Archiv für den Monat: Dezember 2018

Aus dem Deutschen Bundestag

Am 01.12.2018 habe ich wegen der Vorgänge um die gescheiterte Wahl für das Amt einer Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages die Nürnberger Abgeordneten des Hohen Hauses angeschrieben. Nun hat am 10.12.2018 immerhin einer der angeschriebenen Abgeordneten geantwortet. Den Text gebe ich nachstehend wieder:

Sehr geehrter Herr Thesen,

Vielen Dank für Ihr Schreiben vom 1. Dezember 2018 zur Wahlniederlage von Frau Maria Harder-Kühnel MdB. Der Bundestag hatte in seiner konstituierenden Sitzung am 24. Oktober 2017 beschlossen, dass jede Fraktion einen Bundestagsvizepräsidenten oder eine Bundestagsvizepräsidentin stellen kann.

Die CSU Landesgruppe hatte die Abstimmung freigegeben. Für andere Fraktionen kann ich nicht sprechen. Es ist auch nicht an mir, die Wahlentscheidung von frei gewählten Abgeordneten zu kommentieren. Für das Bundestagspräsidium wird in geheimer Wahl abgestimmt. Das ist richtig und wichtig. Das Parlament muss sich nicht nach dem Gutdünken von jeder Fraktion einen Präsidiumsmitglied “ vorsetzen“ lassen. Es kann frei entscheiden.

Ich persönlich würde keinen Kandidaten per se deswegen ablehnen, weil er der AfD Fraktion angehört. Schon allein deshalb, weil die AfD den Posten seit dem Scheitern von Herrn Glaser bewusst unbesetzt ließ, damit sie sich beklagen konnte, sie werde unfair behandelt. Alexander Gauland wartete bewusst bis nach den Landtagswahlen im Herbst, bevor eine neue Kandidatin nominiert wurde. Auch jetzt werden die Wahlgänge öffentlichkeitswirksam auf mehrere Wochen verteilt, um ein Maximum an Aufmerksamkeit zu erzielen.

Die AfD hat keinen einzigen zustimmungswürdigen Gesetzesentwurf auf den Weg gebracht und kennt nur ein einziges Thema Migration. In Sachfragen kann sie nicht überzeugen und verlegt sich deswegen auf taktische Spielchen. Dieses Vorgehen halte ich für wenig demokratisch. Wir sollten uns alle auf die inhaltliche Arbeit konzentrieren

.Mit freundlichen Grüßen

Michael Frieser, MDB

Das konnte nicht ohne Antwort bleiben. Am 13.12.2018 erhielt der Abgeordnete daher auch folgenden Brief:

Sehr geehrter Herr Frieser,

vielen Dank für Ihr Schreiben vom 10.12.2018. Sie haben als einziger Adressat meines Schreibens vom 01.12.2018 geantwortet. Im Gegensatz zu Ihren Kollegen nehmen Sie somit Bürger ernst, die sich mit einem sachlichen Anliegen an Sie wenden.

In der Sache selbst ist Ihre Antwort indessen enttäuschend. Sie verfehlen das Thema und argumentieren ausschließlich politisch. Der von Ihnen erwähnte Beschluß des Bundestages in seiner konstituierenden Sitzung am 24. Oktober 2017 bestätigt lediglich die von mir zitierte Regelung in § 2 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages. Die Rechtslage ist klar:  Jede Fraktion stellt ein Mitglied des Präsidiums. Weitere Bedingungen als den Vorschlag der jeweiligen Fraktion knüpft die Geschäftsordnung an die Auswahl dieser Person nicht. Die Handhabung dieser Bestimmung in den Legislaturperioden nach 1994 war denn auch stets so, daß die jeweils von ihren Fraktionen vorgeschlagenen Abgeordneten vom Plenum in das Präsidium des Deutschen Bundestages entsandt wurden. Als Jurist wissen Sie, daß die langjährige Übung der Vertragsparteien oder auch der rechtsanwendenden Behörden bei der Auslegung eines Vertrags- oder Gesetzestextes maßgeblich ist. Eine Abweichung davon im Einzelfall bedarf eines wichtigen Grundes. So könnte man wohl einen Abgeordneten ablehnen, von dem bekannt geworden ist, daß er sich persönliche Verfehlungen wie etwa Straftaten vorwerfen lassen muß. Politische Wertungen indessen können einen solchen wichtigen Grund niemals darstellen, denn die politische Argumentation ist der praktischen parlamentarischen Arbeit wesenseigen. Dort gehören politische Argumente hin.

Zu Ihrer politischen Argumentation ist daher zunächst zu sagen, daß dahinstehen kann, ob sie sachlich zutreffend ist. Denn, wie oben ausgeführt, kann eine Abweichung von der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages insoweit nur juristisch, nicht aber politisch begründet werden. Darüber hinaus bleibt es dabei, daß Sie mit der Ausgrenzung der AfD-Fraktion auch die rund 5,8 Millionen Wähler stigmatisieren, die diese Partei gewählt haben. Das wissen Sie auch, und gehen deswegen auf dieses Argument aus meinem Schreiben vom 01.12.2018 nicht ein.

Indessen können auch die vorgetragenen politischen Argumente nicht unwidersprochen bleiben. Soweit Sie der AfD-Fraktion vorwerfen, politisch zu taktieren, fällt dieser Vorwurf auf Sie selbst zurück. Sie räumen ja ein, daß Ihre Fraktion jedenfalls mehrheitlich wie auch die anderen Fraktionen des Hohen Hauses ihre Entscheidung, Frau Harder-Kühnel nicht zu wählen, aus politischen Erwägungen heraus getroffen hat. Soweit Sie rügen, daß die AfD den Posten des Vizepräsidenten „seit dem Scheitern von Herrn Glaser bewußt unbesetzt ließ“ – wohl ein Freud’scher Versprecher, denn damit erkennen Sie an, daß die Fraktionen praktisch die Person des Vizepräsidenten bestimmen – verwechseln Sie hier auch Ursache und Wirkung. Hätte sich das Plenum damals verhalten, wie in den Legislaturperioden zuvor, hätten wir diese Situation ja nicht. Soweit Sie rügen, daß die AfD bisher keinen einzigen zustimmungswürdigen – auch eine politische Wertung – Gesetzentwurf auf den Weg gebracht habe, mag das ja in Ihren Augen so sein, kann jedoch keine Begründung dafür sein, ihre Kandidatin für einen Sitz im Präsidium nicht zu wählen. Aufgabe des Präsidium ist ja nicht die Einbringung von Gesetzesvorlagen, sondern darauf zu achten, daß die Sitzungen dieses Parlaments geordnet und möglichst reibungslos ablaufen. Soweit Sie ihr vorwerfen, sie kenne nur ein einziges Thema: Migration, so ist das zum einen in dieser Absolutheit offensichtlich nicht richtig.So hat diese Fraktion bereits vor vier Wochen beantragt, wegen der fragwürdigen Praxis des Bundesministeriums der Verteidigung bei der Bestellung externer Sachverständiger einen Untersuchungsausschuß einzusetzen. Nun haben soeben die anderen Oppositionsfraktionen eben einen solchen Beschluß gefaßt. Als Bürger macht man sich da schon so seine Gedanken. Vor allem aber klingt ein solches Monium aus der Feder eines Abgeordneten der Partei merkwürdig, deren Vorsitzender noch im Sommer dieses Jahres die Flüchtlingsproblematik als „die Mutter aller politischen Probleme“ bezeichnet hat.

Die Besetzung des Präsidiums des Deutschen Bundestages sollte eben nicht Gegenstand taktischer Spielchen sein, und auch nicht dazu dienen, eine Fraktion politisch „vorzuführen“. Mit der Würde des Parlaments ist das nicht vereinbar.

Mit freundlichen Grüßen

Rainer Thesen

Die Beurteilung der Qualität dieser Texte überlasse ich natürlich Ihnen, meine geneigten Leser, denn dieser Blog heißt ja bekanntlich sapere aude. Und ich gehe auch davon aus, daß meine Leserschaft sich dadurch auszeichnet, daß sie selbständig zu denken gewohnt ist.


Auf dem Narrenschiff

Josef Kraus ist ein scharfsichtiger Beobachter des Zeitgeschehens. 30 Jahre lang war er Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, daneben leitete er viele Jahre ein Gymnasium. Man kann also sagen, daß er von Erziehung etwas versteht. Sein Ruhestand ist glücklicherweise eher ein Unruhestand. Er teilt seine Beobachtungen einem breiteren Publikum mit, vor allem auf Tichys Einblick. Seine Beiträge liest man gern und mit Gewinn.

Nun berichtet er wirklich Unglaubliches von dem Narrenschiff, zu dem die akademische Welt offenbar geworden ist. An einer Hochschule für angewandte Wissenschaften, wie die Fachhochschulen inzwischen heißen, im idyllischen Coburg, lehrt eine Professorin namens Claudia Lohrenscheit. Studenten, im Neusprech: Studierende, hören dort Vorlesungen über „Internationale soziale Arbeit“ und “ Menschenrechte“. Nun fragt man sich angesichts dieses doch offenbar sehr schmalen Gebiets von Lehre und Forschung, ob das auch eine Professur mit entsprechendem personellen und sachlichen Apparat rechtfertigt. Mir scheint doch, daß es sich dabei um einen kleinen Ausschnitt der Politikwissenschaften mit einem soziologischen Einsprengsel handelt. Als Jurist wundere ich mich darüber hinaus darüber, wie man als Nichtjuristin über ein Rechtsthema wie die Menschenrechte akademisch dozieren kann. Frau Lohrenscheit würde es sicherlich nicht wagen, ohne komplettes Jurastudium und zwei Staatsexamina etwa über Grundpfandrechte, Vermögensdelikte oder das öffentliche Baurecht akademisch zu lehren. Bei den Menschenrechten scheint ihr das möglich zu sein, weswegen man auch den Verdacht hegen muß, daß es sich dabei eher um politisches Gelaber handelt.

Diese Dame fordert nun ganz aktuell das Wahlrecht für Grundschüler. Ja, Sie lesen richtig. Grundschüler sollen Gemeinderäte wie auch Abgeordnete des Deutschen Bundestages, Bezirksräte wie auch Abgeordnete der Landtage wählen. Das impliziert, daß sie dies selbstverständlich selbständig und geheim tun sollen. Mit dem allgemeinen und freien Wahlrecht wäre es schließlich unvereinbar, wenn etwa die Eltern ihren Kindern dabei in der Wahlkabine oder im Falle der Briefwahl am Küchentisch helfen würden. Im Falle von Frau Prof. Dr. Lohrenscheit kann ich mir allerdings vorstellen, daß ihr eine Wahlhilfe durch Organisationen wie die Rosa-Luxemburg-Stiftung, der sie offenbar so nahe steht, daß sie auf ihrer Homepage erwähnt wird, oder, besser noch, durch die Amadeu-Antonio-Stiftung lieber wäre. Denn dann wäre ja gewährleistet, daß die lieben Kleinen „antifaschistisch“ wählen und ihr Wahlverhalten nicht an dem ihrer „reaktionären“ Eltern ausrichten..

Denn Frau Professor hat ausweislich der Internetseite ihrer Hochschule da ganz spezielle Interessens- und Wissensgebiete, wie die angekündigten Lehrveranstaltungen zeigen:

„Politik und Menschenrechte“, „Interkulturelle Öffnung“, „Gender, Inklusion, Diversity“, „Anti-Rassismus“, „Diskriminierungsschutz“ und „Sexuelle Selbstbestimmungsrechte“.

Die Frage, ob diese famose Wissenschaftlerin vielleicht selbst Kinder hat, an deren Entwicklung sie in natura studieren könnte, ob man im Alter zwischen sechs und zehn Jahren überhaupt begreift, was Politik und was demokratische Wahlen sind, kann man sich wohl eher sparen. Denn Frau Prof. Lohrenscheit gehört nach ihren Angaben dem Verein intersexueller Menschen an. Dagegen ist an sich nichts zu erinnern. Sie selbst erklärt in einem Wahlaufruf zur bayerischen Landtagswahl, daß es sich bei der Intersexualität um eine Spielart von Mutter Natur handelt, weswegen man an solchen Menschen auch tunlichst nicht herumoperieren oder medikamentös therapieren sollte. Doch ist es eben eine sehr sehr seltene Spielart von Mutter Natur. Man könnte auch sagen, Mutter Natur hat diesen Menschen einen Streich gespielt, einen üblen zumal. Denn die Abweichung von der im mathematisch-statistischen Sinne Normalität ist für die betroffenen Menschen regelmäßig eher eine Last als ein Gewinn an Lebensqualität. Man muß halt damit leben, und kann damit auch in Würde leben, ohne diese Veranlagung, oder sollen wir sagen, Abweichung, wie eine Monstranz vor sich her zu tragen und daraus politische Forderungen abzuleiten.

Es ist sicherlich nicht einfach, damit fertig zu werden, daß die Natur einem ein Familienleben versagt hat, wie es die allermeisten Menschen führen, jedenfalls führen können. Hilfskonstrukte, wie die Adoption fremder Kinder, oder gar per künstlicher Befruchtung der Partnerin erzeugter Kinder, können das zum einen nicht aufwiegen, zum anderen halte ich das auch für einen überheblichen Versuch, die Schöpfung zu korrigieren, von der damit einhergehenden Belastung dieser Kinder mit einer mindestens sehr komplizierten Biografie einmal ganz abgesehen. Indessen erleben wir es ja auch bei der Homosexuellenbewegung, daß es Leute gibt, die diesen biologischen Nachteil und daraus nicht selten resultierenden Minderwertigkeitskomplex damit kompensieren wollen, daß sie daraus ein politisches Programm, selbstverständlich im Sinne von Emanzipation und Liberalität machen, statt schlicht und einfach selbstbewußt zu sagen, ich bin nun mal so, und so ist es eben.

Doch ist der Vorgang symptomatisch für die Narretei, die sich über die Hochschulen, ausgenommen natürlich die sogenannten MINT- Fächer, in die Gesellschaft verbreitet hat wie ein Hochwasser in den Flußauen. Nicht einmal vor der Juristerei macht dergleichen Narretei halt, wie man an der Person der Richterin des Bundesverfassungsgerichts Prof. Susanne Baer sehen kann. Ärgerlich und bedenklich dabei ist, daß inzwischen Generationen von Studenten durch solche Dozenten geprägt und verdorben werden. Denn was ex kathedra verkündet wird, ist nicht nur für den gläubigen Katholiken Richtschnur, sondern was vom Katheder im Hochschulhörsaal verkündet wird, ist für die künftigen Akademiker ebenso verbindlich, nicht zuletzt, weil man es eben in der Prüfung so und nicht anders zu Papier bringen muß. Wenn man dergleichen geistige Prägung überhaupt einmal ablegt, so dauert das Jahre. Denn man ist schließlich damit beschäftigt, erst einmal beruflich Fuß zu fassen. Ein kritisches Hinterfragen des Gelernten kommt, wenn überhaupt, erst Jahre später.

Nicht nur aus Sparsamkeitsgründen wäre eine kritische Durchsicht des Lehrstoffs unserer Hochschulen mehr als notwendig. Letztendlich geht es um die Prägung unserer jungen Generationen. Und da ist es unverantwortlich, sie mit politmodischem Unfug zu indoktrinieren.

Spezialdemokraten

Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich, so formuliert es unsere Verfassung. In der Politik gilt das offensichtlich nicht. Nachstehend dokumentiere ich einen Vorgang, der in Deutschland erstaunlicherweise keinen Entrüstungssturm ausgelöst hat, sondern von  der Masse der Stimmbürger offenbar gleichgültig hingenommen wird. Es geht um die gescheiterte Wahl zur Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages am 29.11.2018. Ich habe mir deswegen erlaubt, am 01.12.2018 die Abgeordneten des Deutschen Bundestages aus Nürnberg, wo ich ja seit Jahrzehnten lebe, anzuschreiben. Nachstehend der Wortlaut dieses Briefs, der allen Adressaten am gleichen Tage per e-mail zugegangen ist:

An die Abgeordneten des Deutschen Bundestages aus Nürnberg Sebastian Brehm, Martin Burkert, Michael Frieser, Gabriela heinrich und Katja Hessel

Wahl zur Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,

ich wende mich an Sie als Abgeordnete des Deutschen Bundestages aus der Stadt, in der ich seit Jahrzehnten wohne und arbeite.  Falls Sie wider Erwarten im Adressfeld Ihren Nürnberger Kollegen Martin Sichert vermissen sollten, so ist diese Fehlstelle dadurch begründet, daß dieses Schreiben ihn mit Sicherheit nicht betrifft.

Am 29.11.2018 stellte sich die Abgeordnete Maria  Harder-Kühnel (AfD) für den noch vakanten und ihrer Fraktion zustehenden Sitz im Präsidium des Deutschen Bundestages zur Wahl. Sie erhielt 223 von 654 abgegebenen Stimmen; gegen sie votierten 387 Mitglieder des Hohen Hauses, 44 enthielten sich.

Der Vorgang ist so bemerkenswert wie ärgerlich. Unstrittig entspricht es der parlamentarischen Übung und ist mit Beschluß des Plenums vom 10.11.1994 in § 2 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages festgehalten, daß „jede Fraktion des Deutschen Bundestages durch mindestens einen Vizepräsidenten oder eine Vizepräsidentin im Präsidium vertreten ist.“ Das ist seither auch immer so gehandhabt worden, auch wenn es anfänglich im Falle der ehemaligen SED (nach mehrfacher Namensänderung nunmehr „Die Linke“) damit etwas geholpert hat hat. Die Benennung der Kandidaten für dieses Amt ist das Recht der Fraktionen. Bisher hat man das auch respektiert.

Im Falle der AfD ist das nun offenbar anders.  Hier hat sich die Mehrheit des Hohen Hauses erst einmal in drei Wahlgängen geweigert, den von seiner Fraktion vorgeschlagenen Abgeordneten Albrecht  Glaser zu wählen. Seine Aussagen über den Islam stünden der Wahl zum Vizepräsidenten entgegen. Welche genau, erschließt sich im übrigen nicht. Strafbare waren offenbar nicht darunter, denn von einschlägigen staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen oder gar einem Hauptverfahren vor einem ordentlichen Gericht ist nichts bekannt geworden. Nun hat sich die Rechtsanwältin Maria Harder-Kühnel zur Wahl gestellt. Was sie für die Mehrheit der Abgeordneten nicht für das Amt einer Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages geeignet erscheinen läßt, bleibt zwar nicht völlig im Dunkeln, sondern ist wohl im  Nebel der üblichen Diffamierungen ihrer Partei wenigstens schemenhaft zu erkennen: Man hält ihre Partei eben für undemokratisch, ja sogar „offen nationalsozialistisch“ und was der Invektiven mehr sind.

Das ist skandalös. Zunächst einmal haben immerhin 5.878.115 Wähler am 24.09.2017 dieser Partei ihre Zweitstimme gegeben. Da wir wohl – hoffentlich – übereinstimmend der Meinung sind, daß es sich dabei wie auch bei allen anderen Wählern um mündige Bürger gehandelt hat, die ihre Wahl nach sorgfältiger Prüfung der Parteiprogramme und Aussagen der jeweiligen zur Wahl stehenden Kandidaten getroffen haben, implizieren derartige Zuschreibungen denknotwendig, daß sie nicht nur für diese Partei, sondern auch für ihre Wähler gelten. Mit anderen Worten: Wer einer Partei verfassungsfeindliche Bestrebungen zuschreibt, der tut das damit auch in Ansehung ihrer Wähler. Man beleidigt also in der Praxis tagtäglich mehr als 5,8 Millionen Menschen dieses Landes, das sind mehr als Berlin und Hamburg zusammen und deutlich mehr als Sachsen und Rheinland-Pfalz je für sich Einwohner haben.  Ja man beleidigt sie, denn auf der Skala der verachtungswürdigen Personen kommt in Deutschland der Nazi noch vor dem Kinderschänder auf Platz 1.

Was im übrigen das Verdikt der Verfassungsfeindlichkeit angeht, so steht dieses Urteil allein dem Bundesverfassungsgericht zu, wie Sie wissen. Es ist daher auch eine Anmaßung sondersgleichen,, wenn Politiker (und Journalisten) sich derartig über eine politische Partei äußern, gegen die noch nicht einmal ein derartiges Verfahren anhängig ist.

Das Verhalten der Mehrheit der Abgeordneten des Deutschen Bundestages gegenüber ihrer Kollegin Maria Harder-Kühnel ist daher nur als undemokratisch, ja unanständig zu bewerten. Natürlich liegt auch gegen sie nichts dergleichen vor, vielmehr hat auch sie als Rechtsanwältin gemäß § 12a BRAO geschworen, die verfassungsmäßige Ordnung zu wahren. Davon, daß sie dem bisher nicht entsprochen hätte und etwa deswegen gegen sie ein berufsrechtliches Verfahren eingeleitet worden wäre, ist nichts bekannt.

Selbst wenn auf die Partei von Frau Harder-Kühnel der Vorwurf des Populismus zuträfe, rechtfertigte das keinesfalls, sie als Paria zu behandeln, wie das die politisch korrekte Einstellung wohl fordert. Denn zum einen kann nach Ralf Dahrendorf der Populismus-Vorwurf selbst populistisch, ein demagogischer Ersatz für Argumente sein. Zum anderen erwarten wir Bürger von unseren gewählten Abgeordneten zu Recht, daß sie stets das Sachargument ins Feld führen, egal gegen wen, und sich der Argumente ad personam oder gar in personam enthalten. Denn wir wollen wissen, was einem Argument entgegensteht oder dafür spricht, damit wir wiederum die Sacharbeit unserer Abgeordneten beurteilen können. Das steht uns, dem Volk, als dem demokratischen Souverän einfach zu. Und erst recht können wir erwarten, daß ein so unwürdiges „Ätschi-Bätschi-Spiel“ wie in diesem Falle unterbleibt. Denn das ist nicht nur undemokratisch und unanständig, sondern es beschädigt auch das Ansehen unserer Demokratie.

Mit freundlichen Grüßen

Rainer Thesen

P.S. Sie werden – je nach politischer Sozialisation auch mit Verärgerung – zur Kenntnis genommen haben, daß ich stets den einheitlichen, generisch maskulinen Plural benutze. Das ist keine Geringschätzung des biologischen weiblichen Geschlechts. Vielmehr habe ich mich in meiner Muttersprache „unfallfrei“ zu verständigen gelernt, bevor solche Torheiten wie der gespaltene Plural die deutsche Sprache usurpiert haben. Die traditionelle Sprech-und Schreibweise ist eben ganz einfach flüssig statt holprig.

 

Bis heute hat keiner der angeschriebenen Nürnberger Abgeordneten dieses Schreiben beantwortet. Es ist wohl nur „vox populi“ und damit nach Franz Josef Strauß „vox Rindvieh“. Oder, um einen Repräsentanten des alten Preußen zu zitieren: „Es ist dem Untertanen untersagt, den Maßstab seiner beschränkten Einsicht an die Handlungen der Obrigkeit anzulegen“. (Gustav von Rochow, Preußischer Innenminister und Staatsminister 1792-1847). Es hat sich also nichts geändert.

Sollte wider Erwarten doch noch eine Antwort bei mir eingehen, so werde ich diese natürlich veröffentlichen.

 

 

 

Europa – warum?

Zu den politischen Gewissheiten, die Journalisten und Politiker wie ein Mantra ihren Verlautbarungen einzufügen pflegen, gehört die Beschwörung eines vereinten Europa. Mehr Europa, so scheint es, ist nicht nur die Lösung aller aktuellen Probleme. Nein, mehr Europa,, das ist eine historische Gesetzmäßigkeit. Mehr Europa, das ist die Garantie des ewigen Friedens, verbunden mit wachsendem Wohlstand für alle Bewohner der Landmasse zwischen Nordkap und Kreta, der Staaten von Irland im Westen bis Ungarn im Osten. Doch bei so viel Gewissheit sollten nachdenkliche Menschen hin und wieder Zweifel anmelden. Denn  nicht einmal in den Naturwissenschaften gibt es durchgehend unhinterfragbare und nicht mehr widerlegbare Gewissheiten. Umso mehr muß dies für die von vielen Faktoren bestimmte Entwicklung der Menschheit und ihrer politischen Systeme gelten.  Wer Gewißheiten infrage stellt, kann leicht als Ketzer angesehen werden. In früheren Jahrhunderten endeten Ketzer nicht selten auf dem Scheiterhaufen. In unserer Zeit, so scheint es, ist man natürlich schon weiter und begnügt sich mit dem virtuellen Scheiterhaufen, sprich, der Erklärung zur Unperson. Gerade in Deutschland gibt es dafür ja nun einmal aktuelle Beispiele genug. Stellvertretend für alle will ich nur Thilo Sarrazin erwähnen.

In ihrer Europa-Begeisterung lassen sich die deutschen Journalisten und Politiker von niemandem  übertreffen. Das muß nicht weiter ausgeführt werden. Wer dagegen einwendet, es sei doch eher der französische Präsident Macron, der derzeit die europäische Einigung vorantreibt, der hat offenbar immer noch nicht begriffen, daß französische Politiker stets Frankreich meinen, wenn sie Europa sagen.

Doch woran liegt es, daß gerade in Deutschland die Bereitschaft so groß ist, nationale Souveränität Stück für Stück an Europa  abzugeben? Eine Erklärung liegt sicherlich darin, daß unter deutschen Politikern, mehr noch unter ihren journalistischen Büchsenspannern, der Gedanke außerordentlich virulent ist, die Nationen überhaupt aufzulösen und in einer europäischen, besser noch Weltbevölkerung aufgehen zu lassen. Mit einem Schlage wären dann doch alle  nationalistisch grundierten Spannungen und Feindschaften beseitigt,  eine friedliche Masse von Konsumenten ohne Erinnerung an die finstere Vergangenheit wandelte entspannt und glücklich durch das Elysium, in das sich auf diese Weise die Erde verwandelt hätte. Hinzu kommt noch, daß infolge mangelnden, oft sogar völlig fehlenden historischen Wissens diese Vordenker der deutschen „Bevölkerung“ der festen Überzeugung sind, daß gerade von dem deutschen Volk jahrhundertelang nichts anderes ausgegangen sei, als Spannungen, Streit, Krieg und Völkermord. Ach wie schön wäre es doch, einem  derartig  kontaminierten Kollektiv nicht angehören zu müssen! Und so findet man bei deutschen Politikern solche Aussagen wie die  der seinerzeitigen SPD-Ministerin Renate Schmidt aus dem Jahr 1987:  „Die Frage, (ob die Deutschen aussterben), das ist für mich eine, die ich an allerletzter Stelle stelle, weil dieses ist mir, also so wie sie hier gestellt wird,  verhältnismäßig wurscht“. Und wenig überraschend bekennt die bis vor kurzem amtierende Bundesvorsitzende der Jusos, Franziska Drohsel,: „Ja, also deutsche Nation, das ist für mich überhaupt nichts, worauf ich mich positiv beziehe. Würde ich politisch sogar bekämpfen.“ Und für den Bundesvorsitzenden der Grünen, Robert Habeck, gibt es Völker überhaupt nicht, mindestens nach eigener Interpretation dieses unglaublichen Satzes jedenfalls jenseits der Völkerrechtssubjekte nicht, denn das sei ja alles völkisch, etc. pp. Man ist versucht, diesem famosen Politiker den vergifteten Rat zu geben, solche Behauptungen doch einmal in Frankreich, China, Persien oder der Türkei aufzustellen. Man braucht wenig Phantasie um sich vorzustellen, daß er dort künftig in einem Raum leben würde, dessen Tür von innen nicht geöffnet werden kann. Die Nähe gerade seiner Partei zu den unsäglichen Zeitgenossen, die ihr eigenes Land geradezu pathologisch hassen, zeigt sich an seiner Parteifreundin Claudia Roth. Sie marschiert schon einmal ganz gerne hinter einem Transparent her, auf dem zu lesen ist: „Deutschland, du mieses Stück Scheiße!“

Mindestens naiv ist auch die Vorstellung, wirtschaftlicher Wohlstand  werde gewissermaßen durch die Addition  der Volkswirtschaften Europas wenigstens linear, wenn nicht sogar exponential gesteigert. Zumindest kann infrage gestellt werden, ob zum Beispiel in Deutschland der Nachweis erbracht werden kann, daß sich Wirtschaftskraft und Wohlstand nachweislich aufgrund der Mitgliedschaft in EU und im Euroraum deutlich besser entwickelt haben, als dies der Fall gewesen wäre, wenn Deutschland den Weg der Schweiz oder Norwegens gegangen wäre. Denn der zeitliche Gleichlauf von Wirtschaftsentwicklung und europäischer Einigung sagt nichts überden Ursachenzusammenhang aus. Kausalität und Korrelation sind nun einmal zweierlei.

Vielleicht auch deswegen wird gerne von den Verfechtern einer immer weitergehenden staatlichen Vereinigung Europas ins Feld geführt, Europa sei doch auch  kulturell eigentlich eine Einheit, und deswegen sei es doch nur logisch, auch die staatliche Einheit, mindestens in der Form eines europäischen Bundesstaates, anzustreben. Das  ist zu hinterfragen.

In der Tat ist gerade die Kultur in ihren Ausprägungen Kunst und Wissenschaft supranational. Das gilt vor allem für die europäische Kultur. Beginnen wir bei der Musik. Bach, Händel, Beethoven, Mozart, Schumann, Mendelssohn, Strauß, Vivaldi, Verdi, Rossini, Puccini,  Boccherini, Berlioz, Bizet, Saint-Saens und so weiter und so fort. Unübersehbar ist die klassische Musik, egal in welchem Lande ihr Komponist lebte, und welchem Volk er angehörte, europäische Musik. Das gilt ungeachtet etwa der Thematik, die in Opern verarbeitet wurde, und das gilt auch ungeachtet der politischen Einstellung mancher großen Komponisten. Daß etwa Giuseppe Verdi ein glühender italienischer Nationalist war, tut der Internationalität seines Opernwerkes keinen Abbruch. Nicht viel anders ist es mit der Literatur. Auch wenn sie selbstverständlich sprachgebunden ist, so ist sie dennoch durch ihre Übersetzungen in andere Sprachen Gemeingut geworden. Shakespeare etwa ist in Deutschland genauso populär wie in Großbritannien, Dante Ailghieri gehört nicht Italien allein,  Goethe und Jünger gelten in Frankreich viel, letzterer sogar mehr als in Deutschland. Über die Malerei wollen wir erst gar nicht reden, sie ist genauso europäisches Gemeingut we zum Beispiel die Architektur, die uns romanische und gotische Dome in allen christlichen Ländern gegeben hat. Was in Europa an wissenschaftlichem Fortschritt entstanden ist, blieb niemals innerhalb der nationalen Grenzen. Die Entdeckung der Röntgenstrahlen und der Kernspaltung gelang jeweils deutschen Wissenschaftlern. Doch wurde das nicht nur europäisches, sondern weltweites Gemeingut. Was im übrigen hier zu Europa gesagt wird, gilt darüber hinaus für alle Gegenden dieser Erde, die europäisch geprägt sind, wie etwa Nord- und Südamerika oder Australien. Ganz deutlich wird dies  in der Musik, die ja auch in ihren amerikanischen Vertretern wie Bernstein oder Piazolla in der europäischen Tradition steht.

Dieser flüchtige Blick auf Kultur und Wissenschaft zeigt, daß ihre Entwicklung  international verlaufen ist, obgleich es keine supranationale Staatlichkeit gab. Kultur und Wissenschaft gedeihen unabhängig von staatlichen Formen und Organisationen. Überspitzt gesagt: Mozart brauchte Europa nicht. Das Automobil durchbrach auf seinem Siegeszug sämtliche Grenzen, ja ignorierte sie schlichtweg.  Kultur und Wissenschaft kennen keine Staatsgrenzen. Und deswegen muß man sie für die weitere oder gar bessere Entwicklung von Kultur und Wissenschaft erst gar nicht  abschaffen.

Das heißt nicht, daß supranationale Organisationsformen nicht sinnvoll oder zweckmäßig sein können. Ganz im Gegenteil. Die Geschichte kennt immer wieder Organisationsformen über  oder neben den Staaten. Sie ersetzten sie indessen nicht. Vielmehr ergänzten sie  den Nationalstaat. Ein typisches Beispiel ist die Hanse. Es handelte sich um eine Art Zweckverband von Handelsstädten über nationale Grenzen hinaus. Gegenstand war jedoch nur der Handel und nichts anderes, etwa eine gemeinsame Außenpolitik. Ein anderes Beispiel ist der deutsche Zollverein. Auch hier ging es, ähnlich wie beim Vorläufer der heutigen EU, lediglich um die Beseitigung von Handelshemmnissen in Gestalt von  unterschiedlich hohen Zöllen. Derartige Zweckverbände ließen die Staatlichkeit der beteiligten Völker völlig unberührt. Gleiches gilt für militärische Bündnisse von der Antike an (Attischer Seebund) bis zur Gegenwart (NATO).

Abgesehen davon, daß der Nationalstaat die natürliche Organisationsform der Völker ist,  kann auch nur der Nationalstaat wwirklich demokratisch organisiert werden. Denn das Grundprinzip  der Demokratie ist nun einmal, daß jeder Staatsbürger gleichberechtigt an der politischen Willensbildung mitwirken kann. Es gilt international der Grundsatz: „One man, one vote“. Dies ist zum Beispiel in einem europäischen Bundesstaat nicht möglich.  Schon jetzt ist die EU insoweit völlig undemokratisch organisiert.  Denn die Stimmrechte bei den europäischen Wahlen sind keineswegs gleichgewichtig. Die Wählerstimme etwa eines Deutschen hat nur einen geringen Bruchteil des Wertes der Wählerstimme eines Luxemburgers oder gar eines Maltesers. Wollte man das Gewicht einer jeden Wählerstimme in der Europäischen Union gleich bemessen, so müßte man die Zahl der Sitze im Europäischen Parlament um ein Vielfaches erhöhen, sodaß seine Funktionsfähigkeit nicht mehr gegeben wäre. Denn es ist nicht möglich, ein Parlament mit tausenden von Mitgliedern arbeitsfähig zu organisieren. Dies ist ja gerade der Grund dafür, daß die repräsentative Demokratie an die Stelle der direkten  Demokratie getreten ist. Die vollständige Abschaffung der Nationalstaaten in Europa indessen ist absolut unvorstellbar. Denn entgegen der Traumtänzereien deutscher Politiker existieren die Völker, und zwar durchaus vital. Nicht nur, daß sie jeweils ihre eigenen Sprachen haben und es eine europäische Sprache nicht gibt. Sie sind nun einmal in der Tat historisch gewachsen und  bestehen letztendlich auf jeden Fall vorwiegend aus den Nachkommen der Menschen, die auch in den Jahrhunderten zuvor auf diesem Staatsgebiet gelebt haben. Darin liegt auch die tiefere Ursache der Feststellung von Ralf Dahrendorf: „Der Nationalstaat ist das einzige Domizil der repräsentativen Demokratie, das bisher funktioniert hat.  Nur er ist in der Lage, Strukturen der Kontrolle, der Rechenschaft und der effizienten Bürgerbeteiligung anzubieten und zu sichern.“

Europa, das ist ein geographisch abgegrenzter Kulturraum. Seine Vielfalt ist auch seine Stärke. Es gibt keinen vernünftigen Grund, daran  etwas zu ändern. Es gibt jedoch viele Gründe dafür, die Zusammenarbeit auf einigen Gebieten zu intensivieren, ohne dabei die einzelnen Völker zu entmündigen.

In memoriam George Bush sen.

Heute, am 1. Dezember 2018, hat George Bush sen. das Zeitliche gesegnet. Wir Deutschen verdanken ihm und Michail Gorbatschow die Wiedervereinigung unseres Vaterlandes. Insbesondere George Bush sen. hat sich damals gegen die beiden anderen westlichen Siegermächte Frankreich und Großbritannien durchgesetzt. Ich kann mich noch gut daran erinnern, daß die Sowjetunion unter Gorbatschow nach offizieller Beendigung des Kalten Krieges keine Einwände dagegen hatte, daß sich die Bundesrepublik Deutschland und der Satellitenstaat der Sowjetunion namens DDR vereinigten. George Bush sen. indessen war der Überzeugung, daß damit nur zusammenwachsen würde, was zusammen gehört, um das berühmte Wort Willy Brandts zu zitieren. Daß dies aber auch zum Nutzen und Frommen seines Landes geschehen werde, war jeoch das ganz natürliche Motiv seiner Entscheidung, diese Entwicklung zu fördern.

Anders indessen François Mitterrand und Margret Thatcher. Beide kamen mental wie intellektuell aus den Schützengräben der beiden Weltkriege nicht heraus. War es im Falle Frankreichs die jahrhundertelange Rivalität zwischen den Erben Karls des Großen, die mit der Teilung des Reichs in den Verträgen von Verdun 843 n.Chr. begonnen hatte, so war es im Falle Großbritanniens die jahrhundertelang gepflegte Politik des British Empire auf dem Kontinent, wonach es im vitalen Interesse Großbritanniens lag, dort keine Macht so stark werden zu lassen, daß sie in der Lage wäre, Großbritannien ihre Bedingungen zu diktieren (Winston Churchill). Die einzige Macht auf dem Kontinent, die dazu potentiell in der Lage war, das war über die Jahrhunderte Deutschland, insbesondere in der Form der staatlichen Einigkeit des deutschen Sprachraumes.

Und so wollte Margret Thatcher ihr Veto gegen die Wiedervereinigung Deutschlands einlegen, das doch weder völkerrechtlich noch machtpolitisch begründbar war. François Mitterrand war etwas klüger und knüpfte seine Zustimmung letztendlich daran, daß Deutschland als Wirtschaftsmacht durch die Einführung des Euro seine nationale Handlungsfreiheit aufgeben würde. Doch sowohl Frankreich als auch Großbritannien übersahen dabei, daß auch sie selbst durch die Mitgliedschaft in EU und NATO schon längst ihre Eigenständigkeit verloren hatten, von dem Großmachtstatus, den sie noch vor dem Ersten Weltkrieg hatten, ganz abgesehen. Denn mit dem Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg 1917 und der russischen Oktoberrevolution im gleichen Jahr, die aus dem bis dato rückständigen Zarenreich eine aggressive Weltmacht werden ließ, verschwand die Weltmachtstellung europäischer Staaten. Insofern muß das Verhalten Mitterrands und Thatchers als nostalgische Theatervorstellung eingeordnet werden.

George Bush sen. indessen hatte erkannt, daß ein wiedervereinigtes Deutschland in der Weltordnung nach dem Kalten Krieg für die USA eine wichtige Rolle spielen konnte. Ein wirtschaftlich starkes, politisch stabiles, militärisch jedoch via NATO unter Kontrolle der USA stehendes Deutschland mit über 80 Millionen Einwohnern war im Interesse der USA. Wirtschaftlich als Absatzmarkt, politisch als beeinflußbarer und daher verlässlicher Verbündeter und militärisch als Truppensteller. Nicht naiver Altruismus, sondern kühles politisches Kalkül ließ George Bush sen. seine Entscheidung für die Wiedervereinigung Deutschlands treffen. Damit zeigte er sich als Realpolitiker im Sinne von Charles de Gaulle, der wie andere große europäische Politiker vor ihm die Maxime beherzigte: Staaten haben keine Freunde, Staaten haben Interessen.

Requiescat in pace!