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Ein Blick ins Gesetz

erleichtert die Rechtsfindung ungemein, ist ein alter Juristenscherz.

Das heißt natürlich, daß man zur Lösung eines Rechtsfalles tunlichst das Gesetz heranziehen sollte. Für die Medienkampagne gegen die AfD wegen der angeblichen Forderung ihrer Vorsitzenden, an unseren Grenzen gegen Flüchtlinge doch Schußwaffen einzusetzen, gilt das aber offensichtlich nicht. So hat es der ARD „Starmoderator“ Thomas Roth heute Abend geschafft, von den 30 Minuten seiner Tagesthemen 11 Minuten diesem angeblichen Skandal zu widmen, und mit Hilfe eines Kollegen, dessen Namen unwichtig ist, diese Partei samt ihrer Vorsitzenden als Wiedergeburt der NSDAP, angereichert durch Honeckers Schießbefehl, erscheinen zu lassen. Das nahm also ein gutes Drittel der Sendezeit ein, kam aber völlig ohne ein einziges Wort über die Rechtslage aus. Nachdem diese Internetseite in ihrer Unterzeile die Aufforderung zum Selberdenken enthält, will ich mich darauf beschränken, einfach einmal das Gesetz zu zitieren. Wenn schon die Medien die Bürger ohne juristisches Staatsexamen nicht aufklären, dann will ich den Lesern dieser Internetseite wenigstens die Gelegenheit geben, das Gesetz zur Kenntnis zu nehmen, um sich dann eigenständige Gedanken zum Thema machen zu können.

Ausgangspunkt ist § 11 des UzWG, in Worten: Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes. Dieser Paragraph ist übertitelt „Schußwaffengebrauch im Grenzdienst“ und lautet:

(1) Die in § 9 Nr. 1,2, 7 und 8 genannten Vollzugsbeamten – dazu gehört die Bundespolizei, R.T. – können im Grenzdienst Schußwaffen auch gegen Personen gebrauchen, die sich der wiederholten Weisung, zu halten oder die Überprüfung ihrer Person oder der etwa mitgeführten Beförderungsmittel und Gegenstände zu dulden, durch die Flucht zu entziehen versuchen. Ist anzunehmen, daß die mündliche Weisung nicht verstanden wird, so kann sie durch einen Warnschuß ersetzt werden.
(2) Als Grenzdienst gilt auch die Durchführung von Bundes-und Landesaufgaben, die den in Abs. 1 bezeichneten Personen im Zusammenhang mit dem Grenzdienst übertragen sind.

§ 10 Abs. 2 dieses Gesetzes regelt den Schußwaffengebrauch gegen eine Menschenmenge und lautet:
Schußwaffen dürfen gegen eine Menschenmenge nur dann gebraucht werden, wenn von ihr oder aus ihr heraus Gewalttaten begangen werden oder unmittelbar bevorstehen und Zwangsmaßnahmen gegen einzelne nicht zum Ziele führen oder offensichtlich keinen Erfolg versprechen.

§ 12 des Gesetzes – Besondere Vorschriften für den Schußwaffengebrauch – lautet:
(1) Schußwaffen dürfen nur gebraucht werden, wenn andere Maßnahmen des unmittelbaren Zwanges erfolglos angewendet sind oder offensichtlich keinen Erfolg versprechen. Gegen Personen ist ihr Gebrauch nur zulässig, wenn der Zweck nicht durch Waffenwirkung gegen Sachen erreicht wird.
(2) Der Zweck des Schußwaffengebrauchs darf nur sein, angriffs- oder fluchtunfähig zu machen. Es ist verboten, zu schießen, wenn durch den Schußwaffengebrauch für die Vollzugsbeamten erkennbar Unbeteiligte mit hoher Wahrscheinlichkeit gefährdet werden, außer wenn es sich beim Einschreiten gegen eine Menschenmenge (§ 10 Abs. 2) nicht vermeiden läßt.
(3) Gegen Personen, die sich dem äußeren Eindruck nach im Kindesalter befinden, dürfen Schußwaffen nicht gebraucht werden.

Das ist die Rechtslage. Das Gesetz ist weder aus dem Dritten Reich noch aus der DDR übrig geblieben. Vielmehr stammt es vom 10.03.1961 und steht mit diesem Wortlaut nach einigen Änderungen seit dem 31.08.2015 im Bundesgesetzblatt.

Die Nullkompetenz

In der Silvesternacht worden zwischen Dom und Hauptbahnhof in Köln massenhaft Frauen von jungen Männern aus arabischen Ländern belästigt, begrapscht, sexuell bedrängt, beleidigt und beraubt. Die örtlichen Zeitungen zitieren Opfer dieser Gewalttaten mit Äußerungen wie diesen, daß man ihr buchstäblich in jede Körperöffnung gegriffen habe, ihre Brüste begrabscht und sie auch noch mit dem Schimpfwort „Schlampe“ belegt habe. Das muß sich wohl hundertfach zugetragen haben, denn in der heutigen Tagesschau hat der Polizeipräsident von Köln die Opfer dieser Taten aufgerufen, doch Anzeige zu erstatten, denn bisher seien nur 60 eingegangen. Zu Recht hat die Oberbürgermeisterin von Köln ihr Mitgefühl mit den Opfern ausgedrückt und den Vorgang ungeheuerlich genannt. Daß jedoch ausgerechnet ein Polizeibeamter, nämlich ein Funktionär der Gewerkschaft der Polizei namens Arnold Plickert das größte Problem offensichtlich darin sieht, daß dieser Vorgang die sogenannten Rechten stärken könne, beweist nachdrücklich, daß Deutschland langsam aber sicher seiner Umbenennung in Absurdistan entgegen taumelt. Wörtlich erklärte dieser Nullinger: „Es ist ja schon absehbar, daß das rechte Spektrum genau diesen Sachverhalt nutzen will um zu sagen, seht ihr, das haben wir schon immer gesagt. Wir haben klare Hinweise, daß diese Personen Migrationshintergrund haben. Und deswegen wollen wir genau wissen….“ Abgesehen davon, daß es doch wohl Sache der Polizei ist, solche Straftaten unnachsichtig und ohne Ansehen der Person erst einmal aufzuklären, und die rechtliche, aber auch politische Bewertung dann den dazu berufenen Stellen zu überlassen, offenbart dieser hoffentlich in keiner wichtigen Position verwendete Beamte erhebliche Mängel in seiner politischen Bildung und juristischen Ausbildung.

Er weiß nicht oder will nicht wissen, daß zwischen rechts, rechtsradikal und rechtsextrem sowohl politisch als auch juristisch erhebliche Unterschiede bestehen. Dies ungeachtet dessen, daß dies von Person zu Person auch einmal unscharf sein kann. Aber klar ist, jedenfalls in einer bekannten Definition, die zum Beispiel der Politikwissenschaftler Werner Patzelt gibt:
„Rechts“ ist inhaltlich kaum zu bestimmen, es sei denn, man definiert es dahingehend, daß alles was nicht links oder grün ist, eben rechts ist. Nach den Regeln der politischen Gesäßtopographie ist das auch einleuchtend. Zur Erläuterung dieses flapsigen Begriffs sei bemerkt, daß die Unterscheidung in politisch links und rechts ja aus den Anfängen der französischen Nationalversammlung herrührt, wo eben die revolutionären Kräfte links vom Parlamentspräsidenten und die eher konservativen Kräfte rechts von ihm (in Blickrichtung des Präsidenten) Platz nahmen.

Rechtsradikal hingegen bedeutet, daß Positionen vertreten werden, die in unüberbrückbarem, keinem Kompromiß zugänglichen Gegensatz zu den Positionen von Linken und Grünen stehen. Aber, und das ist maßgeblich, sich im Rahmen der Verfassung bewegen. Mögen ihre Positionen auch noch so radikal sein, ein Fall für den Verfassungsschutz oder gar ein Parteiverbot sind sie nicht.

Rechtsextrem hingegen ist die Definition für solche Positionen und Bestrebungen, die nicht nur radikal sind, sondern weit darüber hinaus gehen, insbesondere die Grenzen der Verfassung überschreiten. Dazu gehört sowohl die Verneinung von Grundrechten wie auch das Bestreben, den demokratischen Rechtsstaat zugunsten einer Diktatur (Führerprinzip) abzuschaffen. Das ist ein Fall für den Verfassungsschutz. Bei Vereinen führt es regelmäßig zu deren Verbot durch den zuständigen Innenminister. Bei politischen Parteien führt es letztendlich zum Verbot durch das Bundesverfassungsgericht, was derzeit zum zweiten Mal in Sachen NPD anhängig ist.

Wer hingegen von einem „rechten Spektrum“ fabuliert und faselt, der hat entweder keine Ahnung, wovon er redet. Oder aber, was noch schlimmer ist, er wirft bewußt Nebelkerzen um die politisch und juristisch glasklaren Unterschiede zwischen diesen drei Begriffen zu verwischen. Dies natürlich in der Absicht, auch die demokratische Rechte, die fest auf dem Boden der Verfassung steht, zu diffamieren. Dies tut man im allgemeinen, wenn man der Diskussion in der Sache aus dem Wege gehen will, weil man zu Recht befürchtet, in dieser Diskussion zweiter Sieger zu bleiben. Diese Taktik ist schäbig. Aus dem Munde eines Gewerkschaftsfunktionäres, der doch eigentlich besonders sensibel für demokratische Rechte aller Beteiligten sein sollte, ist es befremdlich. Man fragt sich, was die Leute geraucht haben, die eine solche Figur zu ihrem Sprecher gemacht haben.

Der Gute erlaubt sich alles

Wir Deutschen mögen es gerne einfach. Deswegen teilen wir auch gerne ein. Hier die Guten, dort die Bösen. Hier die Intelligenten und Kreativen, dort die Dumpfen und Bornierten. Und so läßt sich die sogenannte Flüchtlingsdebatte auch handhaben. Natürlich aus der Sicht der Guten, Intelligenten und Kreativen. Dazu gehören wir doch alle, oder?

So oder ähnlich denken offenbar die Verantwortlichen des Mainzer Staatstheaters. Angesichts einer angemeldeten und – natürlich – nicht verbotenen Demonstration einer politischen Partei auf dem Gutenbergplatz vor dem Staatstheater verfiel man auf die grandiose Idee, einen 120-köpfigen Chor während der Kundgebung die Ode an die Freude von Beethoven/Schiller singen zu lassen. Und das in einer Lautstärke, selbstverständlich bei weit geöffneten Fenstern, daß die Parteivorsitzende während ihrer Rede kaum zu verstehen war. Nicht schwer zu erraten ist, daß es sich bei dieser Partei nicht um die Grünen, sondern um die Alternative für Deutschland handelt, und bei der erwähnten Parteivorsitzenden nicht um Simone Peter, sondern um Frauke Petry. Den Verantwortlichen und wohl auch einer ganzen Anzahl von Mitarbeitern der Mainzer Staatsoper gefällt diese Partei, insbesondere ihre Haltung zur sogenannten Flüchtlingsproblematik, überhaupt nicht. Zur Erläuterung bekannte die Sprecherin des Staatstheaters auch frank und frei: „Wir wollten mit dieser freiwilligen Aktion ein Zeichen setzen. Wir mußten direkt vor unserer Haustür die Kundgebung einer Partei ertragen, die die Ängste vieler Menschen ausnutzt, um daraus Profit zu schlagen. Das haben wir als Provokation empfunden. Wir finden deren Thesen nur schwer erträglich und hatten das dringende Bedürfnis, Stellung zu beziehen. Das Theater ist ja ein Teil der kritischen Öffentlichkeit.“ Auf die Frage, warum man denn nicht einfach an einer Gegendemonstration teilgenommen habe erklärte sie wörtlich: „Wir unterstützen diese Demonstrationen, aber wir wollten mit unseren Mitteln Position beziehen, mit den Mitteln der Musik und mit den Mitteln der Aufklärung. Dieses Musikstück wird von einem unheimlich großen Optimismus getragen. Es sind gerade schwierige Zeiten, viele sehen sich vor gesellschaftliche Herausforderungen gestellt. Es gibt Dinge, für die wir keine Grammatik haben. Unser Ziel war, einen gemeinsamen Optimismus zu entwickeln. Eine neue Kraft und Stärke. Zu zeigen, daß man mit dieser Situation umgehen kann. Das alles vermittelt dieses Lied.“

Damit vermittelt uns diese Dame einen tiefen Einblick in die Denkweise des sogenannten „juste milieu“ in Deutschland, das natürlich gerade unter den Kulturschaffenden viele Mitglieder hat. „Natürlich“ steht man emotional auf der Seite von Flüchtlingen und Verfolgten. Menschen hingegen, die auf die vielen Probleme hinweisen, die mit dieser massenhaften ungesteuerten Zuwanderung verbunden sind, deren Zeugen wir seit Monaten sind, erwecken allenfalls „Ängste“, wenn sie nicht noch Schlimmeres tun. Gegen sie muß also Widerstand geleistet werden. Dabei ist man als Künstler selbstverständlich kreativ und bedient sich in der Eigenwahrnehmung „intelligenter“ Formen des Protestes. Was kann schon Böses an diesem Musikstück sein? Ach Gott, sind wir pfiffig! Daß es sich dabei um ein beträchtliches Maß an Überheblichkeit und Intoleranz handelt, kommt solch wackeren Streitern für eine bessere Welt nicht in den Sinn.

Nicht einmal, als die Polizei mehrfach die im Vollgefühl ihres Edelmutes aus vollem Halse singenden Mitarbeiter des Staatstheaters aufforderte, Rücksicht auf die Teilnehmer der Kundgebung vor dem Hause zu nehmen, die ja immerhin gekommen waren, um die Ansprache von Frau Petry zu hören, ließen sie von dieser Aktion ab. Und nun nimmt man erstaunt zur Kenntnis, daß die Polizei eine Strafanzeige wegen der Störung einer Demonstration erstattet hat! Offenbar benötigen diese Leute etwas Nachhilfe in Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Das Recht, sich friedlich und ohne Waffen unter freiem Himmel zu versammeln, ist ein Grundrecht. Auch jene wackeren Sänger dürften darauf bestehen, demonstrieren zu dürfen. Sie wären auch mit Recht empört, wenn sie bei einer angemeldeten und erlaubten Demonstration von dritter Seite gestört würden, etwa durch akustischen Terror mit Trillerpfeifen. Allerdings kommt es ihnen offenbar überhaupt nicht in den Sinn, daß dieses Grundrecht für alle Deutschen gilt, unabhängig von ihren politischen oder sonstigen Anliegen. Und es gilt auch ganz unabhängig vom politischen Inhalt, der durch diese Demonstration allgemein bekannt gemacht werden soll. Und das gilt selbstverständlich auch für Parteien und Organisationen, die nicht jedermann mag oder gar unterstützen würde. Nein, das gilt auch für solche Demonstranten, deren Anliegen man selbst für unbegründet, falsch oder gar schädlich hält. Man hat es halt zu dulden, weil die Ausübung der Grundrechte eben jedermann freisteht, soweit nicht Belange der öffentlichen Sicherheit und Ordnung entgegenstehen, oder soweit verfassungsfeindliche Inhalte propagiert werden. Das alles war hier ganz offensichtlich nicht der Fall, weswegen die Polizei zurecht das Verhalten dieser unrühmlichen Mainzer Hofsänger beanstandet und Strafanzeige gegen sie erstattet hat.

Der Vorgang wirft ein Schlaglicht auf das Meinungsklima in Deutschland. Wir erleben einen Gesinnungsterror der in ihrer Selbstwahrnehmung Anständigen, Aufgeklärten und Guten. Wenn nach den Feststellungen des Allensbacher Meinungsforschungsinstituts inzwischen 45 % der Befragten es ablehnen, Antworten auf politische Fragestellungen, insbesondere im Zusammenhang der sogenannten Flüchtlingskrise, zu geben, weil sie befürchten, daß bekannt wird, welche Auffassung sie zu diesen Themen haben, dann sind wir auf dem geraden Wege in die Meinungsdiktatur. In diesem Zusammenhang sei den Verantwortlichen für diese keineswegs intelligente, sondern mit Verlaub gesagt, saudumme Aktion weiter folgendes ins Stammbuch geschrieben:

Woher wissen Sie denn eigentlich, daß alle Sänger Ihres Hauses in der sogenannten Flüchtlingsfrage Ihre Meinung teilen? Könnte es nicht sein, daß nicht wenige unter ihnen entweder gar keine Meinung zu diesem Thema haben, oder eine solche, die nicht sehr weit von dem entfernt ist, was die AfD vertritt? Immerhin vertreten ja auch politische Parteien zur Gänze (CSU) oder in Teilen (CDU) dazu Standpunkte, die nicht weit entfernt von dem der AfD, aber sehr weit entfernt von dem der Bundeskanzlerin und noch viel weiter entfernt von den Vorstellungen gewisser Intellektueller und Kulturschaffender in Deutschland sind. Meinen Sie nicht, daß der Aufruf zu einer solchen „spontanen“ Gesangseinlage so manches Ensemblemitglied unter einen Gruppenzwang setzt, dem man sich einfach nicht entziehen kann? Meinen Sie nicht, daß so manches Ensemblemitglied seine politische Meinung für sich behalten und nicht vor seinen Kollegen rechtfertigen möchte? Welches Menschenbild ist denn das, das jeden, der eine andere Meinung hat, aus dem Kreis der anständigen, aufgeklärten und kultivierten Künstler ausschließt? Und wie ist das eigentlich mit der Neutralitätspflicht des Staates? Ist nicht auch ein Staatstheater wie jede andere staatliche Einrichtung zur politischen Neutralität verpflichtet? Und nicht zuletzt: Sie beschimpfen einen großen Teil der Besucher Ihres Hauses. Denn unter den Mitgliedern, Anhängern und Wählern der AfD sind die Akademiker, Freiberufler und Kulturinteressierten immer noch klar in der Mehrheit, insbesondere in den Jahrgängen jenseits der jugendlichen Konsumenten von Pop und Rock. Letztere allerdings finden sich überproportional unter Anhängern der Grünen und anderer Linksparteien. Überspitzt gesagt, könnte man formulieren: Zwischen den Künstlern und ihrem Publikum ist nicht nur der Orchestergraben!

Im „K(r)ampf gegen Rechts“ ist offenbar alles erlaubt. Herr Staatsanwalt, übernehmen Sie! Der Rechtsstaat muß gelegentlich auch gegen die verteidigt werden, die sich im Recht wähnen, weil sie „Rechte“ bekämpfen, indem sie ihnen ihre Rechte nehmen.

Das Sprachgesetzbuch

Man hat es ja geahnt. Der Sprachgebrauch in den Medien wird seit Jahren immer einförmiger. Die political correctness verbietet Journalisten ganz offensichtlich bestimmte Begriffe. Das Schnitzel mit dem verbotenen Namen ist keineswegs nur eine skurrile Arabeske der öffentlich wahrnehmbaren Sprache. Die immer groteskeren Umschreibungen von Sachverhalten und schönfärberischen Wortneuschöpfungen hat man zunächst amüsiert, dann irritiert zur Kenntnis genommen. Inzwischen macht sich Verständnislosigkeit breit. So wurde der Neger erst zum Schwarzen, dann zum Farbigen um inzwischen als Afrodeutscher politisch korrekt in den Medien zu erscheinen. Man kann Wetten darauf abschließen, daß auch dieser Begriff irgendwann als diskriminierend betrachtet und durch eine noch absurdere Vokabel ersetzt werden wird.

Natürlich ist allgemein bekannt, daß unter den Medienschaffenden, um einmal einen „gendergerechten“ geschlechtsneutralen Begriff zu benutzen, die Anhänger der linken Parteien (SPD, Grüne, Linke) mit rund 70 % nicht nur quantitativ dominieren, sondern auch die veröffentlichte Meinung prägen.

Daß es jedoch schon ein Wörterbuch des politisch korrekten Sprachgebrauchs gibt, überrascht den Zeitungsleser und die Fernsehzuschauerin dann doch. Es ist wohl der Erkenntnis geschuldet, daß der Zensur, die ja immer erst nach der Erstellung von Artikeln und Manuskripten aktiv werden kann, eine vorherige Schulung der Textverfasser vorzuziehen ist. Denn dann muß die Zeitung nicht mit peinlichen Schwärzungen erscheinen. Vielmehr sorgt die soziale Selbstkontrolle der beteiligten Journalisten schon dafür, daß keiner aus der Reihe tanzt. Im Dritten Reich und in der DDR hat das ja auch prima funktioniert. Für die Umsetzung dieser wirklich bahnbrechenden Erkenntnis sorgt ein eingetragener Verein namens „Neue deutsche Medienmacher“. Er gibt bereits in 3. Aufl. ein Glossar, also ein Verzeichnis von Begriffsdefinitionen, heraus, das den unmißverständlichen Titel trägt: „Formulierungshilfen für die Berichterstattung im Einwanderungsland“. Dies mit freundlicher Unterstützung der Amadeu Antonio Stiftung unter dem Vorsitz der bekannten Frau Annetta Kahahne, weniger bekannt als von 1974-1982 für die Stasi tätige IM Victoria. Auf über 50 Seiten werden hier die politisch korrekten Bezeichnungen für Personen und Sachverhalte rund um das Thema Einwanderung vorgegeben. Wenn man aufmerksam gedruckte und gesendete Medien verfolgt, so wird man schnell feststellen, daß dieses Sprachgesetzbuch peinlich genau befolgt wird. Die soziale Kontrolle funktioniert hervorragend. Niemand will in das gesellschaftliche und berufliche Abseits geraten. Der Disziplinierungsfaktor der sozialen Selbstkontrolle ist hier deutlich höher, als der des Strafgesetzbuches. Wer beispielsweise in diesem Glossar die Definition für Rechtsextremismus nachliest, der wird feststellen, daß sie höchstwahrscheinlich auch auf ihn selbst zutreffen dürfte, es sei denn, er gehöre zu denen, die an diesem Wörterbuch mitarbeiten oder es freudig benutzen.

Es wäre in der Tat interessant zu wissen, ob dieses Wörterbuch in den Redaktionen auf den Schreibtischen liegt, oder inzwischen als elektronische Datei oder bedrucktes Papier gar nicht mehr benötigt wird, weil die Damen und Herren Journalisten es auswendig herunterbeten können.

Die Ankündiger

Am 06.11.2015 haben die Spitzen der großen Koalition die mit großem Mediengetöse angekündigte Grundsatzentscheidung zur Flüchtlingspolitik getroffen. Wer tatsächlich eine Entscheidung erwartet hatte, die diesen Namen auch verdient, muß enttäuscht sein. Vielmehr kann man das Ergebnis nur mit Horaz kommentieren, der die großspurige Ankündigung eines Dichters, Kampf und Untergang des Priamos in Troja zu beschreiben mit Blick auf dessen mickriges Werk mit dem klassischen Satz kommentiert: „Parturiunt montes nascetur ridiculus mus“ (De arte poetica, 139). Zu deutsch also: „Es kreißte das Gebirge, geboren ward ein lächerliches Mäuslein.“ Bei realistischer Betrachtung unseres politischen Personals war allerdings auch nicht mehr zu erwarten.

Im hellen Deutschland

Ich weiß nicht mehr, wer mich zu dieser Veranstaltung eingeladen hatte. Festrede des Bundespräsidenten zur Woche des Flüchtlings oder so. Ehrlich gesagt, hatte ich mehr auf den Ort als auf den Titel geachtet. Immerhin, die Paulskirche in Frankfurt, durchwabert vom Geist der Geschichte und irgendwo da drinnen muß er ja wohnen, der Geist von Freiheit und Demokratie. Da saß ich nun, hörte nun frisch, dennoch getragen von einem Jugendorchester intonierten Mozart und sah dann den Bundespräsidenten zum Rednerpult gehen. Unwillkürlich konzentrierte sich meine Aufmerksamkeit dann auf die Gäste in meinem Blickfeld. Weil ich nun in einer der ersten Reihen, allerdings am Rand (beim besten Willen kann ich nicht mehr sagen, ob links oder rechts) plaziert worden war, musterte ich unwillkürlich die Gesichter meiner Nachbarn in den Reihen, die ich bequem überblicken konnte, ohne meine Nackenmuskulatur allzu sehr dehnen zu müssen. Eine nur wenige Meter entfernt sitzende Dame fesselte meine Aufmerksamkeit. Wieso eigentlich bleibe ich an diesem Gesicht hängen? Sicher, sie ist elegant, geschmackvoll gekleidet, sie hat ihr mittellang geschnittenes nachtschwarzes Haar mit einer jener kaum angedeuteten Bewegungen in den Nacken geworfen, die ihre Herkunft aus gutem Hause und ihre Erziehung in einem teuren Internat verraten. Bei den ersten Worten des Bundespräsidenten spielt ein wissendes Lächeln um ihre Lippen, die den sündhaft teuren Stift, mit dem sie dezent betont werden, erahnen lassen. Ihre perfekt gezeichneten Augenbrauen heben sich leicht. In diesem Augenblick entsteht der Eindruck habitueller Arroganz. Und nun weiß ich, was mich an dieser Dame so fesselt: ich bin gerade in ihre Gedankenwelt eingetreten. Ich kann Gedanken lesen! Sie legt den Kopf leicht in den Nacken und schließt ihre Augen halb. Ich lese, nein ich höre sie zu sich selbst sprechen:

Ach, hin und wieder müssen wir doch unter uns sein wir, die wir gebildet, kultiviert und weltoffen sind, wir Intellektuellen, Künstler und Medienschaffenden. Wir, die wir in den Redaktionen der Qualitätszeitungen, den Vorständen der Daxunternehmen und auf den Lehrstühlen der Universitäten sitzen. Wenigstens für zwei Stunden müssen wir nicht den Anblick all dieser Banausen, Pegidisten und Populisten ertragen. Mein Gott, all diese Typen mit ihrem gesunden Menschenverstand, ihrer biederen Bürgerlichkeit in ihren Mittelklasse-Autos und Lieferwagen, ihrer Biergartenrhetorik und ihrem hinterwäldlerischen Nationalismus. Klar, man kommt ja ganz ohne sie auch nicht aus. Wenn ich nur an diesen Installateur denke, der letzten Samstagabend das Gäste-WC in meinem Loft wieder gangbar gemacht hat. Der es nicht lassen konnte, mit seinem Brunftbariton über Flüchtlinge herzuziehen! Und nach Schweiß gestunken hat er auch noch! Naja, er mußte sich auch ziemlich abmühen. Aber eine unverschämte Rechnung hatte ich doch schon am Dienstag in der Post! Ich habe es dann gleich Mirjam erzählt, die für so etwas auch gar kein Verständnis aufbringen kann. Überhaupt Mirjam. Eigentlich sollte sie heute auch hier sein. Doch ihre weiche warme Hand spüre ich nicht. Sie muß ja noch die Nachprüfung der beiden Studierenden aus ihrem Hauptseminar über die Implementierung von Gender und Diversity in die Didaktik der gymnasialen Unterstufe durchführen.… Die Geigerin da vorne, die mit diesem zarten, feingeschnittenen Gesicht, mit der leichten Röte auf den Wangen, die natürlich von der Aufregung über den Auftritt herrührt, gleicht sie nicht Leonie? Leonie. Daß dieser ekelhafte Kerl von meinem Bruder eine so wunderbare Tochter haben kann, verstehe wer will. Ups, wohin führen mich meine Gedanken? Nein wirklich, Wilhelm – unsere Eltern haben ihm den Namen als Programm gegeben, und leider hat er sie nicht enttäuscht. Jurist und Reserveoffizier ist er geworden,schreibt wirklich rechtsradikale Leserbriefe und sähe seine Tochter am liebsten so schnell wie möglich als Mutter von wenigstens drei Kindern. Dieses zarte Geschöpf! Furchtbar! Dagegen muß man an! Vielleicht sollte ich ihr zusätzlich zum Zeit-Abo noch die Habermas-Reihe schenken. Oder eine Karte für das Willkommens- und Benefizkonzert für die Flüchtlinge mit Herbert Grönemeyer am nächsten Sonntag.

Oh, Gauck kommt langsam zum Schluß. Der Duktus seiner Predigt verläßt den Bereich des Erhabenen und setzt zur Landung auf den launigen Floskeln an, die nun einmal den Übergang einer guten Rede zur Ankündigung des zweiten Musikstücks bilden, das uns jene wunderbaren jungen Menschen nun vortragen werden. Jetzt habe ich gar nicht so richtig darauf geachtet, ob er meinen Text auch unverändert vorgetragen hat… Ich habe es doch wirklich auf den Punkt gebracht, was der Bundespräsident bei dieser Gelegenheit und in diesem Zusammenhang sagt. Ach ja, der Beifall tut gut. Er (eigentlich ich!) hat wieder einmal gesagt, was gesagt werden mußte…

Mozart hat mich dann doch unwiderstehlich aus den Gehirnwindungen dieser Dame herausgezogen. Eigentlich kenne ich sie doch irgendwo her. Habe ich sie nicht neulich in irgendeiner dieser Talkshows gesehen? Hat sie moderiert oder räsoniert? Ist auch egal. Hierhin habe ich mich eh nur verlaufen. Aber die Paulskirche, die war den Besuch trotz allem Wert.

Die Multikulti Nation

Der rapide anschwellende Zustrom (Flut ist politisch nicht korrekt) von Zuwanderern, seien es Asylsuchende, Bürgerkriegsflüchtlinge oder Leute, die bei uns ihr Glück machen wollen, gemeinhin Wirtschaftsmigranten genannt, beherrscht die Schlagzeilen und Leitartikel der Tagespresse ebenso wie die Nachrichtensendungen und politischen Magazine der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten. Inzwischen schimmert auch schon bei dem ein oder anderen Politiker so etwas wie der Ernst der Lage, zumeist aber schlicht Ratlosigkeit durch. Man wurstelt eben vor sich hin und reagiert auf die aktuelle Situation mit immer neuen Aufnahmeeinrichtungen und immer eindringlicheren Appellen an die Bürger, alle diese Leute willkommen zu heißen und Großmut zu zeigen.

Eine neue Qualität hat nun der Bundespräsident in die Debatte gebracht. Jüngst hat er in einem Interview mit dem Bonner Generalanzeiger auf die Frage, ob Flüchtlinge und Zuwanderer auch eine Chance für Deutschland seien, geantwortet:  „Ich sehe das so, ja. Und ich glaube, daß die Diskussion über die Chancen der Zuwanderung an Fahrt gewinnen wird, wenn sich noch mehr Menschen als bisher von dem Bild einer Nation lösen, die sehr homogen ist, in der fast alle Menschen Deutsch als Muttersprache haben, überwiegend christlich sind und hellhäutig… Ich meine, wir müssen Nation neu definieren: als eine Gemeinschaft der Verschiedenen, die allerdings eine gemeinsame Wertebasis zu akzeptieren hat.“ Gauck fordert also allen Ernstes, daß wir uns nicht mehr als Nation in dem Sinne begreifen sollen, der dieser Vokabel sowohl etymologisch (sprachlich) als auch inhaltlich innewohnt. Sprachlich ist das eigentlich völlig unstrittig. Das lateinische Wort „natio“ deckt das Begriffsfeld Geburt, Abstammung, Volksstamm, Volk ab. Deswegen konnte beispielsweise noch der Große Brockhaus in seiner 16. Aufl., erschienen während der fünfziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts, definieren: „Volk, ein altes germanisches Wort, das in sehr vielfältigen, zum Teil sich durchkreuzenden Bedeutungen gebraucht wird, die sich aus dem Begriffswandel im Laufe von Jahrhunderten ergeben. Im politischen Sprachgebrauch sowie im geschichtlichen Sinn ist Volk im wesentlichen gleichbedeutend mit Nation. Ein Volk ist durch gemeinsame geistige und kulturelle Entwicklung, in die das Erbe von Generationen eingegangen ist meist – aber nicht notwendig, zum Beispiel die Schweiz – durch eine gemeinsame Sprache verbunden; dazu tritt in steigendem Maße das Streben nach politischer Einheit.“ Und die Nation wird im Großen Brockhaus damals noch sprachlich in der Tat vom lateinischen natio, also Volk, Volksstamm, von nasci = geboren werden, abgeleitet. „Der Begriff ist seit dem 14. Jahrhundert gebräuchlich für das in einem Land „erborene“ Volk. Die durch Einheit der Sprache und Kulturüberlieferung bestimmte Kulturnation ist unabhängig von staatlichen Grenzen, während die Staatsnation durch die gemeinsame staatlich-politische Entwicklung geformt ist. Seit dem 18. Jahrhundert entwickelte sich die Nation zum Kernbegriff des staatlich-politischen Denkens.“

Im Grundsatzprogramm der CDU aus dem Jahre 1954 ist zu lesen: „Der Mensch wächst aus der Gemeinschaft von Mann und Frau. Sie bilden die Familie. Die Familie weitet sich aus zur Sippe, Gemeinde, und schließlich zum Stamm und Volk. Das Wesensmerkmal des Volkes besteht also nicht in einer quantitativen Vielheit von Menschen. Das wäre Masse. Volk ist mehr. Volk ist eine qualitative Vielheit von Menschen mit folgenden Übereinstimmungen: Sie haben eine Blutsverwandtschaft, sie leben in einem bestimmten Raum, sie sprechen dieselbe Sprache, unter Umständen und in den meisten Fällen haben sie auch die gleiche Geschichte.“ Und noch die weichgespülte Version des Parteiprogramms von 2007 führte dazu aus: „Der Zusammenhalt unserer Gesellschaft hat sein Fundament in unserer Zusammengehörigkeit als Nation. Unsere gemeinsame Sprache, unsere Geschichte sowie das Leben und Handeln in einem wiedervereinten Nationalstaat begründen ein patriotisches Zusammengehörigkeitsgefühl. Wir bekennen uns zu unserer schwarz-rot-goldenen Fahne und zu unserer Nationalhymne als Symbole unserer Demokratie. Die Nation ist eine Verantwortungsgemeinschaft für die Vergangenheit, für die Gegenwart und für die Gestaltung der Zukunft. Jeder, der zu uns kommt und auf Dauer bei uns bleiben will, ist aufgefordert, sich mit diesem Land und seiner Geschichte vertraut zu machen und dadurch seinen Platz im Land zu finden.“

Das alles ist, ohne es so zu definieren und darüber zu reflektieren, die Wahrnehmung der allermeisten von uns. Warum auch sonst fallen sich einander wildfremde Deutsche in die Arme, wenn ihre Fußball-Nationalmannschaft den Weltmeistertitel erringt? Warum ziehen die allermeisten von uns im alltäglichen Leben die gewohnten Speisen vor, auch wenn sie gerne mal Italienisch oder chinesisch essen? Warum konzentriert sich das Mitleid für die Opfer von Naturkatastrophen, Flugzeugabstürzen oder Terroranschlägen grundsätzlich auf die eigenen Landsleute? Die Reihe ließe sich beliebig fortsetzen.

Die offenbar von Gauck, aber auch so manchen anderen Angehörigen der politisch-medialen Klasse propagierte Ausweitung, besser: Ersetzung, des Nationenbegriffs durch eine „Gemeinschaft der Verschiedenen“ ist bei Lichte besehen nichts anderes als die Kopfgeburt einer blutleeren Intellektuellenkaste. Weder die Geschichte, noch die Wirklichkeit geben den stümperhaften Architekten dieses Nationenkonstrukts Recht. Vielmehr zeigt die Erfahrung, daß nur diejenigen Staaten, deren Staatsvolk im wesentlichen homogen war und ist, auf Dauer ungefährdet und harmonisch existieren können. Um nur wenige Beispiele aufzuzählen, seien etwa Finnland, Portugal, Norwegen, Ungarn oder Japan genannt. Vielvölkerstaaten indessen sind regelmäßig gerade an den Konflikten gescheitert, die aus dem Nebeneinander verschiedener Nationen zwangsläufig entstehen. Das vielgerühmte Beispiel der k. und k. Donaumonarchie zeigt, daß dieses Staatswesen nur so lange Bestand haben konnte, wie die führende und beherrschende Nation das ganze zusammen halten konnte. Von einem gleichberechtigten Nebeneinander der verschiedenen Staatsvölker konnte nicht die Rede sein. Vielmehr dominierte der deutsche Anteil, genauer gesagt, das deutsch-österreichische Volk, die übrigen Völker. Auch der spanische Teil der Habsburger Monarchie konnte auf Dauer die Autonomiebestrebungen zum Beispiel der Niederländer, aber auch ihrer überseeischen Kolonien, nicht unterdrücken. China, das bei Lichte besehen durchaus ein Vielvölkerstaat ist (Tibeter, Uiguren, Mandschu, Mongolen) funktioniert nicht nur wegen seiner diktatorischen Staatsform, sondern auch deswegen, weil das Mehrheitsvolk der Han-Chinesen auch quantitativ von erdrückender Dominanz ist. Von dem Vielvölkerstaat Sowjetunion, der nach dem Zusammenbruch des Kommunismus nicht mehr zu halten war und seinem Nachfolgestaat Rußland, der mit seinen ethnischen Minderheiten massive Probleme hat, wollen wir erst gar nicht reden. Ebensowenig von dem multiethnischen Jugoslawien, das nur von der eisernen Faust Titos zusammengehalten werden konnte.  Das hochgelobte Beispiel der USA ist eine nähere Betrachtung wert. Zunächst einmal muß gesehen werden, daß die weißen Einwanderer nach fast vollständiger Ausrottung der Ureinwohner in der Tat ein neues Volk gebildet haben. Das war im wesentlichen angelsächsisch-deutschen Ursprungs. Massive Probleme traten jedoch auf, als in großem Umfang Schwarzafrikaner hinzukamen, und zwar nicht nur deswegen, weil sie zunächst Sklaven waren. Weitere Probleme traten mit der massiven Zuwanderung sogenannter Latinos aus Mexiko und anderen lateinamerikanischen Ländern auf. Man wird nicht ernsthaft bestreiten können, daß die USA bis heute mit Rassenunruhen und ethnischen Konflikten zu kämpfen haben. Konflikte, die in einem Staat mit homogener Bevölkerung erst gar nicht entstehen.

Die naive Vorstellung Gaucks von einer Gemeinschaft der Verschiedenen läßt völlig außer acht, daß mit der derzeitigen massenhaften Zuwanderung von Menschen aus völlig fremden Kulturkreisen Probleme entstehen, die keinen Vergleich mit der in der Tat massenhaften Zuwanderung von Flüchtlingen und Vertriebenen in unser Land nach 1945 aushalten. Kamen damals Menschen aus dem eigenen Volk, mit der gleichen Sprache und Kultur, mit der gleichen Geschichte und Religion, so trifft das alles auf die derzeitige Zuwanderung nicht zu. Vertriebene aus Ostpreußen etwa mußten nicht erst Deutsch lernen, mußten sich nicht erst den deutschen Sitten und Gebräuche anpassen und brachten auch keine andere Religion mit. Demgegenüber handelt es sich bei nahezu allen heutigen Zuwanderern um solche, die nicht nur anders aussehen, als die einheimische Wohnbevölkerung, die nicht nur eine völlig fremde Sprache (mit Englisch oder Französisch käme man ja noch zurecht) als die einheimische Wohnbevölkerung sprechen, die nicht nur aus der Sicht der einheimischen Wohnbevölkerung zum Teil merkwürdige, zum Teil unverständliche und der eigenen Kultur diametral entgegengesetzte Überzeugungen und Verhaltensweisen mitbringen, wie etwa ein extrem patriarchalisches Familienverständnis, und die auch häufig religiösen Vorstellungen anhängen, die nicht nur unseren Wertvorstellungen und Alltagsbräuchen, sondern vielfach auch unseren Gesetzen diametral entgegengesetzt sind. Hinzu kommt, daß diese neuen Bevölkerungsgruppen insbesondere dann, wenn sie über eine gewisse Zahl verfügen, dazu neigen, sich abzukoppeln und Parallelgesellschaften zu bilden. Wir können doch nicht darüber hinwegsehen, daß etwa der Prozentsatz der Türken in zweiter, dritter und vierter Generation, die Ehepartner außerhalb ihrer Ethnie wählen, nach wie vor im geringen einstelligen Bereich verharrt. Man kann nicht ernsthaft behaupten, der in Deutschland real gelebte Islam füge sich problemlos in das Alltagsleben der Deutschen ein. Vielmehr erscheint nach wie vor den allermeisten Deutschen diese Religion fremdartig, ja unwillkommen. Kleidungsvorschriften, die junge Frauen schlicht verunstalten, Speisevorschriften, die mit dem Alltagsleben der Deutschen nicht vereinbar sind, die offen gelebte Ungleichheit von Männern und Frauen, das alles wird doch nicht etwa von der deutschen Mehrheit freudig begrüßt. Demgegenüber war beispielsweise die Integration der Hugenotten im 17. Jahrhundert kein Problem. Es handelte sich bei ihnen nun einmal auch um christliche, hellhäutige Menschen, wie Gauck das ausdrückt, mit einer Kultur – der französischen – die der deutschen doch sehr ähnlich war.

Die Gauck’sche Vorstellung eines Multikulti-Staatsvolks muß schon deswegen scheitern, weil mit Sicherheit die gemeinsame Wertebasis, von der er spricht, nicht entstehen wird, es sei denn, wir Deutschen geben unsere liberalen und rechtsstaatlichen Vorstellungen weitgehend auf. Denn insbesondere Zuwanderer aus islamischen Gesellschaften sind regelmäßig nicht bereit, ihre Wertvorstellungen zugunsten der von ihnen als dekadent empfundenen westlichen Werte aufzugeben. Daran ändern auch die wenigen Verfassungspatrioten, die man auch unter den Abkömmlingen von Zuwanderern bisweilen antrifft, gar nichts. Wer mit offenen Augen durch dieses Land geht, der wird diese Gauck’sche Idee als Hirngespinst abtun. Aber vielleicht führt der Dissens in der Wahrnehmung des Zuwanderungsproblems zwischen Regierenden und Regierten zu der Erkenntnis, die Bertolt Brecht im Jahre 1953 formuliert hat: „Das Volk hat das Vertrauen der Regierung verscherzt. Wäre es da nicht doch einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?“ Der Gauck’sche Vorschlag läuft genau darauf hinaus.