Wir Deutschen mögen es gerne einfach. Deswegen teilen wir auch gerne ein. Hier die Guten, dort die Bösen. Hier die Intelligenten und Kreativen, dort die Dumpfen und Bornierten. Und so läßt sich die sogenannte Flüchtlingsdebatte auch handhaben. Natürlich aus der Sicht der Guten, Intelligenten und Kreativen. Dazu gehören wir doch alle, oder?
So oder ähnlich denken offenbar die Verantwortlichen des Mainzer Staatstheaters. Angesichts einer angemeldeten und – natürlich – nicht verbotenen Demonstration einer politischen Partei auf dem Gutenbergplatz vor dem Staatstheater verfiel man auf die grandiose Idee, einen 120-köpfigen Chor während der Kundgebung die Ode an die Freude von Beethoven/Schiller singen zu lassen. Und das in einer Lautstärke, selbstverständlich bei weit geöffneten Fenstern, daß die Parteivorsitzende während ihrer Rede kaum zu verstehen war. Nicht schwer zu erraten ist, daß es sich bei dieser Partei nicht um die Grünen, sondern um die Alternative für Deutschland handelt, und bei der erwähnten Parteivorsitzenden nicht um Simone Peter, sondern um Frauke Petry. Den Verantwortlichen und wohl auch einer ganzen Anzahl von Mitarbeitern der Mainzer Staatsoper gefällt diese Partei, insbesondere ihre Haltung zur sogenannten Flüchtlingsproblematik, überhaupt nicht. Zur Erläuterung bekannte die Sprecherin des Staatstheaters auch frank und frei: „Wir wollten mit dieser freiwilligen Aktion ein Zeichen setzen. Wir mußten direkt vor unserer Haustür die Kundgebung einer Partei ertragen, die die Ängste vieler Menschen ausnutzt, um daraus Profit zu schlagen. Das haben wir als Provokation empfunden. Wir finden deren Thesen nur schwer erträglich und hatten das dringende Bedürfnis, Stellung zu beziehen. Das Theater ist ja ein Teil der kritischen Öffentlichkeit.“ Auf die Frage, warum man denn nicht einfach an einer Gegendemonstration teilgenommen habe erklärte sie wörtlich: „Wir unterstützen diese Demonstrationen, aber wir wollten mit unseren Mitteln Position beziehen, mit den Mitteln der Musik und mit den Mitteln der Aufklärung. Dieses Musikstück wird von einem unheimlich großen Optimismus getragen. Es sind gerade schwierige Zeiten, viele sehen sich vor gesellschaftliche Herausforderungen gestellt. Es gibt Dinge, für die wir keine Grammatik haben. Unser Ziel war, einen gemeinsamen Optimismus zu entwickeln. Eine neue Kraft und Stärke. Zu zeigen, daß man mit dieser Situation umgehen kann. Das alles vermittelt dieses Lied.“
Damit vermittelt uns diese Dame einen tiefen Einblick in die Denkweise des sogenannten „juste milieu“ in Deutschland, das natürlich gerade unter den Kulturschaffenden viele Mitglieder hat. „Natürlich“ steht man emotional auf der Seite von Flüchtlingen und Verfolgten. Menschen hingegen, die auf die vielen Probleme hinweisen, die mit dieser massenhaften ungesteuerten Zuwanderung verbunden sind, deren Zeugen wir seit Monaten sind, erwecken allenfalls „Ängste“, wenn sie nicht noch Schlimmeres tun. Gegen sie muß also Widerstand geleistet werden. Dabei ist man als Künstler selbstverständlich kreativ und bedient sich in der Eigenwahrnehmung „intelligenter“ Formen des Protestes. Was kann schon Böses an diesem Musikstück sein? Ach Gott, sind wir pfiffig! Daß es sich dabei um ein beträchtliches Maß an Überheblichkeit und Intoleranz handelt, kommt solch wackeren Streitern für eine bessere Welt nicht in den Sinn.
Nicht einmal, als die Polizei mehrfach die im Vollgefühl ihres Edelmutes aus vollem Halse singenden Mitarbeiter des Staatstheaters aufforderte, Rücksicht auf die Teilnehmer der Kundgebung vor dem Hause zu nehmen, die ja immerhin gekommen waren, um die Ansprache von Frau Petry zu hören, ließen sie von dieser Aktion ab. Und nun nimmt man erstaunt zur Kenntnis, daß die Polizei eine Strafanzeige wegen der Störung einer Demonstration erstattet hat! Offenbar benötigen diese Leute etwas Nachhilfe in Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Das Recht, sich friedlich und ohne Waffen unter freiem Himmel zu versammeln, ist ein Grundrecht. Auch jene wackeren Sänger dürften darauf bestehen, demonstrieren zu dürfen. Sie wären auch mit Recht empört, wenn sie bei einer angemeldeten und erlaubten Demonstration von dritter Seite gestört würden, etwa durch akustischen Terror mit Trillerpfeifen. Allerdings kommt es ihnen offenbar überhaupt nicht in den Sinn, daß dieses Grundrecht für alle Deutschen gilt, unabhängig von ihren politischen oder sonstigen Anliegen. Und es gilt auch ganz unabhängig vom politischen Inhalt, der durch diese Demonstration allgemein bekannt gemacht werden soll. Und das gilt selbstverständlich auch für Parteien und Organisationen, die nicht jedermann mag oder gar unterstützen würde. Nein, das gilt auch für solche Demonstranten, deren Anliegen man selbst für unbegründet, falsch oder gar schädlich hält. Man hat es halt zu dulden, weil die Ausübung der Grundrechte eben jedermann freisteht, soweit nicht Belange der öffentlichen Sicherheit und Ordnung entgegenstehen, oder soweit verfassungsfeindliche Inhalte propagiert werden. Das alles war hier ganz offensichtlich nicht der Fall, weswegen die Polizei zurecht das Verhalten dieser unrühmlichen Mainzer Hofsänger beanstandet und Strafanzeige gegen sie erstattet hat.
Der Vorgang wirft ein Schlaglicht auf das Meinungsklima in Deutschland. Wir erleben einen Gesinnungsterror der in ihrer Selbstwahrnehmung Anständigen, Aufgeklärten und Guten. Wenn nach den Feststellungen des Allensbacher Meinungsforschungsinstituts inzwischen 45 % der Befragten es ablehnen, Antworten auf politische Fragestellungen, insbesondere im Zusammenhang der sogenannten Flüchtlingskrise, zu geben, weil sie befürchten, daß bekannt wird, welche Auffassung sie zu diesen Themen haben, dann sind wir auf dem geraden Wege in die Meinungsdiktatur. In diesem Zusammenhang sei den Verantwortlichen für diese keineswegs intelligente, sondern mit Verlaub gesagt, saudumme Aktion weiter folgendes ins Stammbuch geschrieben:
Woher wissen Sie denn eigentlich, daß alle Sänger Ihres Hauses in der sogenannten Flüchtlingsfrage Ihre Meinung teilen? Könnte es nicht sein, daß nicht wenige unter ihnen entweder gar keine Meinung zu diesem Thema haben, oder eine solche, die nicht sehr weit von dem entfernt ist, was die AfD vertritt? Immerhin vertreten ja auch politische Parteien zur Gänze (CSU) oder in Teilen (CDU) dazu Standpunkte, die nicht weit entfernt von dem der AfD, aber sehr weit entfernt von dem der Bundeskanzlerin und noch viel weiter entfernt von den Vorstellungen gewisser Intellektueller und Kulturschaffender in Deutschland sind. Meinen Sie nicht, daß der Aufruf zu einer solchen „spontanen“ Gesangseinlage so manches Ensemblemitglied unter einen Gruppenzwang setzt, dem man sich einfach nicht entziehen kann? Meinen Sie nicht, daß so manches Ensemblemitglied seine politische Meinung für sich behalten und nicht vor seinen Kollegen rechtfertigen möchte? Welches Menschenbild ist denn das, das jeden, der eine andere Meinung hat, aus dem Kreis der anständigen, aufgeklärten und kultivierten Künstler ausschließt? Und wie ist das eigentlich mit der Neutralitätspflicht des Staates? Ist nicht auch ein Staatstheater wie jede andere staatliche Einrichtung zur politischen Neutralität verpflichtet? Und nicht zuletzt: Sie beschimpfen einen großen Teil der Besucher Ihres Hauses. Denn unter den Mitgliedern, Anhängern und Wählern der AfD sind die Akademiker, Freiberufler und Kulturinteressierten immer noch klar in der Mehrheit, insbesondere in den Jahrgängen jenseits der jugendlichen Konsumenten von Pop und Rock. Letztere allerdings finden sich überproportional unter Anhängern der Grünen und anderer Linksparteien. Überspitzt gesagt, könnte man formulieren: Zwischen den Künstlern und ihrem Publikum ist nicht nur der Orchestergraben!
Im „K(r)ampf gegen Rechts“ ist offenbar alles erlaubt. Herr Staatsanwalt, übernehmen Sie! Der Rechtsstaat muß gelegentlich auch gegen die verteidigt werden, die sich im Recht wähnen, weil sie „Rechte“ bekämpfen, indem sie ihnen ihre Rechte nehmen.