Der Titanwurz

Abnormes fasziniert. In manchen botanischen Gärten zeigt sich derzeit der Titanwurz (Amorphophallus titanum) in voller Blüte und ganzer Größe. Trotz seines üblen Aasgeruchs strömen die Besucher in die botanischen Gärten, um sich an diesem Spektakel zu ergötzen. Nach dem Eintrag bei Wikipedia, dem man in derart unverfänglichen Dingen wie der Botanik ausnahmsweise trauen darf, ist der Titanwurz eine auf Sumatra heimische Pflanzenart, die zur Familie der Aronstabgewächse gehört. Sie bringt den größten unverzweigten Blütenstand im Pflanzenreich hervor. Die bis zu 3 m hohe Blume sondert einen an den Urwald angepassten Aasgeruch ab und lockt damit Kurzflügler und Aaskäfer an, die für ihre Bestäubung sorgen. Die Tiere kriechen in die Spahta (das ist der offensichtlich von dem römischen Langschwert abgeleitete Name für den auffällig phallusartigen Hochschaft der Blüte) hinab, um dort ihre Eier zu legen und sichern auf diese Weise die Bestäubung. Die Larven müssen jedoch nach dem Schlüpfen verhungern.

Das Bild dieser eigenartigen Pflanze und ihres staunenden Publikums erscheint unwillkürlich, wenn man sich mit dem Fall des baden-württembergischen Landtagsabgeordneten der AfD namens Wolfgang Gedeon befaßt. Dieser Zeitgenosse hat ja vor seiner Entsendung in das baden-württembergische Landesparlament durch eine erkleckliche Zahl von Wählern Schriften verfaßt, die mit der Beschreibung als antisemitisch nur unzureichend klassifiziert werden. Sie sind nämlich darüberhinaus auch von einer esoterischen Absonderlichkeit, die wenig schmeichelhafte Schlüsse auf den Geisteszustand ihres Verfassers nahe legt. Dies erst recht nach den in der Tat intellektuell erbärmlichen Versuchen des Abgeordneten auf seiner Internetseite, sie als seriöse wissenschaftliche Arbeiten vorzustellen.

Nun hat zu Recht der Fraktionsvorsitzende Jörg Meuthen von seiner Fraktion verlangt, dieses Mitglied auszuschließen. Dem ist nun Gedeon offensichtlich vorläufig dadurch zuvorgekommen, daß er seine Mitgliedschaft in der Fraktion ruhen läßt. Nun werden die Fachjuristen zu prüfen haben, ob das auf Dauer einem förmlichen Ausschluß oder dem förmlichen Austritt entgegensteht. Bis das geklärt ist, sollen drei Monate ins Land gehen, in denen durch einen Gutachter festgestellt werden soll, ob die Schreibereien des Herrn Gedeon tatsächlich antisemitisch und damit sowohl mit dem Grundgesetz als auch mit dem gesellschaftlichen Konsens in diesem Lande unvereinbar sind. Nun hat ja bereits der Philosoph Marc Jongen in der Jungen Freiheit vom 20.06.2016 ausführlich dargelegt, daß dem natürlich so ist, und deswegen an einem Ausschluß des Herrn Gedeon aus Partei und Fraktion kein Weg vorbei führen kann. Offenbar haben jedoch einige Fraktionsmitglieder insoweit Bedenken. Deswegen muß ein Gutachter her. Nun gibt es sicherlich häufig Sachverhalte, die man aus gutem Grund erst einmal einen Sachverständigen beurteilen läßt, bevor man sich für die eine oder andere Option entscheidet. Indessen gibt es aber auch Sachverhalte, in denen die Einschaltung eines Gutachters absolut entbehrlich ist. So wird man einen Gutachter nicht benötigen um festzustellen, daß ein erheblicher baulicher Mangel vorliegt, wenn es durch das Dach eines Hauses hineinregnet. Und so liegen die Dinge hier.

Und deswegen drängt sich das Bild des Titanwurz auf. Er ist unübersehbar und stinkt bestialisch. Niemand kann das anders sehen und empfinden. Dennoch scheint gerade dieses stinkende Naturschauspiel auf viele Menschen eine gewisse Faszination auszuüben. Auch wenn diese bizarre Pflanze in unseren Regionen außerhalb botanischer Gärten gar nicht existieren kann, hält man sie dort für das sensationslüsterne Publikum vor. Ähnlich ist es wohl auch mit solchen intellektuellen Mißbildungen wie den krausen Theorien eines Herrn Gedeon und ähnlicher Wirrköpfe. Auf einen gewissen Teil des Publikums üben sie eine eigentlich nur pathologisch zu nennende Faszination aus. Man kann das dabei belassen, wenn man derartige Stinkblüten menschlicher Gehirne in den mit entsprechenden Warnhinweisen umgebenen Bezirken der elektronischen wie haptischen Bibliotheken beläßt. Denn der Wissensdurst der Menschen auch in Richtung auf das Abstruse, Bizarre und Groteske ist von unserem Grundgesetz durchaus geschützt. Daß derartige Faulgase von Denkvorgängen ernsthaft das klare Denken der überwältigenden Mehrheit unseres oder anderer Völker beeinträchtigen könnten, ist völlig ausgeschlossen. Die wenigen gedanklichen Kurzflügler und mentalen Aaskäfer, die in das Innere dieser abstrusen Gedankenwelt hinabkriechen, erleiden ja bildlich gesprochen das Schicksal der Larven, die am Boden jener stinkenden Blüte verhungern.

Für den kollektiven Geisteszustand der Deutschen geht von Zeitgenossen wie jenem Herrn Gedeon sicherlich keine Gefahr aus, auch wenn die Masse der politisch korrekten Zeitgenossen mit gut dotierten Redaktionsverträgen, Lehrstühlen und Parlamentsmandaten das natürlich „pflichtschuldigst“ anders beurteilt und den Popanz des wiederauferstandenen Hitler, mindestens aber Alfred Rosenberg, an die medialen Wände malen wird. Seine Partei jedoch, der es nicht gelungen ist, ihn mit der dynamischen Wucht eines gut geschossenen Elfmeters aus ihren Reihen hinaus zu katapultieren, dürfte gut beraten sein, ohne weitere Diskussionen das vorhersehbare Ergebnis der Begutachtung abzuwarten und sodann danach zu handeln. Da es sich offenbar um eine einvernehmliche Lösung handelt, wäre damit wenigstens ein ebenso peinlicher wie überflüssiger Rechtsstreit vermieden worden.

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