe der nächsten Jahre 25 Millionen US-Dollar an Griechenland. Ob damit der Gegenwert von 476 Millionen Reichsmark (was war die Reichsmark eigentlich am Ende des Krieges oder auch bereits 1942 international noch wert?) bezahlt war, kann offen bleiben, denn im Jahre 1953 wurde im Rahmen des Londoner Schuldenabkommens ein Reparationsmoratorium vereinbart. Weitere Zahlungen sollten den Regelungen eines Friedensvertrages vorbehalten bleiben. Zu dem kam es bekanntlich nicht. Statt dessen schlossen die alliierten Sieger des Zweiten Weltkrieges USA, Sowjetunion, Großbritannien und Frankreich mit den beiden deutschen Staaten am 12. 09.1990 den sogenannten Zwei plus Vier Vertrag, in dem auch die Frage der Reparationen abschließend geregelt wurde, und zwar mit ausdrücklichem Mandat auch der seinerzeit von Deutschland besetzten Länder wie etwa Griechenland. Dieser Vertrag sieht keine weiteren Zahlungen Deutschlands an diese Länder vor. Damit können Reparationen nicht mehr gefordert werden.

Griechenland fordert aber auch, daß die Nachkommen der Opfer von Kriegsverbrechen entschädigt werden sollen. Einschlägige Klagen dieser Menschen vor griechischen Gerichten waren und sind auch erfolgreich, vor deutschen Gerichten nicht, was auch das Bundesverfassungsgericht mit Beschluß vom 15.02.2006 gebilligt hat. Denn dem steht der Grundsatz der Staatenimmunität entgegen. Nach allgemeiner Ansicht im Völkerrecht können Staaten nicht vor den Gerichten eines anderen Staates verklagt werden. Gleichwohl von diesen Gerichten gegen einen fremden Staat erlassene Urteile können nicht vollstreckt werden. Das ist auch die Auffassung des Internationalen Gerichtshofs, der verbindlich völkerrechtliche Streitfragen entscheidet. Mit Urteil vom 03.02.2012 hat er in einem Rechtsstreit zwischen Deutschland und Italien festgestellt, daß Italien seine internationale Verpflichtung zur Respektierung der Immunität des deutschen Staates verletzt, wenn es erlaubt, daß vor seinen Gerichten Ansprüche auf Schadensersatz wegen Kriegsverbrechen gegen Deutschland eingeklagt werden können. Ebenso sieht er den Grundsatz der Staatenimmunität verletzt, wenn Italien es erlaubt, daß auf seinem Staatsgebiet Urteile griechischer Gerichte gegen Deutschland wegen solcher Ansprüche vollstreckt werden. Die Entscheidung des Gerichts ist zum ersten Punkt mit einer Mehrheit von 12 zu 3, und zum zweiten Punkt mit einer Mehrheit vom 14 zu 1 Richterstimmen ergangen. Es kann schlechterdings nicht erwartet werden, daß der Gerichtshof nun zu einem anderen Ergebnis kommen könnte, wenn etwa ein gleichartiges Verfahren zwischen Deutschland und Griechenland geführt würde. Dies auch vor dem Hintergrund, daß die Frage der individuellen Entschädigungen für griechische Staatsbürger bereits mit Vertrag vom 18.03.1960 zwischen beiden Ländern geregelt worden ist. Danach zahlte Deutschland an Griechenland einen Betrag von 115 Millionen DM zur Wiedergutmachung und erhielt im Gegenzug von Griechenland die Zusicherung, keine weiteren individuellen Ansprüche griechischer NS-Opfer geltend zu machen. Ergänzend ist auch hier auf den Zwei plus Vier Vertrag zu verweisen.

Selbst wenn entgegen der glasklaren Rechtslage noch irgendwelche Ansprüche offen sein könnten, so stünde deren Geltendmachung der Zeitablauf entgegen. Zwar gibt es kein internationales Zivilgesetzbuch mit Verjährungsregelungen, wie das in den nationalen Rechtsordnungen der Fall ist. Dennoch kann dies nicht dazu führen, daß Ansprüche auf Entschädigung für Kriegsverbrechen zeitlich unbegrenzt geltend gemacht werden können. Denn dann könnte Griechenland beispielsweise die Türkei für Vorgänge aus der Zeit in Anspruch nehmen, als Atatürk die Griechen aus Kleinasien vertrieben und in Massen hat umbringen lassen. Im deutschen Zivilrecht spricht man von der Verwirkung eines Anspruchs. Diese tritt unabhängig von der Verjährung ein. Zu prüfen ist zweierlei. Zum einen muß der Zeitablauf dafür sprechen, daß die Geltendmachung des Anspruchs unangemessen verspätet erscheint. Zum anderen müssen die Umstände dafür sprechen, daß der Schuldner des Anspruchs nicht mehr erwarten muß, daß der Gläubiger noch gegen ihn vorgeht. Das kann sich aus dem Verhalten des Gläubigers ergeben. Führen beide Prüfungsschritte dazu, daß die Geltendmachung des Anspruchs nunmehr unbillig erscheint, hat der Gläubiger sein Recht zur Geltendmachung verwirkt. Das kann als allgemeiner Rechtsgrundsatz angesehen werden, denn der Rechtsfriede ist in jeder Rechtsordnung ein hohes Gut. Im vorliegenden Falle sind nicht nur mehr als 70 Jahre seit den Ereignissen des Jahres 1944 verstrichen. Es sind daraus resultierende Ansprüche in verschiedenen völkerrechtlichen Abkommen erledigt worden. Dem Zwei plus Vier Vertrag von 1990 hat Griechenland seinerzeit, also auch schon vor einem Vierteljahrhundert, zugestimmt. Somit gehören diese Dinge endgültig in das Reich der Geschichte. Die Gerichte haben sich damit nicht mehr zu befassen.

Auch das Blutgeld altertümlicher Rechtsordnungen wurde den Angehörigen des Ermordeten zeitnah gezahlt, denn es sollte sie für den Verlust entschädigen, den sie durch seinen Tod auch in materieller Hinsicht erlitten hatten. Bei Enkeln und Urenkeln ist er nicht mehr meßbar. Ob der Schaden meßbar ist, den die Herren Tsipras, Varoufakis und ihre Gesinnungsgenossen dem Ansehen ihres Volkes mit dieser wahnwitzigen Forderung zufügen, wird sich weisen.

Der listenreiche Odysseus

Es war zu erwarten. Die europäischen Steuerzahler, allen voran die deutschen, werden Griechenland weiter mit Milliarden stützen. Nichts wird sich ändern. Die kleinen Leute in Griechenland werden wie bisher darauf bauen können, daß irgendein korrupter Politiker – eine hier angebrachte Tautologie – ihnen irgendeine Stelle bei einer der zahllosen Behörden verschafft, die keine Funktion hat, außer der, daß Wählerklientel alimentiert wird. Und die großen Schmarotzer werden wie bisher keine Steuern zahlen, außer dem Bruchteil der eigentlich geschuldeten Steuerlast, die als Bestechungsgeld an Politiker und Beamte fließt. Natürlich werden die Herren Tsipras und Varoufakis das vehement in Abrede stellen und ihre lauteren Absichten bekunden. Die europäischen Politiker, allen voran die deutschen, werden das auch nur zu gerne glauben. Denn sie sind von dem Glauben durchdrungen, daß nur die Gemeinschaftswährung Euro das „europäische Friedenswerk“ (Wolfgang Schäuble) vollenden kann. Ob ein Land die vertraglich festgelegten Voraussetzungen und Bedingungen der Mitgliedschaft in der Eurozone erfüllt oder nicht, ob seine Wirtschaftskraft auf dem Niveau Deutschlands, der Niederlande oder Österreichs liegt oder eher dem eines Landes der Dritten Welt entspricht, ist unwichtig. Denn wir brauchen angeblich nicht ein deutsches Europa, sondern ein europäisches Deutschland, mit anderen Worten: Ein vereintes Europa muß her, auch wenn das nur um den Preis zu haben ist, daß Deutschland finanziell und wirtschaftlich auf das Niveau der „Olivenländer“ hinabsinkt. Denn nur die Schaffung eines vereinten Europa, im Klartext: eines europäischen Staates, garantiert den ewigen Frieden.

Dagegen wirken keine rationalen Argumente, wie sie anerkannte Wirtschaftsfachleute immer wieder vorbringen. Nein, es handelt sich um eine quasireligiöse Überzeugung, weswegen Kritik an dieser „alternativlosen“ Politik auch folgerichtig als Ketzerei betrachtet wird. Nur daß eben der Ketzer nicht mehr real auf dem Scheiterhaufen verbrannt wird, sondern das Autodafe´auf dem Marktplatz der Medien zelebriert wird. Ebensowenig wie man die Inquisitoren und Hexenverfolger des ausgehenden Mittelalters und der frühen Neuzeit davon hätte überzeugen können, daß sie einem finsteren Aberglauben anhängen, ist es heute möglich, die politisch-mediale Klasse davon zu überzeugen, daß der Friede in Europa nicht etwa durch eine Einheitswährung und die Heilserwartung eines Einheitsstaates dauerhaft gesichert werden kann, sondern dadurch eher gefährdet wird. Die Einheitswährung wirkt als Prokrustesbett für die finanziell eher soliden und wirtschaftlich starken Länder und als Streckbank für die finanziell maroden und wirtschaftlich schwachen Länder. Die immer unverschämter zur Kasse gebetenen Steuerzahler der wohlhabenden Länder in Mittel- und Nordeuropa murren, das immer weiter wachsende und verarmende Prekariat der Länder im Süden entwickelt Haßgefühle gegen ihre Geldgeber; man möchte die Hand beißen, die einen füttert. Neben denjenigen Griechen (beileibe sind das nicht alle!), die auf diese Weise zu einem anstrengungslosen Wohlstand (Guido Westerwelle) kommen, profitieren davon vor allem die Banken, im Klartext: deren Großaktionäre. So haben sich die Visionäre eines vereinten Europas nach 1945 das nicht vorgestellt. Das liegt nicht etwa daran, daß zum Arzt muß, wer Visionen hat, wie das unser Altkanzler Schröder einmal formuliert hat, sondern daran, daß Visionen eben mit der Wirklichkeit nichts zu tun haben. Tatsächlich wird der Friede in Europa durch etwas ganz anderes dauerhaft gesichert. Vertraglich natürlich durch die NATO, insbesondere den Grad ihrer Integration, der es unmöglich macht, daß ihre Mitglieder Krieg gegeneinander führen, was sich eindrucksvoll daran zeigt, daß nicht einmal ihre verfeindeten Mitglieder Griechenland und Türkei militärische Gewalt gegeneinander anwenden können, sondern sich auf Stellvertreterkriege ihrer zypriotischen Marionettenstaaten beschränken müssen. Vor allem aber ist es der Stand der Waffentechnik, der einen Krieg entwickelter Staaten gegeneinander völlig ausschließt. Es ist einfach nicht mehr möglich, ein militärisch und wirtschaftlich entwickeltes Land anzugreifen. Man hat nicht einmal den Hauch einer Chance auf irgendeinen Erfolg, vielmehr würde man mit Sicherheit nur ungeheure Verluste an Menschen und Sachwerten erleiden. Der Warschauer Pakt hat das während des kalten Krieges immer wieder in Planspielen und Übungen durchgespielt, jedes Mal mit dem ernüchternden Ergebnis, daß es einfach nicht geht. Dabei mußte der Atomkrieg erst gar nicht hinzugedacht werden. Allenfalls Stellvertreterkriege in wenig entwickelten Regionen dieser Erde sind noch möglich. Das garantiert den Frieden in Europa wirklich und nachhaltig, nichts anderes.

Die europäischen Politiker und ihre journalistischen Dienstboten sind jedoch von ihrer Heilserwartung derart durchdrungen, daß sie blind für alle Zeichen von Fehlentwicklungen und taub für alle Warnungen vor dem Beschreiten von Irrwegen sind. Sie gleichen vielmehr dem hoffnungslos in eine schöne, junge, aber skrupellose Frau verliebten alten Toren, der ihr jeden Wunsch von den Augen abliest und jeden Betrag für sie bezahlt, nur um ihre Gunst zu gewinnen, egal, wie oft sie ihn betrügt. Wer als Gläubiger Verhandlungen über die Verlängerung der Kredite mit der öffentlichen Erklärung einleitet, das Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone müsse unter allen Umständen verhindert werden, der gibt damit seinem Schuldner unmißverständlich zu verstehen, daß er bereit ist, jeden Betrug zu verzeihen und jedes Geschenk zu machen, wenn ihm damit nur seine Freundschaft erhalten bleibt. Wer indessen seinen Schuldner zur Vertragstreue zwingen will, der macht ihm zunächst einmal klar, daß es nicht um seine wirtschaftliche Existenz, sondern um die seines Schuldners geht. Das gilt ganz besonders dann, wenn der Schuldner insolvenzreif ist und deswegen der Gläubiger kaum noch etwas zu verlieren hat, der Schuldner indessen alles gewinnen kann.

Das sollte eigentlich auch dem Dümmsten klar sein, den schlauen Griechen ist es seit langem klar. Die Nationalepen der Griechen sind bekanntlich Homers Ilias und Odyssee. Der listenreiche Odysseus ist wohl nicht von ungefähr die alles überragende Gestalt dieser großen nationalen Erzählung. Man mag den Rückgriff auf nationale Epen zur Charakterisierung eines Volkes für abwegig, zumindest weit hergeholt halten. Ich denke jedoch, daß die großen nationalen Erzählungen durchaus kollektive Befindlichkeiten und Eigenschaften abbilden, und sei es nur deswegen, weil sie Teil der prägenden kulturellen Überlieferung sind. Betrachten wir unter diesem Blickwinkel die großen Erzählungen Europas, so finden wir zum Beispiel Vergils Aeneis, die Gründungssage Roms, voller tragischer Helden des geschlagenen und zerstörten Troja, das Artuslied des alten England voller edler Ritter lauterster Gesinnung, das Rolandslied der Franzosen, diese Hymne an den selbstlosen Retter des Abendlandes und die Sage von El Cid, dem tapfersten der Tapferen Spaniens. In allen diesen Sagen werden uns edle, lautere und verehrungswürdige Charaktere vorgestellt, die alle guten Eigenschaften haben. Besonders raffiniert und verschlagen ist jedoch keiner von ihnen, allenfalls schon mal weise. Bei keinem von ihnen können wir uns das kennzeichnende Adjektiv „der listenreiche“ vorstellen. Das alles gilt erst recht für das Nibelungenlied, das uns Deutschen als nationale Identifikationsfigur nicht etwa den verschlagenen Hagen von Tronje, sondern den edlen Recken Siegfried überliefert, einen Helden, dem alle guten Eigenschaften beigemessen werden, Schlauheit oder gar Verschlagenheit ganz sicher nicht.

In der Ilias endet bekanntlich der trojanische Krieg mit der Eroberung und Zerstörung Trojas durch eine List der Griechen. Die gutgläubigen Trojaner fallen auf die Erzählungen des falschen Boten Sinon herein, den Odysseus mit dem Auftrag zu ihnen geschickt hat, sie davon zu überzeugen, daß sie das am Strande zurückgelassene riesige Standbild eines Pferdes in ihre Stadt verbringen müßten, denn dann würden die Götter Verderben und Tod in die Mauern der Städte ihrer griechischen Feinde tragen. Natürlich sind in der Sage die Götter mit den Griechen im Bunde und lassen den Priester Laokoon, der die Trojaner mit den klassischen Worten timeo Danaos et dona ferentes (ich mißtraue den Griechen, selbst wenn sie Geschenke bringen) samt seinen Söhnen von zwei riesigen Schlangen erwürgen (Vergil, Aeneis, II. Buch, Vers 49). Der Rest der Geschichte ist bekannt: In der Nacht steigen die schwer bewaffneten Griechen aus dem Bauch des hölzernen Pferdes, töten die trojanischen Wachen und öffnen die Stadttore für das heimlich zurückgekehrte griechische Heer. Trojas Schicksal ist besiegelt. Erleben wir gerade nicht die Wiederkehr des Odysseus in Gestalt von Herrn Tsipras und seines Boten Sinon in Gestalt von Herrn Varoufakis? Die Trojaner geben in dieser Tragödie die europäischen Politiker von Juncker bis Merkel, einen Laokoon haben sie jedoch nicht in ihren Reihen. Stünde er auf und erhöbe seine warnende Stimme, so schickten ihm zwar nicht die Götter, so doch die Gralshüter der europäischen Religion die Würgeschlangen der political correctness.