Am 01.12.2018 habe ich wegen der Vorgänge um die gescheiterte Wahl für das Amt einer Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages die Nürnberger Abgeordneten des Hohen Hauses angeschrieben. Nun hat am 10.12.2018 immerhin einer der angeschriebenen Abgeordneten geantwortet. Den Text gebe ich nachstehend wieder:
Sehr geehrter Herr Thesen,
Vielen Dank für Ihr Schreiben vom 1. Dezember 2018 zur Wahlniederlage von Frau Maria Harder-Kühnel MdB. Der Bundestag hatte in seiner konstituierenden Sitzung am 24. Oktober 2017 beschlossen, dass jede Fraktion einen Bundestagsvizepräsidenten oder eine Bundestagsvizepräsidentin stellen kann.
Die CSU Landesgruppe hatte die Abstimmung freigegeben. Für andere Fraktionen kann ich nicht sprechen. Es ist auch nicht an mir, die Wahlentscheidung von frei gewählten Abgeordneten zu kommentieren. Für das Bundestagspräsidium wird in geheimer Wahl abgestimmt. Das ist richtig und wichtig. Das Parlament muss sich nicht nach dem Gutdünken von jeder Fraktion einen Präsidiumsmitglied “ vorsetzen“ lassen. Es kann frei entscheiden.
Ich persönlich würde keinen Kandidaten per se deswegen ablehnen, weil er der AfD Fraktion angehört. Schon allein deshalb, weil die AfD den Posten seit dem Scheitern von Herrn Glaser bewusst unbesetzt ließ, damit sie sich beklagen konnte, sie werde unfair behandelt. Alexander Gauland wartete bewusst bis nach den Landtagswahlen im Herbst, bevor eine neue Kandidatin nominiert wurde. Auch jetzt werden die Wahlgänge öffentlichkeitswirksam auf mehrere Wochen verteilt, um ein Maximum an Aufmerksamkeit zu erzielen.
Die AfD hat keinen einzigen zustimmungswürdigen Gesetzesentwurf auf den Weg gebracht und kennt nur ein einziges Thema Migration. In Sachfragen kann sie nicht überzeugen und verlegt sich deswegen auf taktische Spielchen. Dieses Vorgehen halte ich für wenig demokratisch. Wir sollten uns alle auf die inhaltliche Arbeit konzentrieren
.Mit freundlichen Grüßen
Michael Frieser, MDB
Das konnte nicht ohne Antwort bleiben. Am 13.12.2018 erhielt der Abgeordnete daher auch folgenden Brief:
Sehr geehrter Herr Frieser,
vielen Dank für Ihr Schreiben vom 10.12.2018. Sie haben als einziger Adressat meines Schreibens vom 01.12.2018 geantwortet. Im Gegensatz zu Ihren Kollegen nehmen Sie somit Bürger ernst, die sich mit einem sachlichen Anliegen an Sie wenden.
In der Sache selbst ist Ihre Antwort indessen enttäuschend. Sie verfehlen das Thema und argumentieren ausschließlich politisch. Der von Ihnen erwähnte Beschluß des Bundestages in seiner konstituierenden Sitzung am 24. Oktober 2017 bestätigt lediglich die von mir zitierte Regelung in § 2 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages. Die Rechtslage ist klar: Jede Fraktion stellt ein Mitglied des Präsidiums. Weitere Bedingungen als den Vorschlag der jeweiligen Fraktion knüpft die Geschäftsordnung an die Auswahl dieser Person nicht. Die Handhabung dieser Bestimmung in den Legislaturperioden nach 1994 war denn auch stets so, daß die jeweils von ihren Fraktionen vorgeschlagenen Abgeordneten vom Plenum in das Präsidium des Deutschen Bundestages entsandt wurden. Als Jurist wissen Sie, daß die langjährige Übung der Vertragsparteien oder auch der rechtsanwendenden Behörden bei der Auslegung eines Vertrags- oder Gesetzestextes maßgeblich ist. Eine Abweichung davon im Einzelfall bedarf eines wichtigen Grundes. So könnte man wohl einen Abgeordneten ablehnen, von dem bekannt geworden ist, daß er sich persönliche Verfehlungen wie etwa Straftaten vorwerfen lassen muß. Politische Wertungen indessen können einen solchen wichtigen Grund niemals darstellen, denn die politische Argumentation ist der praktischen parlamentarischen Arbeit wesenseigen. Dort gehören politische Argumente hin.
Zu Ihrer politischen Argumentation ist daher zunächst zu sagen, daß dahinstehen kann, ob sie sachlich zutreffend ist. Denn, wie oben ausgeführt, kann eine Abweichung von der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages insoweit nur juristisch, nicht aber politisch begründet werden. Darüber hinaus bleibt es dabei, daß Sie mit der Ausgrenzung der AfD-Fraktion auch die rund 5,8 Millionen Wähler stigmatisieren, die diese Partei gewählt haben. Das wissen Sie auch, und gehen deswegen auf dieses Argument aus meinem Schreiben vom 01.12.2018 nicht ein.
Indessen können auch die vorgetragenen politischen Argumente nicht unwidersprochen bleiben. Soweit Sie der AfD-Fraktion vorwerfen, politisch zu taktieren, fällt dieser Vorwurf auf Sie selbst zurück. Sie räumen ja ein, daß Ihre Fraktion jedenfalls mehrheitlich wie auch die anderen Fraktionen des Hohen Hauses ihre Entscheidung, Frau Harder-Kühnel nicht zu wählen, aus politischen Erwägungen heraus getroffen hat. Soweit Sie rügen, daß die AfD den Posten des Vizepräsidenten „seit dem Scheitern von Herrn Glaser bewußt unbesetzt ließ“ – wohl ein Freud’scher Versprecher, denn damit erkennen Sie an, daß die Fraktionen praktisch die Person des Vizepräsidenten bestimmen – verwechseln Sie hier auch Ursache und Wirkung. Hätte sich das Plenum damals verhalten, wie in den Legislaturperioden zuvor, hätten wir diese Situation ja nicht. Soweit Sie rügen, daß die AfD bisher keinen einzigen zustimmungswürdigen – auch eine politische Wertung – Gesetzentwurf auf den Weg gebracht habe, mag das ja in Ihren Augen so sein, kann jedoch keine Begründung dafür sein, ihre Kandidatin für einen Sitz im Präsidium nicht zu wählen. Aufgabe des Präsidium ist ja nicht die Einbringung von Gesetzesvorlagen, sondern darauf zu achten, daß die Sitzungen dieses Parlaments geordnet und möglichst reibungslos ablaufen. Soweit Sie ihr vorwerfen, sie kenne nur ein einziges Thema: Migration, so ist das zum einen in dieser Absolutheit offensichtlich nicht richtig.So hat diese Fraktion bereits vor vier Wochen beantragt, wegen der fragwürdigen Praxis des Bundesministeriums der Verteidigung bei der Bestellung externer Sachverständiger einen Untersuchungsausschuß einzusetzen. Nun haben soeben die anderen Oppositionsfraktionen eben einen solchen Beschluß gefaßt. Als Bürger macht man sich da schon so seine Gedanken. Vor allem aber klingt ein solches Monium aus der Feder eines Abgeordneten der Partei merkwürdig, deren Vorsitzender noch im Sommer dieses Jahres die Flüchtlingsproblematik als „die Mutter aller politischen Probleme“ bezeichnet hat.
Die Besetzung des Präsidiums des Deutschen Bundestages sollte eben nicht Gegenstand taktischer Spielchen sein, und auch nicht dazu dienen, eine Fraktion politisch „vorzuführen“. Mit der Würde des Parlaments ist das nicht vereinbar.
Mit freundlichen Grüßen
Rainer Thesen
Die Beurteilung der Qualität dieser Texte überlasse ich natürlich Ihnen, meine geneigten Leser, denn dieser Blog heißt ja bekanntlich sapere aude. Und ich gehe auch davon aus, daß meine Leserschaft sich dadurch auszeichnet, daß sie selbständig zu denken gewohnt ist.