Archiv der Kategorie: gelesen und nachgedacht

Rezensionen

Respekt!

Die bayerischen Politikerinnen Barbara Stamm und Emilia Müller, beide CSU, haben erklärt, künftig nicht mehr am Starkbieranstich auf dem Nockherberg teilnehmen zu wollen. Die Nockherbergrede der als „Mama Bavaria“ aufgetretenen Kabarettistin Luise Kinseher sei nun doch in Teilen zu beleidigend gewesen, insbesondere auch frauenverachtend. Das deckt sich mit meiner Einschätzung dieser Veranstaltung, die ich in dem Beitrag „Weißt du noch?“ am 25. Februar dieses Jahres hier gegeben habe.

Diese Haltung zweier Politikerinnen verdient Respekt. Leider ist es ja so, daß Politik und Medien dazu neigen, alle Hervorbringungen von Kabarettisten zu loben, auch wenn es sich dabei tatsächlich nur um Lobhudeleien handelt. Ist von unseren Kultur- und Kunstschaffenden die Rede, so verfallen Kommentatoren und Politiker gerne in einen ehrfürchtigen Tonfall, so wie der Pfarrer von der Mutter Gottes spricht. Gerade Politiker, auch wenn sie selbst in grenzwertiger oder gar grenzüberschreitender Weise zum Opfer der – natürlich politisch korrekten – eifernden oder auch nur eitlen Kabarettisten werden, scheuen sich wahrheitsgemäße Kritik daran zu üben. Denn es könnte ja der eine oder andere Wähler abspenstig werden. Schließlich gehört es doch zum guten Ton, über Kabarett, Kunst und Kultur nur Gutes zu sagen. Da möchte man nicht unter die Banausen eingereiht werden.

Typisch insoweit ist der Kommentar von Florian Pronold (SPD), der in seiner nassforschen Art zum Nockherberg-Boykott der beiden Damen erklärt hat: „Wer die Hitze nicht verträgt, soll die Küche meiden.“ Um im Bilde zu bleiben, wäre richtigerweise zu sagen: „Wem die versalzene Suppe nicht schmeckt, muß sie auch nicht essen.“ Entgegen der Auffassung von Herrn Pronold muß politisches Kabarett auch nicht „hart sein und herrschaftskritisch“, um dem Anspruch an politisches Kabarett zu genügen. Das mag vielleicht dann gelten, wenn das Publikum gerade diese Nummer hören wollte und dafür Eintritt bezahlt hat. Für die Darbietungen mancher Vertreter dieser Profession würde ich zum Beispiel keinen Cent Eintritt bezahlen. Eine Traditionsveranstaltung indessen, die vor geladenem Publikum und laufenden Fernsehkameras stattfindet, muß anderen Maßstäben genügen. Da geht es nicht darum, die eigene als allein moralisch und human empfundene politische Position darzustellen und Vertreter der Gegenauffassung möglichst derb abzuwatschen. Vielmehr geht es darum, die politischen Vorgänge des letzten Jahres zwar mit spitzer Feder, aber elegant und mit Augenzwinkern rhetorisch zu karikieren. Diesem Anspruch entsprach diese Veranstaltung in früheren Jahren und Jahrzehnten durchaus. Heuer war das, wie ich in meinem Beitrag schon ausgeführt habe, bei weitem nicht der Fall. Vielleicht macht das Beispiel der beiden Damen Stamm und Müller Schule. Zu wünschen wäre es.

Wahn und Wirklichkeit

Man muß auch einmal Empfehlungen aussprechen. Schließlich gibt es in Deutschland ein paar Leute, die ungeschminkt die Wahrheit sagen und die Dinge auf den Punkt bringen. Ich empfehle daher, die vorzügliche Internetseite www.rolandtichy.de anzuklicken und dort vor allem die Artikel:

Wir Schlechtmenschen – Über die Verdrehung von Ursache und Wirkung von Anabel Schunke

sowie

Der Deal von Brüssel und der erzwungene EU-Beitritt der Türkei in spe von Bettina Röhl

zu lesen. Wer zufällig in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz oder Sachsen-Anhalt wohnt, sollte dann am Sonntag wirklich zur Wahl gehen.

 

Wenn aus Verzweiflung Haß wird…

Die Zustimmung für die Flüchtlingspolitik der großen Koalition schwindet mit atemberaubender Geschwindigkeit. Wenn man den veröffentlichten Umfragen, und etwas anderes haben wir ja nicht, glauben darf, dann sind inzwischen 81 % der Befragten der Auffassung, daß die Bundesregierung die Lage nicht mehr unter Kontrolle hat. In gleichem Maße sinkt auch das Vertrauen in die Parteien der Großen Koalition. Deren Umfragewerte stürzen ab.

Das gilt besonders für die SPD, die sich den weiter steigenden Werten der AfD nähert. Statt die eigene Position inhaltlich zu überdenken, schlägt man in blinder Wut auf den politischen Gegner ein. Mangels überzeugender Sachargumente tut man das dann mit der „bewährten“ Nazikeule. Nur so ist die Medienkampagne gegen die Damen Petry und von Storch zu erklären. Man legt diesen Politikerinnen wahrheitswidrig in den Mund, einen Schießbefehl an der Grenze gefordert zu haben. Wer etwa das Interview mit Frauke Petry im Mannheimer Morgen vom 30.01.2016 nachliest, das ja nun immer noch im Internet nachzulesen ist, der wird eine solche Forderung dieser Politikerin dort nicht finden. Allerdings wird er dort nachlesen können, in welcher Weise die Redakteure des Mannheimer Morgen versucht haben, ihr das Wort im Mund herumzudrehen und sie als Befürworterin des Schußwaffengebrauchs gegen Flüchtlinge, aber auch als eine Politikerin erscheinen zu lassen, die rassistische Meinungen in ihrer Partei unbeanstandet läßt. Was daraus in den Medien in der Zwischenzeit gemacht worden ist, kann als Musterbeispiel für eine Rufmordkampagne dienen. Aber auch dafür, daß immer noch die alte Weisheit gilt: „Wenn zwei das gleiche tun, ist es noch lange nicht das gleiche.“ So hat der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer (Die Grünen) in einem Interview am 22.10.2015 bereits dafür plädiert, die EU-Außengrenzen zu schließen, notfalls bewaffnet. Einen Sturm der Entrüstung über diese Äußerung haben wir nicht feststellen können. Ob im übrigen die veröffentlichte Fassung des Interviews von Frau Petry mit dem Mannheimer Morgen wirklich wiedergibt, was sie gesagt hat, muß zumindest bezweifelt werden. Ein damals ebenfalls anwesender Journalist hat jedenfalls am 02.02.2016 erklärt, Frau Petri habe auf mehrfache insistierende Fragen wörtlich erklärt: „Wir müssen die Grenzen sichern und ich hoffe, es kommt nie so weit, daß ein Polizist von seiner Waffe Gebrauch macht.“ Diese Formulierung war den wackeren Unterstützern der Großen Koalition in der Redaktion des Mannheimer Morgen wohl zu harmlos.

Man orientiert sich in der Gangart gegen die unerwünschte Konkurrenz offensichtlich mehr am Vorsitzenden der SPD. Dieser hat ja kürzlich eine wirklich völlig unvertretbare, umgangssprachlich gesagt, bescheuerte Äußerung eines AfD-Kreisvorsitzenden kurzerhand zur Politik dieser Partei erklärt. Jener politische Amokläufer hatte gefordert, die Todesstrafe wieder einzuführen, damit man die deutschen Politiker an die Wand stellen könne. Der Mann wurde selbstverständlich umgehend aus der Partei ausgeschlossen. Herr Gabriel hingegen erklärt die AfD zu einer rechtsradikalen Partei, mit der man nicht mehr reden könne weil sie solche Auffassungen vertrete. Damit sind nicht nur die Grenzen des Anstandes, sondern auch des demokratischen Wettbewerbs um die Wählerstimmen weit überschritten worden. Denn man wird selbstverständlich in jeder politischen Partei oder Organisation Typen finden, die einen Unsinn verzapfen, daß es einem die sprichwörtlichen Schuhe auszieht. Selbst verständlich findet man auch in linken Parteien Leute, die etwa von der Enteignung der Kapitalisten faseln. Unanständig wäre es jedoch, solche Äußerungen den jeweiligen Parteien oder Gewerkschaften als programmatische Äußerungen zuzuschreiben.

Letztendlich wird diese Art der Diffamierung des politischen Gegners denjenigen auf die Füße fallen, die sich davon politischen Gewinn versprechen. Denn die Mehrheit in diesem Lande kann immer noch selber denken.

Bitte nicht schießen!

„Empörung über Petrys Schußwaffenforderung“ und ähnlich schallt es aus den gesendeten und gedruckten Medien. „AfD-Chefin: Polizisten sollen notfalls auf Flüchtinge schießen“ – Empörung auf allen Kanälen.

Um Gottes Willen! Sie will auf Flüchtlinge schießen lassen! Jetzt ist doch die Katze aus dem Sack! Da sieht man doch, wessen Geistes Kind diese Petry und ihre Leute sind. Auf Flüchtlinge schießen! Da tauchen doch vor dem sprichwörtlichen geistigen Auge die schrecklichsten Bilder auf. Herzige Flüchtlingskinder, von Maschinengewehrgaben zerrissen. Kaltblütig in die Menge feuernde Männer in schwarzen (ja, tatsächlich schwarzen!) Uniformen. SS reloaded. Und schon beeilt sich ein Polizeigewerkschafter zu versichern, daß Polizei natürlich niemals auf Flüchtlinge schießen würde. Und ein Koalitionspolitiker ruft ganz schnell Mauer und Schießbefehl an der Grenze zwischen Deutschland und Deutschland in Erinnerung..

Was ist geschehen? Die Vorsitzende der AfD hat auf eine entsprechende Frage erklärt: „Kein Polizist will auf einen Flüchtling schießen. Ich will das auch nicht. Aber zur ultima ratio gehört der Einsatz von Waffengewalt. Wenn ein Grenzübertritt durch Worte und Maßnahmen nicht verhindert werden kann, dann muß im Notfall eben auch von der Schußwaffe Gebrauch gemacht werden. So steht es im Gesetz.“

Wenn die Empörung am größten ist, sollte größte Gelassenheit einkehren. Was hat die Dame eigentlich gesagt? Sie hat erst einmal gesagt, daß kein Polizist und sie selber auch nicht auf Flüchtlinge schießen wolle. Das ist selbstverständlich. In der medialen Öffentlichkeit muß man aber wohl auch Selbstverständliches betonen. Sie hat dann weiter gesagt, daß im Notfall, wenn also gar nichts anderes mehr geht, auch von der Schußwaffe Gebrauch gemacht werden kann. Eben als ultima ratio, was ja auf deutsch nichts anderes heißt, als letzte Wahl unter den überhaupt zur Verfügung stehenden Mitteln. Politiker mit juristischen Staatsexamina und Polizisten, die sich eifrig am Ölen der Empörungsmaschinerie beteiligen, sei ein Blick ins Gesetz angeraten. Den empfiehlt ja auch Frau Petry. Wenn es um die Grenzen geht, geht es natürlich um Vollzugsbeamte des Bundes. Für die gilt § 10 Abs. 2 des Gesetzes über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes (UZwG). Und da heißt es: „Schußwaffen dürfen gegen eine Menschenmenge nur dann gebraucht werden, wenn von ihr oder aus ihr heraus Gewalttaten begangen werden oder unmittelbar bevorstehen und Zwangsmaßnahmen gegen einzelne nicht zum Ziele führen oder offensichtlich keinen Erfolg versprechen.“ D.h. also, wenn etwa eine Menschenmenge drauf und dran ist, gewaltsam einen Grenzzaun niederzureißen und die dahinter postierten Bundespolizisten niederzutrampeln, dann werden sie ihre Schußwaffen einsetzen dürfen, wenn sie dieser Lage anders nicht Herr werden können. Natürlich muß dann immer erst einmal zur Warnung in die Luft geschossen werden, und danach möglichst nur in die Beine. Das steht nun einmal im Gesetz.

Worüber regt man sich eigentlich auf? Die Aufregung scheint mir künstlich zu sein und das Zitat der Politikerin ihren Feinden in den etablierten Parteien und Medien wie gerufen gekommen zu sein. Zwar hat sie sich vor ein paar Tagen bei Sandra Maischberger schon ähnlich geäußert, dazu noch in Anwesenheit solcher politischen Todfeinde wie Ralf Stegner und Jakob Augstein, ohne daß die mediale Entrüstungsmaschinerie umgehend angeworfen wurde. Nun hat Frau Petry den Medien den Gefallen getan, im Prinzip das gleiche noch einmal zu sagen. Besonders pfiffig war das natürlich nicht. Sie müßte eigentlich wissen, daß man stets bemüht ist, ihr das Hitlerbärtchen anzukleben. Klug wäre es daher, derart durchsichtige Fragemanöver zu durchkreuzen und etwa zu verlangen, nach realen Sachverhalten und nicht nach vielleicht theoretisch denkbaren Situationen gefragt zu werden, schließlich sei man nicht in der mündlichen Prüfung zum Polizeirecht.

Sei’s drum. Politiker, die aus der Sicht der etablierten Parteien Schmutzkonkurrenz und aus der Sicht der ihnen hörigen Medien rechtspopulistisch bis rechtsradikal sind, können an und für sich sagen was sie wollen. Man wird es ihnen immer so auslegen, daß es der eigenen Strategie nützt. Ein schönes deutsches Sprichwort sagt dazu: „Dem Reinen ist alles rein. Dem Schweine ist alles Schwein.“

 

Der politisch korrekte Städteatlas

In Polen findet derzeit die Handball-Europameisterschaft statt. Bisher schlagen sich unsere Jungs auch prächtig. Was dieses Ereignis mit der political correctness zu tun hat? Nun, die Namen der Städte, in denen die Spiele ausgetragen werden, bereiten politisch korrekten Zeitgenossen in Deutschland Probleme.

Schreibt man nun die Spielorte polnisch oder deutsch? Gespielt wird in Breslau, Danzig, Kattowitz und Krakau. Natürlich liegen diese Städte in Polen, und das nun schon seit 70 Jahren. Warum das so ist, ist allgemein bekannt. Deswegen heißen sie in Polen auch Wroclaw, Gdánsk, Katovice und Kraków. Zur korrekten Schreibweise von Wroclaw fehlt meinem PC eine Eingabetaste für den diakritischen Buchstaben l mit kleinem Schrägstrich, der in der polnischen Sprache einen Konsonanten bedeutet, dessen Aussprache in etwa dem englischen „u“ (double u) entspricht. Das polnische Alphabet hat nun einmal 32 Buchstaben, davon 23 Konsonanten, das lateinische Alphabet, in dem das Vokabular der meisten europäischen Sprachen, auch der deutschen, wiedergegeben wird, hat indessen nur 26 Buchstaben, davon 20 Konsonanten. Die korrekte Aussprache des Polnischen ist jedenfalls für einen Ausländer, der diese Sprache nicht wenigstens in Dolmetscherqualität beherrscht, nahezu unmöglich. Schon deswegen sollte man als Ausländer davon absehen, krampfhaft der political correctness im deutsch-polnischen Verhältnis dienen zu wollen, abgesehen davon, daß der Gebrauch der deutschen Namen dieser Städte für uns nicht nur einfacher ist, sondern eigentlich auch üblich sein sollte, wie das auch sonst bei den Namen von Städten in anderen Ländern der Fall ist.

Kein Italiener wird daran Anstoß nehmen, daß wir Deutschen immer noch von Mailand statt von Milano sprechen. Denn Mailand heißt nun einmal seit dem elften Jahrhundert als in der Lombardei und damit lange Zeit im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation gelegene Stadt so und nicht Milano. Aber auch unabhängig von den politischen Veränderungen in den Zeitläuften haben die Städte im In- und Ausland verschiedene Namen. So sprechen wir von Rom, statt von Roma, von Neapel statt von Napoli und von Florenz statt von Firenze. Kein Italiener nimmt daran Anstoß. Uns stört es natürlich auch nicht, daß Amerikaner von Munich und Nuremberg statt von München und Nürnberg sprechen. Die Franzosen stört es ebensowenig, daß der Name ihrer Hauptstadt im Englischen und im Deutschen völlig anders klingt, als in ihrer eigenen Muttersprache.

Im Falle der polnischen Städtenamen ist das offenbar völlig anders. Das hat natürlich mit der deutsch-polnischen Geschichte zu tun. In der Zeit des Kalten Krieges, aber auch noch geraume Zeit danach, wurde in Polen der Popanz eines deutschen Revanchismus gepflegt. Man unterstellte uns Deutschen allen Ernstes, die Ostgebiete wiedergewinnen zu wollen. Zwar mag es den ein oder anderen in den Vertriebenenverbänden gegeben haben, der sich das ernsthaft vorgestellt hat. Eine auch nur annähernd realistische Option der deutschen Politik war dies indessen niemals. Diplomatische Proteste der polnischen Regierung hinsichtlich des Sprachgebrauchs in den deutschen Medien, wenn von Breslau oder Danzig die Rede ist, sind nicht bekannt geworden. Ungeachtet dessen glauben jedoch gewisse Zeitgenossen in den Medien der political correctness dienen zu müssen, indem sie krampfhaft von Katovice und gelegentlich auch Wroclaw schreiben, statt von Kattowitz und Breslau. Merkwürdigerweise heißt es bei diesen Zeitgenossen aber Danzig und Krakau statt Gdánsk und Kraków. Hier werden wohl unverdrossen die politischen Schlachten des kalten Krieges weiter geschlagen. Jene wackeren Kämpfer für die political correctness auch in diesem Punkt erscheinen doch ähnlich aus der Zeit gefallen, wie die Soldaten des Tenno, die noch Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges im indonesischen Dschungel herumirrten.

Das führt bisweilen auch zu eher peinlichen Ergebnissen. So soll in einer deutschen Tageszeitung vorne im politischen Teil von „Wroclaw“ als Spielort der Handball Europameisterschaft die Rede gewesen sein, während der Bericht im Sportteil mit dem Hinweis „aus Breslau berichtet…“ begann. Unsere wackeren Sportreporter sind wohl von der Geisteskrankheit namens political correctness im allgemeinen nicht befallen.

Dabei ist die deutsche Politik selbst zu einer salomonischen Lösung gelangt. Im gemeinsamen Ministerialblatt der Bundesministerien vom 23.12.2009 findet sich eine Verordnung über den Reisepaß. Dort ist mit deutscher Gründlichkeit minutiös festgelegt, was dort hineingehört, und wie es auch zu schreiben ist. In § 4 Abs. 1, Tz 4.1.5.2. ist hinsichtlich der Schreibweise eines in Polen gelegenen Geburtsortes festgelegt, daß gemäß der deutsch-polnischen Paßabsprache von 1976 bei Personen, deren Geburtsort vor dem 8. Mai 1945 innerhalb der Grenzen des Deutschen Reiches vom 31. Dezember 1937 lag, nur die deutsche Ortsbezeichnung des Geburtsortes (zum Beispiel Breslau für Wroclaw – die Bundesdruckerei hat auch keine polnische Tastatur –  oder Hindenburg für Zabrze) einzutragen ist. Bei Geburten ab dem 8. Mai 1945 in den oben bezeichneten Gebieten soll die polnische Bezeichnung, dahinter in Klammern die deutsche Ortsbezeichnung, eingetragen werden. Sind vor dem 8. Mai 1945 mehrere Umbenennungen erfolgt, wird die allgemein übliche deutsche Ortsbezeichnung in Klammern eingetragen. Eine Angabe des Staates ist grundsätzlich nicht vorgesehen. Alles klar? Opa ist 1916 in Breslau geboren, Papa 1946 in Wroclaw (Breslau). In welchem Land das war, ergibt sich nicht aus dem Reisepaß, sondern dazu schlägt man einen historischen Atlas auf.

Vielleicht sollte es mit den Jahren auch unseren politisch korrekten Zeitgenossen dämmern, daß die Geschichte selbst großzügig ist, und die Kleingeistigkeit das zweifelhafte Privileg von Menschen ist, die da meinen, ihre Deutung der Geschichte dem Rest der Menschheit aufzwingen zu können. Das Beispiel Breslau ist eigentlich sehr aufschlußreich. Im Jahre 990 von dem Piastenherzog Mieszko gegründet und nach der Unabhängigkeit Schlesiens von Polen im Jahre 1202 deutsch geworden, kurzzeitig auch böhmisch und ungarisch, kam die Stadt dann 1945 wieder zu Polen. Wie in den meisten Fällen mittelalterlicher Städtegründungen hat es dort natürlich auch vor 990 eine Ansiedlung gegeben. Der lateinische Name war Vratislavia, was auf seine slawischen Wurzeln hindeutet, und sich letztendlich sowohl im deutschen Breslau wie im polnischen Wroclaw (die Tastatur meines PC hat weiterhin kein diakritisches polnisches l) wiederfindet. Vielleicht übersteigt das alles aber das intellektuelle Fassungsvermögen des Gehirns eines der political correctness verpflichteten Menschen, denn es ist bereits mit allerhand politischem Müll bis zum Überlaufen angefüllt.

 

Pasquino 2.0

„Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil“ habe ich meinen Kommentar zu dem unsäglichen Artikel von Volker Zastrow in der FAS vom 29.11.2015 überschrieben. Zur Erinnerung: Zastrow hat darin eine diffamierende Suada sondersgleichen über alle diejenigen ausgegossen, die mit der weltweit einzigartigen „Refugees Welcome Politik“ der Kanzlerin nicht einverstanden sind, in Sonderheit über die Anhänger der AfD. Natürlich hat diese Partei reagiert und nicht ganz unberechtigt FAS und die sie stützende Mutter FAZ in eine Reihe mit der linksradikalen Krawallszene gestellt. Nun wundert man sich dort, daß es aus dem Walde herausschallt, wie man hineingerufen hat. In einer Melange von Empörung, Weinerlichkeit und Frontberichterstattung dokumentiert und kommentiert man nun sowohl die harsche Reaktion der AfD als auch den begleitenden shitstorm im Internet.

Offenbar haben die meisten Journalisten und Politiker noch nicht verstanden, daß die sogenannten sozialen Medien wie Facebook und Twitter die Funktion des guten alten Pasquino übernommen haben. Vielleicht sollte ich das erläutern. Wenige Schritte südwestlich der Piazza Navona in Rom findet man auf einem über und über mit Pamphleten beklebten Sockel den Torso einer antiken Statue. Die Römer nennen sie Pasquino. Seit dem 16. Jahrhundert wird der Sockel mit Pamphleten beklebt, in denen – selbstverständlich anonym – die Obrigkeit geschmäht wird. Diese Zettel heißen im italienischen pasquillo oder pasquinata. Daher spricht man ja auch bei uns von einem Pasquill, wenn man eine Schmähschrift meint.

Nun liegt es in der Natur der Sache, daß die anonymen Verfasser von Schmähschriften nicht selten glauben, sich weder inhaltlich noch sprachlich Zurückhaltung auferlegen zu müssen. Ganz im Gegenteil. Berauscht von der eigenen -vermeintlichen- Sprachgewalt torkeln sie durch die virtuelle Welt der sozialen Netzwerke, vergessen alle Regeln des Anstandes und trampeln die Grenzen zu den Beleidigungsdelikten nieder. Daß sie sich selbst wie auch ihrem jeweiligen Anliegen damit einen Bärendienst erweisen, kommt ihnen dabei ebenso wenig in den Sinn, wie dem betrunkenen Autofahrer, daß er Gesundheit und Leben anderer Verkehrsteilnehmer gefährdet. Leider kann man zwar ihm die Fahrerlaubnis entziehen, jenen Zeitgenossen jedoch, die sich an der Tastatur ihres PC nicht zu benehmen wissen, kann man eine Lizenz zur öffentlichen Meinungsäußerung nicht nehmen, weil es eine solche glücklicherweise (noch) nicht gibt.

Wer indessen diese elektronischen Pasquinaden ernst nimmt und sich darüber echauffiert, der macht sich genauso lächerlich, wie jener Papst, der seinerzeit über die ihn verhöhnenden Pamphlete so aufgebracht war, daß er den Pasquino am liebsten im Tiber hätte versenken lassen. Davon konnten ihn seine Berater gottlob abbringen, weswegen wir auch heute noch die zum Mißvergnügen der italienischen Obrigkeiten an seinem Sockel angebrachten Zettel lesen können. Wer allerdings diesen intellektuellen Müll im Internet dem politischen Gegner zuschreibt und ihn dafür verantwortlich macht, der diffamiert seinerseits. Er treibt es noch ärger als die anonymen Verfasser jener verbalen Flatulenzen. Denn damit beabsichtigt er ja ganz offensichtlich, die inhaltliche Auseinandersetzung mit den Argumenten des politischen Gegners wegen deren vermeintlicher Anrüchigkeit unterlassen zu können. Gleichzeitig diffamiert er damit alle Bürger, die eben jenen ungeliebten Meinungen zuneigen.

Herrn Zastrow und seinen journalistischen Wasserträgern sei ins Stammbuch geschrieben, daß sie die Aufmerksamkeit und Intelligenz der Bürger gewaltig unterschätzen, von deren Geld sie leben.

Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil

Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung versteht sich möglicherweise immer noch als eher bürgerliches Blatt. Das hält einer kritischen Überprüfung nicht mehr stand. In der Ausgabe vom heutigen Tage hat ihr politischer Chefredakteur Volker Zastrow die kritischen Bürger dieses Landes, insbesondere die Sympathisanten der AfD, mit Kübeln von Schmutz übergossen. Auf so etwas muß man reagieren. Nachstehend gebe ich den Text meines Briefs an die Redaktion wieder:

Sehr geehrte Damen und Herren,

es gilt ein Ärgernis zu kommentieren. Volker Zastrow hat einen veritablen Amoklauf gegen die politische Überzeugung eines Großteils, ich möchte sagen einer Mehrheit, der Bürger dieses Landes unternommen. Mit der Dampfwalze der political correctness walzt er die Warnungen der nachdenklichen Bürger vor dem Überhandnehmen des Flüchtlingsstroms nieder. Er diffamiert Argumente und Fakten als rechtsradikale Propaganda, und macht die Sorgen der Leute vor dem Verlust ihrer Identität lächerlich. Der Wunsch der Deutschen, die sich tatsächlich immer noch als Volk von gemeinsamer Herkunft, gemeinsamer Geschichte und gemeinsamer Kultur definieren, und diese nicht nur heute zu besitzen, sondern auch bewahren zu wollen, ist für ihn wohl mindestens dumpf, wenn nicht Schlimmeres. An und für sich ist es aber eine natürliche Empfindung, daß der Mensch so leben will, wie er es gewohnt ist. Das gilt für die Deutschen wie für jede andere Nation. Die Lebensgewohnheiten, von der Küche bis zur Freizeitgestaltung, von der Mode bis zur Kultur, vom Arbeitsleben bis zu den religiösen Festen, all das ist die Wahrnehmung von Heimat und Tradition. Dazu gehört durchaus auch die Aufnahme von Menschen aus anderen Kulturen. Allerdings gilt auch hier der Grundsatz, daß jede Übertreibung schadet. Wenn aus Gästen Einwohner werden sollen, dann müssen Fremde zu Einheimischen werden. Denn nur eine im wesentlichen homogene Gesellschaft kann auch eine harmonische und friedliche Gesellschaft sein. Das heißt natürlich nicht, daß man fremde Kulturen gänzlich ablehnt. Nein, die Araber zum Beispiel können so leben, wie sie das möchten. Allerdings nicht bei uns, soweit das mit unserer Art zu leben eben nicht vereinbar ist.

Wer das als „völkisch“ diffamiert, der will diskriminieren und diffamieren. Die Sorge der Deutschen, ihre Identität nach und nach zu verlieren, weil eine unabsehbare Zahl von Zuwanderern aus völlig fremden Kulturen auf keinen Fall die deutsche Identität übernehmen will, wird mit einem Vokabular kommentiert, das bewußt die Schlüsselworte des Nationalsozialismus verwendet. Vokabeln wie „völkisch“, „Volksschädlinge“ und „Antisemitismus“ werden gebraucht, um die Sorgen der einheimischen Bevölkerung als rechtsradikale Gesinnung zu verleumden. Zastrow wendet dabei die bewährte Methode an, zum Beispiel unerwünschte Verhaltensweisen von Anhängern der AfD selektiv und übertrieben darzustellen, Verhaltensweisen der seines Erachtens lobenswerten Linken hingegen erst gar nicht zu erwähnen. Die Verlogenheit dieser Art von Journalismus zeigt sich besonders deutlich daran, wie er über den Versuch zweier ZDF-Reporterinnen berichtet, Teilnehmer an einer Kundgebung der AfD zu interviewen. Er behauptet Gewaltanwendung und redet von schubsen, stoßen oder gar schlagen. Tatsächlich, und das konnte man ja etwa im Morgenmagazin des ZDF am 24.11.2015 sehen, drängte sich eine Journalistin in die Menge der Kundgebungsteilnehmer und hielt den Leuten penetrant ihr Mikrofon vor das Gesicht, obgleich sie unmißverständlich bedeutet hatten, keine Fragen der Reporterin beantworten zu wollen. Mit der Zeit gab es dann schon leichte Schubser, und die Polizei holte dann die Dame aus der Menge heraus, in die sie sich hineingedrängt hatte. Von Gewalt kann nicht ernsthaft die Rede sein. Wovon Zastrow allerdings keine Silbe berichtet, das ist die Vielzahl von schweren Straftaten gerade gegen Politiker der AfD. Da werden Autos und Betriebsgebäude angezündet, da wird massiv gedroht. Worüber wundern sich die Medien eigentlich, wenn einfach strukturierte Leute dann „Lügenpresse“ rufen? Natürlich ist das nicht korrekt, denn was nicht berichtet wird, kann auch nicht gelogen sein. Aber es gilt doch der Satz: eine halbe Wahrheit ist eine ganze Lüge. Michael Klonovsky formuliert daher zutreffend was unsere Medien tun, wenn er von „Lückenpresse“ spricht.

Eine Wochenzeitung, die sich Herrn Zastrow als verantwortlichen Redakteur des Ressorts Politik leistet, gehört nicht in meinen Briefkasten. Wer einen Großteil der Bürger dieses Landes und mich selbst nahezu unverblümt als Nazi bezeichnet, der muß zur Kenntnis nehmen, daß er schreiben mag für wen er will, von mir aus auch für den Papierkorb. Ich kündige daher ordentlich das Abonnement der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung zum 31.12.2015.

Mit freundlichen Grüßen
Rainer Thesen

Die ungleiche Ahndung von Kriegsverbrechen

Werbung in eigener Sache gilt allgemein als unfein, zumindest unseriös. Dennoch will ich an dieser Stelle auf ein Buch hinweisen, das Anfang Dezember im Osning Verlag erscheint. Denn es kann nicht damit gerechnet werden, daß es in den Medien besprochen und empfohlen wird. Zum einen werden die Arbeiten von Außenseitern, und darunter werden nun einmal alle Autoren verstanden, die nicht aus den historischen Fakultäten unserer Universitäten kommen, kaum zur Kenntnis genommen. Zum anderen werden Autoren, die sich nicht im politisch korrekten Mainstream bewegen, regelmäßig als Revisionisten, „Rechte“ oder sonst wie suspekte Personen betrachtet. Der als Militärhistoriker mit vielen Veröffentlichungen in Erscheinung getretene gelernte Generalstabsoffizier Klaus Hammel hat sich intensiv mit den Kriegsverbrechen beider Seiten im Zweiten Weltkrieg und ihrer juristischen Behandlung, soweit sie überhaupt stattgefunden hat, beschäftigt. Allein schon die Fülle von Informationen, die sonst nicht oder nur sehr schwer zugänglich sind, lohnt bereits die Lektüre dieses Buches. Sein unbestechliches Urteil ist weit von dem entfernt, was politisch korrekte Zeitgenossen Revisionismus nennen. Ich selbst habe am Beispiel des Krieges in Italien 1943-45 Kriegsverbrechen und deren juristische Behandlung untersucht. Das Buch kann bis zum 31.12.2015 zum Subskriptionspreis von 32,00 € beim Verlag bestellt werden.

Frau komm – Als die Soldaten kamen

Die massenhaften Vergewaltigungen in den letzten Wochen des Zweiten Weltkrieges, aber auch bis in die fünfziger Jahre hinein, sind sehr lange ein Tabuthema in Deutschland geblieben. Dies, obgleich schon 1954 in einer offiziellen Dokumentation der Bundesregierung zur Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa auch dieses Thema ausführlich behandelt worden ist. Allerdings beschränkt sich diese Dokumentation auf die Geschehnisse im Osten. Die Untaten alliierter Soldaten im Westen und Süden Deutschlands werden darin nicht behandelt, was ja auch der Aufgabenstellung entspricht. Der Grund für diese bewußte Aussparung liegt auf der Hand: Das Verhältnis der bundesdeutschen Bevölkerung zu den neuen Alliierten sollte nicht durch die Darstellung von ihren Soldaten wenige Jahre zuvor massenhaft begangener Verbrechen belastet werden. Hinsichtlich der Staaten des Warschauer Pakts, insbesondere der Sowjetunion, galt natürlich das Gegenteil. Die Erinnerung daran, wie ihre Soldaten marodierend und vergewaltigend durch die östlichen Landesteile und Berlin gezogen waren, sollte durchaus wach gehalten werden. Wie ich aus eigener Erinnerung weiß, hatte das jedenfalls in den Jahren des Kalten Krieges auch einen positiven Einfluß auf die Motivation der wehrpflichtigen Soldaten und die Einstellung der Deutschen zu NATO und Bundeswehr.

Dennoch verblaßte im Lauf der Jahre auch die kollektive Erinnerung an diese Vorgänge im Osten. Erst in den letzten Jahren ist das Thema publizistisch und wissenschaftlich wieder in den Focus gerückt. Erstmals wurden nun auch die im Grunde genommen durchaus bekannten Verbrechen amerikanischer, britischer und französischer Soldaten zum Thema von Büchern und Zeitschriftenartikeln gemacht. Zwei dieser Arbeiten habe ich gelesen. Trotz des gleichen Themas könnten sie jedoch inhaltlich nicht unterschiedlicher sein. Es handelt sich zum einen um das Buch „Frau, komm!“ – Die Massenvergewaltigungen deutscher Frauen und Mädchen 1944/45 des Juristen Ingo von Münch (Ares Verlag, Graz 2009 ISBN 978-3-902475-78-7) und zum anderen um das Buch „Als die Soldaten kamen – die Vergewaltigung deutscher Frauen am Ende des Zweiten Weltkriegs“ der Historikerin Miriam Gebhardt (Deutsche Verlags-Anstalt, München, 2015 ISBN 978-3-421-04633-8). Ingo von Münch beschränkt sich thematisch auf die Vorgänge im Osten, während Miriam Gebhardt auch die Ereignisse im Westen und Süden Deutschlands behandelt.

Die Arbeit der Historikerin Gebhardt ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Daß sie hauptsächlich soziologisch angelegt ist, und nicht in erster Linie Ereignisgeschichte schreibt – „wie es denn gewesen ist“ (Leopold von Ranke, Thukydides) – ist der heute vorherrschenden Auffassung von Geschichtswissenschaft geschuldet. Nicht umsonst firmiert das wohl meistgenutzte Internetportal dieser Disziplin unter dem Titel „H-Soz-Kult“, einem Akronym für „Humanities – Sozial und Kulturgeschichte“. Die Forschungsschwerpunkte der Autorin spiegeln sich auch in den Titeln ihrer Werke wieder, die sie im Literaturverzeichnis des besprochenen Buches nennt (“ Die Angst vor dem kindlichen Tyrannen. Eine Geschichte der Erziehung im 20. Jahrhundert“, „Alice im Niemandsland. Wie die deutsche Frauenbewegung die Frauen verlor“, und „Eine Frage des Schweigens? Forschungsthesen zur Vergewaltigung deutscher Frauen nach Kriegsende“). Welche Fragen die moderne historische Forschung offenbar bewegen, zeigt sich auch an Titeln in ihrem Literaturverzeichnis wie „Umkämpfte Maskulinität. Zur Historischen Kultursoziologie männlicher Subjektformen und ihrer Affektivitäten vom Zeitalter der Empfindsamkeit bis zur Postmoderne“. Ob es allerdings dieser Herangehensweise geschuldet ist, daß ihre Angaben zu den Opferzahlen insbesondere hinsichtlich der Vorgänge im Osten im Vergleich zu anderen Autoren außerordentlich niedrig ausfallen und auch zum Teil schlicht nicht nachvollziehbar sind, mag zunächst offen bleiben. Daß Opferzahlen nur grob geschätzt werden können, liegt auf der Hand und ist auch unstrittig. Gebhardt selbst erklärt, daß ihre Schätzungen sehr vorsichtig sind. Sie gibt die Gesamtzahl der von alliierten Soldaten vergewaltigten Frauen in Deutschland mit 860.000 an. Ihre auf der Basis der ebenfalls nur geschätzten Zahl der sogenannten Besatzungskinder hochgerechneten Opferzahlen legten dann nahe, daß annähernd 190.000 in der Bundesrepublik lebende Frauen amerikanischen Tätern zum Opfer gefallen seien, 50.000 Frauen französischen Tätern, 45.000 britischen, 15.000 sowjetischen und 10.000 belgischen. Gebhardt zitiert allerdings auch andere Schätzungen, so von Helke Sander und Gerhard Reichling, wonach die Zahl der Vergewaltigungen auf rund 110.000 Fälle allein in Berlin und weitere 1,9 Millionen Fälle in der SBZ, in den ehemaligen deutschen Ostgebieten und während Flucht und Vertreibung geschätzt würden. Somit wären 2 Millionen deutsche Frauen einer kriegsbedingten Vergewaltigung durch Sowjets zum Opfer gefallen. Ingo von Münch gibt Schätzungen verschiedener Autoren wieder, die von 1.400.000-2.000.000 Opfern ausgehen. Aber nicht nur die im Vergleich zu anderen Untersuchungen auffallend niedrige Gesamtzahl von 860.000 Opfern fällt auf, sondern auch die in sich nicht stimmige Verteilung auf die Tätergruppen. Denn die Addition der genannten Zuordnungszahlen ergibt nun einmal 310.000 und nicht 860.000. Falls die Angaben zu den Tätern aus den westalliierten Armeen zutreffen sollten, dann müßten nicht 15.000, sondern 565.000 Frauen den Übergriffen der sowjetischen Soldaten zum Opfer gefallen sein.

Im Schwerpunkt befaßt sich die Verfasserin mit den Motiven der Täter einerseits und den Auswirkungen ihrer Taten auf die Opfer andererseits. Die Motive der Täter sucht sie offenbar vorwiegend in den Kriegserlebnissen der Soldaten, ihrer Wahrnehmung des Feindes, und zwar nicht nur des feindlichen Soldaten, sondern des feindlichen Volkes überhaupt, so wie in kulturellen und psychischen Ursachen wie dem Verhältnis der Geschlechter, gruppendynamischen Prozessen und ähnlichem mehr. Erwähnt wird auch die Propaganda, gerade auf sowjetischer Seite. Auch wenn sie ausführt, das „berühmte“ Flugblatt, in dem der Schriftsteller Ilja Ehrenburg zur massenhaften Vergewaltigung und Schändung deutscher Frauen aufruft, werde ihm nur zugeschrieben, so macht es doch wohl keinen Unterschied, ob es von ihm oder einer unbekannten Person verfasst worden ist. Nachweislich wurde es in der Roten Armee verbreitet. Und sein Text ist an Unmenschlichkeit nicht zu überbieten: „Tötet. Es gibt nichts, was an den Deutschen unschuldig ist, die Lebenden nicht und die Ungeborenen nicht. Folgt der Weisung des Genossen Stalin und zerstampft für immer das faschistische Tier in seiner Höhle. Brecht mit Gewalt den Rassenhochmut der germanischen Frauen! Nehmt sie als rechtmäßige Beute! Tötet, ihr tapferen Soldaten der siegreichen sowjetischen Armee!“

Damit ist aber auch klar, warum die Rote Armee wenn überhaupt, nur sehr selten gegen Vergewaltigungen eingeschritten ist. Auch wenn sogar in Einzelfällen Soldaten wegen solcher Taten zum Tode verurteilt und hingerichtet worden sind, so haben es die Kommandeure und Befehlshaber mindestens geduldet, daß ihre Soldaten sich so verhalten haben. Anders wäre es ja auch nicht möglich gewesen, daß dies in so ungeheurem Ausmaß geschehen konnte.

Der Verdienst der Arbeit liegt sicher darin, daß die ebenfalls objektiv sehr große Zahl von Vergewaltigungen durch amerikanische, britische und französische sowie auch belgische Soldaten einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht wird. Auch hier fällt auf, daß die Offiziere nur sehr selten gegen diese Täter eingeschritten sind. Natürlich sind auch Strafverfahren vor Kriegsgerichten durchgeführt worden, insbesondere in der US-Armee. Deren Zahl ist zwar nicht exakt belegt, und kann deswegen auch nur vorsichtig geschätzt werden. Im Verhältnis zur Gesamtzahl der Taten ist sie verschwindend gering. Auch dies mag daran liegen, daß auch den Soldaten der westlichen Alliierten die Frauen des besiegten Feindes und sogar der befreiten europäischen Länder (Frankreich, Italien) gewissermaßen als Beute versprochen wurden. Traurige Berühmtheit haben die Massenvergewaltigungen durch nordafrikanische Soldaten der französischen Armee in Italien erlangt. Der Kommandierende General des französischen Expeditionskorps hatte seine Soldaten für den verlustreichen Durchbruch durch die deutsche Gustav-Linie bei Monte Cassino motiviert, indem er ihnen erklärte, die Frauen in den Dörfern jenseits der Front gehörten für die nächsten drei Tage ihnen. Gebhardt schreibt: „Wie wir mittlerweile wissen, war die Kriegsprämie in Gestalt einer europäischen Frau durchaus ein Rekrutierungsargument der US Armee gewesen.“ Unter diesen Umständen nimmt es nicht wunder, daß die Armeeführungen weder disziplinarisch noch kriegsgerichtlich in nennenswertem Umfang gegen diese Täter eingeschritten sind. Inwieweit auch die diffamierende Kriegspropaganda gegen die Deutschen an sich und nicht lediglich gegen die Nationalsozialisten hier mitgespielt hat, untersucht die Verfasserin leider nicht.

Was an dem Buch von Miriam Gebhardt jedoch besonders ins Auge fällt, ist ihr Erklärungsmuster, wonach die Opfer dieser Untaten gewissermaßen objektiv durch ihre Unterstützung des Nazi-Regimes eine Ursache für ihr späteres Schicksal gesetzt hätten. So findet sich gleich im Vorwort der an sich unglaubliche Satz: „Vielmehr sollen die Opfer selbst zu Wort kommen, sie sollen rehabilitiert werden, ohne daß sie damit zugleich von den deutschen Verbrechen im Nationalsozialismus freigesprochen sind. Es erscheint mir wichtig, diese Ambiguität der Täter-und Opferrolle anzuerkennen.“ Mit diesem Ansatz steht sie offenbar nicht alleine. Sie weist darauf hin, daß es sich eingebürgert habe, daß die wenigen „Historikerinnen und Historiker“, die das Thema Massenvergewaltigungen an deutschen Frauen überhaupt beschäftigt, ihren Ausführungen lange Exkurse über die Verbrechen der Wehrmacht, die Wehrmachtbordelle und die Zwangsprostitution in Konzentrationslagern voranstellen. Erst wenn von den eigenen Untaten ausführlich gesprochen worden sei, dürfe von den eigenen Opfern die Rede sein. Diese Rhetorik sei verständlich und sympathisch, allerdings lege sie ihres Erachtens eine problematische Kausalität nahe – weil die Deutschen so unendlich gewütet haben, wurden die deutschen Frauen anschließend vergewaltigt. Diese innere Logik trifft für sie allerdings für amerikanische und kanadische Soldaten nicht zu, weil die Wehrmachtssoldaten nicht zuvor den Frauen jenseits des Atlantiks sexuelle Gewalt angetan hätten. An dieser Stelle ist bemerkenswert, worüber die Verfasserin schweigt. Sie setzt stillschweigend voraus, daß die deutschen Soldaten während des Krieges ebenfalls massenhaft derartige Verbrechen begangen hätten. Dem war aber nicht so, was die Verfasserin eigentlich wissen müßte. Ingo von Münch zitiert in seinem bereits 2009 erschienenen Werk die Arbeit von Birgit Beck, „Wehrmacht und sexuelle Gewalt. Sexualverbrechen vor deutschen Militärgerichten 1939-1945“, die bereits 2004 erschienen ist. Er zitiert auch das ebenfalls von Gebhardt ausgewertete Werk von Helke Sander/Barbara Johr, woraus sich ergibt, daß „Ereignisse wie in Nanking oder in Berlin für die Wehrmacht nicht belegt“ sind. Von Münch zieht daraus den Schluß, daß dies konkret und eindeutig bedeutet, daß es keine – den Massenvergewaltigungen deutscher Frauen und Mädchen durch russische Soldaten 1944/1945 vergleichbaren – Massenvergewaltigungen durch deutsche Soldaten gegeben hat, übrigens auch keine sogenannten systematischen Vergewaltigungen, die entweder Terror verbreiten sollten, oder wie im Bosnien-Krieg von serbischer Seite, mit dem Ziel der „ethnischen Säuberung“ im Zusammenhang standen. Vielmehr weist von Münch darauf hin, daß die Wehrmacht vor allem aus Gründen der Disziplin gegen Vergewaltigungen auch in Russland regelmäßig und auch mit drakonischen Strafen eingeschritten ist. Dies habe im übrigen sogar für die Waffen-SS gegolten. Tatsächlich sind von den Wehrmachtgerichten eine Vielzahl von Soldaten wegen solcher Verbrechen sogar mit dem Tode bestraft worden. Gebhardt hätte somit Gelegenheit gehabt, das Rachemotiv, das den Soldaten der Roten Armee nicht selten mit einem gewissen Verständnis unterstellt wird, in das Reich der Fabel zu verweisen. Daß sie es nicht tut, und die Arbeiten von Beck und von Münch nicht einmal erwähnt, läßt nur die Schlussfolgerung zu, daß auch sie an dem Bild von den marodierenden und vergewaltigenden Wehrmachtssoldaten festhalten will. Entgegenstehende Fakten werden dann lieber erst gar nicht erwähnt.

Empörend ist jedoch die Auffassung der Verfasserin, die vergewaltigten Frauen und Kinder (!) hätten gewissermaßen objektiv eine Ursache dafür gesetzt, daß die alliierten Soldaten so mit ihnen umgegangen seien. Sie behauptet wörtlich: „Seit den neunziger Jahren ist es kein Geheimnis mehr, daß deutsche Frauen und Kinder nicht nur Opfer waren. Sie haben mehrheitlich der nationalsozialistischen Ideologie zugestimmt, sie waren im schlimmsten Fall aktiv an der Verfolgungs- und Vernichtungspolitik beteiligt. Ohne die zahllosen Denunziantinnen wäre etwa die Erfassung der jüdischen Bevölkerung zur späteren Ausplünderung, Vertreibung und Vernichtung nicht möglich gewesen. Die Annahme, daß deutsche Frauen überlebenswichtig seien für die ‚arische‘ Rasse, ließen sie die sogenannten minderwertigen Frauen und Völker spüren. Frauen waren KZ-Wärterinnen, Kolonistinnen in den besetzten Gebieten, Anstifterinnen, Mitläuferinnen, Profiteurinnen oder zumindest Zuschauerinnen der nationalsozialistischen Verbrechen…. Auch vermeintlich apolitische Hausfrauen glaubten an die Überlegenheit des deutschen Volkes und an die Gerechtigkeit des Krieges, hofften auf den Endsieg und hielten ganz entscheidend die Kriegsmaschinerie am Laufen… Frauen waren zu jener Zeit von der Abhärtungsideologie, von der Notwendigkeit von Sachlichkeit und Empathielosigkeit genauso überzeugt wie Männer, sie haben ihre Kinder entsprechend erzogen. Wir müssen davon ausgehen, daß eine deutsche Durchschnittsfrau von den nationalsozialistischen Verbrechen wie dem Judenmord und den Greueltaten der Wehrmacht wissen konnte… Es ist vollkommen klar, daß viele Vergewaltigungsopfer mindestens potenziell auch Täterinnen waren. Selbst Kinder waren nicht immer nur unschuldig, sondern haben sich unter Umständen an Schikanen von Zwangsarbeitern beteiligt, jüdische Mitschüler gemobbt und sich für Angehörige einer Herrenrasse gehalten.“ Die Verfasserin behauptet also allen Ernstes, die Frauen und Kinder jener Zeit hätten nicht einfach wie Frauen und Kinder in allen anderen kriegführenden Ländern sich um ihre Ehemänner, Söhne bzw. Väter gesorgt, sondern aktiv nicht lediglich ihr Land, sondern die nationalsozialistische Ideologie unterstützt. Sogar Kindern eine bewußte Unterstützung des Regimes zu unterstellen, verschlägt einem schon den Atem. Natürlich liegt Gebhardt damit auf einer Linie mit dem Bundespräsidenten Gauck, der den hunderttausenden von Opfern des alliierten Bombenterrors bescheinigt hat, sie hätten angesichts des Leides, das die Deutschen über Europa gebracht hätten, indem sie jenen Krieg vom Zaun gebrochen und in verbrecherischer Weise geführt hätten, eigentlich erwarten müssen, daß ihnen derartiges geschieht. Es ist müßig, darauf hinzuweisen, daß selbst die Minderheit der Wähler, die Hitler in freien Wahlen ihre Stimme gegeben haben, zu diesem Zeitpunkt nicht wissen konnten, was Jahre später geschehen würde, und daß die allermeisten Deutschen auch während des Krieges wegen der strikten Geheimhaltungsmaßnahmen des Regimes von seinen großen Untaten nichts gewußt haben. Es ist bedrückend, daß eine deutsche Hochschullehrerin einen solchen Ursachenzusammenhang nicht für völlig abwegig und unhistorisch erklärt, sondern diesen Zusammenhang lediglich nicht für eine ausreichende Erklärung hält, sondern, so wörtlich: „Eine empathische Auseinandersetzung mit der Massenvergewaltigung sollte vielmehr unter dem Vorzeichen der Verklammerung der beiden Kategorien Geschlecht und Ethnie stehen.“ Da hilft es wenig, daß sie immerhin in rechtlicher Hinsicht ausführt, es gebe generell keine Legitimation eines Verbrechens aus einem anderen Verbrechen. Denn auch diese Argumentation fußt auf der Grundannahme, daß es gleichartige Verbrechen auf der Seite der Opfer gegeben hat.

Die Autorin hat auch offenbar erhebliche Vorbehalte gegen die Vorstellungen der Deutschen in der Kriegs-und Nachkriegszeit über das Verhältnis der Geschlechter zueinander. Deswegen setzt sie sich auch entsprechend kritisch mit dem Umgang der deutschen Gesellschaft mit den Opfern dieser massenhaften Vergewaltigungen auseinander. Tatsache ist jedoch, daß es zwar leider vielfach nicht gelungen ist, den Opfern wenigstens Entschädigung zu gewähren, von Gerechtigkeit und Genugtuung ganz zu schweigen. Alles jedoch auf Gesellschaftsordnung jener Zeit zurückzuführen, halte ich für unzulässig.

Ingo von Münch beschränkt sich auf die Vorgänge im Osten, wie ausgeführt. Diese untersucht er sorgfältig und faktenreich. Ebenso wie Gebhardt zitiert er in großem Umfang die Aussagen von Opfern. Die Lektüre dieser Erzählungen ist bedrückend. Dennoch muß man sie lesen um einen Eindruck davon zu bekommen, was damals geschehen ist. Von Münch sieht die Ursache für dieses Verhalten der sowjetischen Soldaten meines Erachtens zutreffend einerseits in der Hasspropaganda des Regimes und andererseits in der Tat in der Psyche der Soldaten. Gebhardt indessen meint, lange Zeit, vielleicht bis heute, habe die „Karikatur des barbarisch vergewaltigenden Russen“ das Geschichtsbild hierzulande beherrscht. Dieses Zerrbild bündelte all die historisch angestauten Ressentiments und Befürchtungen der deutschen Bevölkerung gegenüber dem Bolschewismus und den im Nationalsozialismus herabgewürdigten „Untermenschen“ aus dem Osten. Die Massenvergewaltigungen hätten dieses Bild bestätigt. Leider muß man sagen: Sie haben es bestätigt. Ähnliches muß auch für das Verhalten der nordafrikanischen Soldaten in der französischen Armee gesagt werden. Denn ihr Anteil an diesen Verbrechen ist überwältigend. Offenbar hat man jedoch Angst, sich dem Vorwurf des Rassismus auszusetzen, wenn man diese Fakten benennt. Es geht jedoch nicht an, Tatsachen auszublenden, nur weil sie geeignet sein könnten, Vorurteile zu schüren.

Zusammenfassend muß festgehalten werden, daß die Arbeit von Miriam Gebhardt sich nahtlos in die lange Reihe von Büchern einfügt, die den Deutschen in der Zeit des Nationalsozialismus allgemein und ihren Soldaten im besonderen eine grundsätzliche Übereinstimmung mit dem System bescheinigen. Sie haben demnach alle Verbrechen des Systems mit zu verantworten. Sie können sich deswegen nicht darüber beschweren, daß sie selbst Opfer von Kriegsverbrechen geworden sind. Somit waren sie Täter und Opfer zugleich. Wir Nachgeborenen müssen nach ihrer Ansicht 70 Jahre nach Kriegsende so viel Ambiguitätstoleranz eben aufbringen. In diesem Zusammenhang scheint ihre größte Sorge zu sein, daß die Schilderung jener Greueltaten der alliierten Soldaten in Ost und West den sogenannten Revisionismus fördern könnte. Nüchterne wissenschaftliche Arbeit ebenso wie Empathie mit den Opfern sieht anders aus. Daß ein angesehener Lehrer des Staats- und Völkerrechts wie Ingo von Münch erst gar nicht erwähnt wird, könnte zu Spekulationen darüber Anlaß geben, daß manche Historiker wohl den juristischen Zugang zur Geschichte fürchten.