Willkommenskultur

Der Strom von Flüchtlingen, Asylbewerbern und, sagen wir einmal, Wirtschaftsmigranten schwillt in einem ungeahnten Ausmaß an. Behörden kommen mit der Einrichtung von Unterkünften und Sammellagern nicht nach. Turnhallen werden zur Unterbringung von Flüchtlingen benutzt mit der Folge, daß voraussichtlich auf lange Zeit der Sportunterricht in den Schulen ausfallen wird, und Sportvereine auf die Nutzung dieser Hallen verzichten müssen. Die Kosten für die Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge gehen bereits in die Milliarden. Die Verwaltungsgerichte kommen mit der Bearbeitung von Asylverfahren nicht mehr nach. Deswegen müssen andere Verfahren, etwa wegen Baugenehmigungen, liegen bleiben. Die Juristische Bewältigung der Schleuserkriminalität beginnt Staatsanwaltschaften und Amtsgerichte zu überfordern.

Politik, Kirchen und Medien werden indessen nicht müde, von den Bürgern eine „Willkommenskultur“ einzufordern. Will heißen, wir sollen auf vieles verzichten und Zustände dulden, die in den Ländern herrschen, welche die Flüchtlinge aus welchen Gründen auch immer verlassen haben. Es ist also an der Zeit, sich kritisch damit auseinanderzusetzen, was hier eigentlich abläuft, und was von uns letztendlich verlangt wird.

Zunächst einmal frage ich mich doch, warum ich Leute willkommen heißen soll, die ich nicht eingeladen habe. Natürlich steht es außer Frage, daß jeder Mensch, der sich legal oder illegal in unserem Lande aufhält, einen Rechtsanspruch auf Sicherung der wesentlichen Lebensgrundlagen hat. Das bedeutet, ein Dach über dem Kopf, ausreichende Ernährung und notwendige medizinische Versorgung. Das bedeutet natürlich auch einen korrekten Umgang mit diesen Menschen einschließlich der Wahrung der bei uns üblichen höflichen Umgangsformen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Über das Strafgesetzbuch sollte man in diesem Zusammenhang erst gar nicht reden müssen. Wer etwa zum Haß auf Asylbewerber oder andere Flüchtlinge aufruft, oder dem sogar Taten in Form von Brandstiftungen folgen läßt, stellt sich als Straftäter außerhalb der Gesellschaft.

Gerade die ungeheure und weiter anschwellende Zahl der Flüchtlinge muß uns jedoch zu denken geben. Zwar gebietet Art. 16 a des Grundgesetzes, daß Asylsuchende und Bürgerkriegsflüchtlinge von uns aufzunehmen sind. Indessen steht auch dieses Grundrecht unter dem Vorbehalt der sonstigen Gesetze. So ist es ja ausdrücklich zulässig, gewisse Quotenregeln, auch in internationalen Verträgen, zu statuieren. Ein Blick über die Grenzen zeigt allerdings auch, daß längst nicht alle europäischen Staaten – von der übrigen Welt soll an dieser Stelle einmal keine Rede sein, – bereit sind, Flüchtlinge in größerer Zahl aufzunehmen. Manche wollen das überhaupt nicht. Man kann auch nicht sagen, daß es sich dabei um undemokratische Unrechtssysteme handelt. Vielmehr handelt es sich um geachtete Mitglieder der internationalen Gemeinschaft. Das wirft die Frage auf, ob es tatsächlich zu den menschenrechtlichen Standards gehört, uneingeschränkt oder doch in großem Umfang Asyl zu gewähren und Bürgerkriegsflüchtlinge aufzunehmen. Auch wenn Deutschland diese Verpflichtung in seine Verfassung aufgenommen hat und durchaus großzügig handhabt, so muß doch geprüft werden, ob dies auch dann noch Geltung beanspruchen muß, wenn sich die tatsächlichen Grundlagen, auf denen eine solche Rechtsgewährung beschlossen worden ist, so massiv verändert haben, wie das derzeit der Fall ist. Der Vorbehalt der clausula rebus sic stantibus (unter den gegebenen Umständen) gehört ja nun einmal zu den juristischen Grundlagen ebenso wie der Rechtssatz, daß Verträge nach dem Grundsatz von Treu und Glauben auszulegen sind. Dies gilt umso mehr, wenn es durchaus möglich ist, das Vorliegen von Asyl-und Fluchtgründen bereits in der geographischen Nähe der jeweiligen Heimatländer zu prüfen. Dies setzt die Schaffung entsprechender Einrichtungen dort voraus, allerdings auch den Willen der Staatengemeinschaft, dies durchzusetzen. Und wer sagt denn, daß man vor Verfolgung erst sicher ist, wenn man ein Dutzend Länder durchquert hat? Wird man etwa als Eritreer auch in Ägypten verfolgt? Als Syrer auch in Saudi-Arabien? Auch ist es möglich, etwa Bootsflüchtlinge im Mittelmeerraum nach ihrer Rettung nicht etwa nach Norden in die Zielländer, sondern nach Süden in die Herkunftsländer zu verbringen. Denn damit würde den Schleuserorganisationen ihr Geschäft verdorben, anstatt es wie derzeit zu fördern. Heute ist es doch so, daß Flüchtlinge, die ein Schlauchboot an der libyischen Küste besteigen, sich sicher sein können, auch in Italien anzukommen. Entweder schaffen sie es selbst, oder sie werden von Schiffen der italienischen Küstenwache bzw. diverser NATO-Staaten, darunter Deutschland, in Italien an Land gebracht und betreut. Danach erfolgt die Weiterreise nach Deutschland.

Was wirklich auf uns zukommt, erfährt man ja auch ungeschminkt aus dem Munde der Schleuser. O-Ton eines Schleusers, der bei Passau aufgegriffen worden ist: „Was wollt ihr, wir sind tausende und wir scheißen euch mit Flüchtlingen zu!“ Der Mann hat unreflektiert und drastisch zwei Grundtatsachen benannt. Zum einen die Schlagkraft der Schleuserorganisationen, vor der die Polizeibehörden der Zielländer schon längst kapituliert haben, und den Zustrom der Flüchtlinge nur noch kanalisieren. Zum anderen die ungeheure Zahl der Flüchtlinge, die unsere Gesellschaft bei weitem überfordert. Wir stehen vor der Wahl, entweder unsere Lebensstandards im wesentlichen zu halten, oder aber im Sinne eines immer selbstloseren Teilens unsere Lebensverhältnisse denen in den Herkunftsländern anzunähern. Darüber wird zu reden und zu entscheiden sein.

Kampf um die Pressefreiheit oder politische Kabale?

Die Affäre um den blog netzpolitik.org erhitzt weiterhin die Gemüter. Inzwischen wurde der Generalbundesanwalt vom Bundesminister der Justiz in den einstweiligen Ruhestand versetzt, volkstümlich gesprochen: gefeuert. Die Wogen gehen hoch. Von einem selbstverständlich unerhörten Angriff auf die Pressefreiheit, dieses gewissermaßen konstituierende Grundrecht in einem demokratischen Rechtsstaat, wird landauf. landab geschrieben und gesendet, und man sieht förmlich die Unterlippe des empörten Kommentators vor Erregung beben. Man ergeht sich in – wohlfeilen – Verdammungen des Verfassungsschutzpräsidenten, der ein Ermittlungsverfahren gegen die beiden Journalisten von netzpolitik. org angeregt hat, und noch mehr des inzwischen geschassten Generalbundesanwalts. So gut wie keine Rede ist davon, was denn eigentlich rechtlich inmitten liegt.

Ausgangspunkt war eine Veröffentlichung der beiden Blogger, die vertrauliche, möglicherweise unter Geheimschutz stehende Papiere des Verfassungsschutzes jedermann zum Mitlesen präsentiert hatten. Die Frage, ob dies tatsächlich strafbarer Landesverrat (§ 94 StGB) gewesen sein könnte, interessiert offenbar niemanden. Zur Erinnerung: Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz hatte diesen Vorgang dem Generalbundesanwalt vorgelegt und angeregt zu prüfen, ob hier strafbarer Landesverrat vorliege. Das ist auch seines Amtes. Ebenso war der Generalbundesanwalt verpflichtet, zumindest strafrechtliche Vorermittlungen einzuleiten, was er auch erst einmal getan hat. Nachdem sich in den Medien ein Sturm der Entrüstung erhoben hatte, bekam es der Bundesjustizminister offenbar mit der Angst und machte von seinem Weisungsrecht gegenüber dem Generalbundesanwalt in der Weise Gebrauch, daß er die Einstellung der Ermittlungen verlangte. Die weiteren Einzelheiten sind bekanntlich strittig. Es ist auch relativ gleichgültig, ob und welche Gutachten zu dieser Frage in Auftrag gegeben worden sind, und zu welchem Ergebnis dem Vernehmen nach der ein oder andere Gutachter gelangt sein soll. Entscheidend ist vielmehr, daß die Einleitung von strafrechtlichen Ermittlungen wegen irgend eines Sachverhaltes ein völlig normaler Vorgang ist. Die Staatsanwaltschaft ist eben verpflichtet, solche Ermittlungen anzustellen, sobald ihr eine Strafanzeige vorgelegt oder auch nur ein Vorgang mit der Anregung vorgelegt wird, dessen strafrechtliche Relevanz zu prüfen. Das bedeutet natürlich noch lange nicht, daß die Staatsanwaltschaft diesen Vorgang dann auch zur Anklage bringt. Vielmehr kommt es nicht selten vor, daß die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren einstellt, weil ihres Erachtens kein Tatverdacht besteht, § 170 Abs. 2 StPO. Und selbst wenn sie zu dem Ergebnis kommt, es liege eine strafbare Handlung vor und deswegen Anklage zum zuständigen Gericht erhebt, ist damit noch lange nicht gesagt, daß es auch zu einer Verurteilung kommt. Nicht selten ist ein Gericht dann der Auffassung, es liege eben keine strafbare Handlung vor, anders als die Staatsanwaltschaft meint. Also handelt es sich in jedem Falle um einen völlig normalen Vorgang, den unsere Rechtsordnung so vorsieht. Amerikanisch-flapsig ausgedrückt: So what?!  An Recht und Gesetz gebundene Staatsanwälte und unabhängige Richter sind dazu berufen, über die Strafbarkeit oder Unbedenklichkeit der Handlungen von Bürgern zu befinden. Insbesondere liegt weder in der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens noch in der Durchführung eines Strafprozesses etwas ehrenrühriges. Das ist erst dann der Fall, wenn es zu einer Verurteilung kommt, und dann auch zu Recht.

Das sind alles Binsenweisheiten, und wäre nicht der Rede wert, gäbe es diesen Vorgang nicht. Erst der von Politikern und Journalisten fälschlich als solcher bezeichnete Angriff auf die Pressefreiheit hat diesen Sturm im Wasserglas ausgelöst. Dabei war man sich von taz bis SPIEGEL, von Süddeutscher Zeitung bis WAZ, von ARD bis ZDF nicht zu schade, Parallelen zur SPIEGEL-Affäre von 1962 zu ziehen und vom Angriff auf den demokratischen Rechtsstaat zu faseln. Tatsächlich handelt es sich nur um eine politische Kabale.

Was dieser Geschichte allerdings einen bitteren Beigeschmack gibt, ist der Umstand, daß hier ganz offensichtlich geworden ist, wie in Deutschland mit zweierlei Maß gemessen wird. Man stelle sich nur einen kurzen Augenblick lang vor, bei den Betreibern von netzpolitik.org hätte sich nicht um linksdrehende Journalisten gehandelt, (ein Prädikat, das wohl nicht bezweifelt werden kann) sondern um Journalisten aus dem konservativen oder gar rechten demokratischen Spektrum. Letzteres gibt es entgegen der Propaganda von linksdrehenden Journalisten und Politikern durchaus. Maßstab ist nämlich alleine die Verfassung, die auch Raum für Auffassungen rechts von den Unionsparteien, aber links von der vermutlich verfassungsfeindlichen (was noch nicht gerichtlich entschieden ist) NPD läßt. Hätte also der Generalbundesanwalt gegen Journalisten aus diesem sehr schmalen Sektor der Publizistik ermittelt, so hätte er sich des einhelligen Beifalls von Politik und Medien sicher sein können. Die politisch korrekten Journalisten und ihre politischen Schirmherren (-und Damen natürlich, die hysterische Doppelnull mit der Lizenz zum Dummschwätzen aus Augsburg vorneweg) hätten sich nicht eingekriegt vor Begeisterung darüber, daß die Justiz endlich nicht mehr auf dem rechten Auge blind ist.

Wer glaubt, daß sich dabei doch nur um eine Fiktion oder einen Fantasy-Roman handelt, der irrt. Anfang dieses Jahrhunderts ermittelte das Landesamt für Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen gegen die Berliner Wochenzeitung Junge Freiheit und erwähnte das in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten. Damit waren das Blatt und seine Redakteure an den Pranger gestellt. Die klagten dann dagegen und bekamen im Jahr 2005 vor dem Bundesverfassungsgericht Recht. Die Verfassungsrichter fanden sehr deutliche Worte für das Vorgehen der nordrhein-westfälischen Verfassungsschützer. Allerdings blieb dieser Vorgang in der breiten Öffentlichkeit völlig unbekannt, weil Politik und Medien darüber den Mantel des Schweigens gebreitet hatten. Lediglich wirkliche Leuchten des Journalismus wie Peter Scholl-Latour und Helmut Markwort warfen sich für ihre Berliner Kollegen in die Schanze.

Was für die Willensbildung in der Demokratie dabei bedenklich ist, ist eben der Umstand, daß die große Masse der Bürger über solche Vorgänge und ihre Hintergründe nicht oder nur irreführend informiert wird, wie der vorliegende Fall netzpolitik.org zeigt.Wer sich nur aus den Tageszeitungen, auflagenstarken Wochenzeitungen sowie Rundfunk und Fernsehen informiert, wird desinformiert. Und das betrifft leider die große Masse der arbeitenden und steuerzahlenden Bürger. Sie werden von Politik und Medien gezielt in die Irre geführt. Der Demokratie ist das alles andere als förderlich.

Mein Krampf

70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wird naturgemäß sehr viel über diesen Krieg und seine Ursachen geschrieben. Erstaunlich wenig liest man in diesen Tagen über den Mann, der für den Ausbruch dieses Krieges nach verbreiteter Ansicht allein Verantwortung trägt, auf jeden Fall jedoch zu einem erheblichen Teil. Wer sich mit einem ausdrücklich als programmatisch bezeichneten Buch an die Öffentlichkeit wendet und sich mit gleichlautenden Reden und Programmen zur Wahl stellt, der muß sich daran auch messen lassen. Somit muß als authentische Formulierung der nationalsozialistischen Ideologie Hitlers „Mein Kampf“ angesehen werden.

Angesichts des politischen Erfolges seines Autors verblüfft den Leser das intellektuelle Niveau dieses Buches. Abgesehen davon, daß es nicht entfernt die Anforderungen erfüllt, die an ein Sachbuch, geschweige denn an ein Werk auf wissenschaftlichem Niveau gestellt werden müssen, überrascht auch die Vielzahl von offensichtlichen Unrichtigkeiten, die selbst dem akademisch nicht gebildeten Leser ins Auge springen. Stilistisch handelt es sich im Grunde genommen um eine Aneinanderreihung von Redemanuskripten, besser: Redemitschriften. Belegstellen für Tatsachenbehauptungen oder einen wissenschaftlichen Meinungsstand findet man an keiner Stelle. Demgemäß fehlt auch ein Literaturverzeichnis. Auf welche Forschungsergebnisse, Statistiken und Literaturmeinungen sich der Verfasser stützt, erfährt der Leser mit keiner Silbe. Die Vielzahl von offensichtlich sachlich unzutreffenden Behauptungen, an die jedoch ganz grundsätzliche Schlussfolgerungen geknüpft werden, ist mehr als erstaunlich.

Ich will das am Beispiel des aus der Sicht des Verfassers wohl zentralen Kapitels, übertitelt: „Volk und Rasse“, kurz belegen. In diesem Kapitel will der Verfasser seinen Lesern seine Überzeugung vermitteln, daß die Arier die edle und lebenswerte Rasse sind, die Juden hingegen minderwertig und alleine von dem Gedanken besessen sind, sich die übrigen Rassen zu unterjochen. Die angebliche Minderwertigkeit der jüdischen Rasse will Hitler unter anderem daran festmachen, daß das jüdische Volk niemals über ein eigenes Staatswesen auf einem Staatsgebiet verfügt habe. Nun müßte er eigentlich beim Niederschreiben dieser Behauptung darüber gestolpert sein, daß im Alten Testament eben die Geschichte des jüdischen Staates erzählt wird, dessen Ende bekanntlich auf die Vertreibung der Juden durch die Römer im Jahre 70 nach Christus zu datieren ist. Und deswegen müßte es ihm klar gewesen sein, daß alle seine Leser, auch die mit keinem größeren Bildungshorizont als ihrem Volksschulabschluß, genau das ebenso gut wußten wie er selbst. Die Minderwertigkeit der jüdischen Rasse macht er im gleichen Kapitel daran fest, daß Juden etwa im Bereich der Kunst allenfalls als Schauspieler hervorgetreten seien, keinesfalls jedoch als Komponisten oder Dichter. Auch das verblüfft vor dem Hintergrund, daß es damals praktisch jedem Deutschen geläufig war, welche großen und bekannten Komponisten und Dichter jüdischer Herkunft waren. Aus dem Bereich Musik wären etwa Felix Mendelssohn-Bartholdy, Jacques Offenbach, Gustav Mahler und Max Bruch zu nennen, aus dem Bereich der Literatur Heinrich Heine, Franz Kafka und Stefan Zweig. Hitler behauptet weiter, das Judentum kenne keinen Glauben an ein Leben nach dem Tode wie etwa das Christentum. Auch dies ist mit Blick auf das Alte Testament, das damals noch mehr als heute zum Allgemeinwissen gehörte, schlicht abwegig.

Um so mehr erstaunt, daß ein Mann mit derartigen Ansichten in freien Wahlen immerhin ca. ein Drittel der Wähler hinter sich bringen konnte. Es erstaunt auch, daß seine wichtigsten Paladine allesamt über einen akademischen Hintergrund verfügten. Zwar hatten nur Goebbels (promovierter Germanist) und Himmler (abgeschlossenes Studium der Landwirtschaft) einen regulären Hochschulabschluß. Doch auch Göring und Heß hatten jeweils mehrere Semester eines Hochschulstudiums absolviert, allerdings jeweils das Studium abgebrochen. Auch wenn man die Liste der 16 Parteigenossen, die beim Marsch auf die Feldherrenhalle am 09.11.1923 von der bayerischen Polizei erschossen worden sind näher betrachtet, so findet man darin auf jeden Fall vier Akademiker, darunter einen Richter am Bayerischen Obersten Landesgericht sowie eine Reihe von Berufsbezeichnungen wie Kaufmann und Bankbeamter, hinter denen sich der ein oder andere akademische Abschluss verbergen mag.

Daß ein Mensch mit derartig wirren, buchstäblich bodenlosen Auslassungen (von Theorien möchte man wirklich nicht sprechen) Menschen mit Hochschulbildung und Lebenserfahrung derartig beeindrucken konnte, daß sie unter seiner Führung zu jedem Verbrechen bereit waren, gehört zu den bis jetzt ungelösten Rätseln der Menschheit. Dieses Urteil ist ausdrücklich nicht auf die Kenntnis vom Verlauf der Geschichte nach 1933 gegründet, und es gründet auch nicht auf dem Wissensstand unserer Zeit. Nein, auch bei Anlegung der Maßstäbe jener Zeit ist es schlicht nicht nachvollziehbar, wie man mit derartigem Unsinn reüssieren konnte. Denn an und für sich muß damals wie heute gelten, daß der Verfasser von solch wirrem Zeug dringend zum Arzt muß, und zwar zum Facharzt für Psychiatrie.

Euromania

Wer einer Wahnvorstellung anhängt, umgangssprachlich von einer fixen Idee besessen ist, dem entgleitet immer mehr die Wirklichkeit, bis er endgültig in seiner Traumwelt angekommen ist, der er auch nicht mehr entrinnen kann. Diesen Eindruck erwecken die führenden Politiker der Eurozone, allen voran unsere Bundeskanzlerin. Anders kann man es nicht erklären, daß gegen allen Sachverstand die sogenannten Rettungsprogramme für Griechenland fortgeführt werden. Es dürfte inzwischen in Deutschland, aber auch in den anderen Zahlmeisterländern der Eurozone bekannt sein, daß es sich bei Griechenland nicht um einen Staat im herkömmlichen Sinne handelt, sondern um ein Gebilde, das lediglich die äußere Form eines Staates aufweist. Seine Einwohner – von Bürgern will ich nicht sprechen, denn zum Bürger gehört der Bürgersinn – haben zu diesem Staatswesen ganz offensichtlich ein feindseliges Verhältnis. Dies ist sicherlich aus der Geschichte des griechischen Volkes gut erklärbar. Man hat immerhin gut 400 Jahre Joch und Knute der Osmanen ertragen und eine Überlebensstrategie entwickelt, deren Grundlage es war, die feindlichen Besatzer zu hintergehen, wo es nur ging. Gerade dabei wurde eine Klientelwirtschaft entwickelt, die im Sinne des klassischen do ut des die Gunst der Herrschenden mit der Gefolgschaft der Beherrschten erkaufte. Nur so ist es verständlich, daß auch heute noch politische Ämter im Wege der Bestechung der Wähler mittels Posten- und Arbeitsplatzvergabe erlangt werden, und die Macht mit dem Reichtum zusammengehört, weshalb dieses nur dem Namen nach als Staat firmierende Gebilde seit Jahrhunderten die Beute der griechischen Oligarchie ist, die politische Ämter und Reichtümer des Landes unter sich aufteilt, selbstverständlich selbst keine Steuern bezahlt und ihr Geld auf Schweizer Banken wohlverwahrt weiß.

Unter diesen Umständen nimmt es doch nicht wunder, wenn etwa die Bewohner griechischer Inseln sich weigern, ihre Steuereinnahmen an die Athener Regierung abzuführen, oder wenn selbst die Angehörigen der politischen Klasse für ihre längst erwachsenen Kinder noch Kindergeld kassieren, wie das jüngst im Falle der griechischen Parlamentspräsidentin (!) bekannt geworden ist. Demgemäß darf es auch keine Liegenschaftskataster und Grundbuchämter geben, ebensowenig wie eine Steuerfahndung. Denn dann könnte ja irgendwann eine Regierung auf den Gedanken kommen, auch die Reichen des Landes zu besteuern. Doch selbst bei Vorliegen der technischen Voraussetzungen dürfte das kaum eintreten, denn dazu müßte sich ja erst einmal die kollektive Mentalität des Volkes fundamental ändern.

Es liegt also auf der Hand, daß keine von der derzeitigen oder auch einer künftigen griechischen Regierung versprochene Reform umgesetzt werden kann. Denn dazu fehlen sowohl die technischen Voraussetzungen als auch der politische Wille des Volkes.

Wir müssen davon ausgehen, daß unsere Politiker all dies wissen. Denn diese Dinge sind allgemein bekannt. Selbst wenn die Politiker nicht selbst Sachbücher und Zeitungen lesen sowie die Wissensmagazine der Rundfunkanstalten in Anspruch nehmen, so werden sie doch von ihren umfangreichen Beraterstäben informiert. Daran schließt sich die Frage an, warum sie wider besseres Wissen weiter zig Milliarden Euro in ein Faß ohne Boden kippen. Die Antwort liegt auf der Hand. Wir hören seit Monaten das Mantra von der europäischen Idee, die nicht sterben darf. Was diese europäische Idee genau sein soll, sagen unsere Politiker allerdings nicht. Vielmehr hören wir immer nur nebulöse Formulierungen wie etwa „mehr Europa“. Gelegentlich hören wir auch von der Notwendigkeit einer gemeinsamen oder gar europäischen, also Brüsseler Finanzordnung. Ebenso notwendig scheint wohl eine in diesem Sinne gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik zu sein. Das bedeutet nichts anderes, als die Aufgabe des herkömmlichen Nationalstaats zugunsten eines europäischen Zentralstaates. Denn zum Kernbestand eines Staates ebenso wie zur Demokratie gehört die Verfügung seiner Bürger und Parlamente über Finanzmittel und die Streitkräfte sowie die existenzielle Frage von Krieg und Frieden. Wenn dies in die Hände einer europäischen Institution gelegt wird, dann sind deren Mitgliedsstaaten nur noch leere Hülsen ohne Souveränität. Hinzu kommt, daß jedenfalls nach der derzeitigen Konstruktion sowohl der Europäischen Union als auch der Eurozone hinsichtlich dieser Gebilde von einer Demokratie nicht entfernt die Rede sein kann. Wesensmerkmal des modernen demokratischen Staates ist es doch, daß jeder wahlberechtigte Bürger in gleichem Maße an der Willensbildung teilnehmen kann. Die Eurozone kennt überhaupt keine parlamentarische Willensbildung. Das Europaparlament ist nach einem Schlüssel zusammengesetzt, der den Wählern etwa aus Malta und Luxemburg ein Vielfaches des Stimmengewichts zumißt, das einem Wähler aus Deutschland zukommt. Hinzu kommt die mit Händen zu greifende Tatsache, daß es  ein europäisches Staatsvolk nicht gibt. Nach allgemeiner Anschauung ist ein Volk eine Abstammungs-, Kultur-und Erlebnisgemeinschaft. Zur Kultur gehört eine gemeinsame Sprache. Demgemäß sind die meisten Nationalstaaten auch solche, deren weit überwiegende Mehrheit von Bürgern einem Volk in diesem Sinne angehört. Vielvölkerstaaten sind in der europäischen Vergangenheit zum einen selten gewesen, und zum anderen immer gescheitert. Eine europäische Sprache gibt es nicht. Die Kulturen der europäischen Völker mögen sich mehr oder weniger ähneln, wobei etwa zwischen Finnland und Griechenland doch erhebliche Unterschiede vorliegen, ebenso wie etwa zwischen Rumänien und den Niederlanden.

Die Verbissenheit, mit der die politische Klasse der europäischen Länder die Traumvorstellung eines europäischen Zentralstaates verwirklichen will, erstaunt unter diesen Umständen. Das legt die Vermutung nahe, daß es hier nicht um Rationalität, sondern um eine Glaubensvorstellung geht. Gegenüber religiösen Überzeugungen versagen alle rationalen Argumente. Und so muß dann eben dieses europäische Projekt weiterverfolgt werden, koste es was es wolle. Wenn eben im Falle Griechenlands eine Angleichung an wirtschaftlich stabile Verhältnisse wie in Mitteleuropa aufgrund der dortigen Kultur einfach unmöglich ist, dann verschließt man davor eben die Augen und stellt wie Palmström fest, daß nicht sein kann was nicht sein darf. Und das führt dann zu den Verhaltensweisen, die ich in meinem Beitrag vom 22.02.2015 „Der listenreiche Odysseus“ zugegeben süffisant beschrieben habe. Davon habe ich allerdings leider nichts zurückzunehmen.

Natürlich weiß man auch, daß jedenfalls eine immer weiter wachsende Zahl von Bürgern dieses Spiel durchschaut. Ob Arbeiterin, Arzthelferin oder Apothekerin, ob Müllmann, Metzgermeister oder Ministerialrat, inzwischen ist der Bildungs- und Wissensstand allgemein so hoch, daß Politiker vor ihren Wählern keinen Wissensvorsprung mehr haben. Daß sie dennoch ganz offen bekennen, die Bürger zu belügen, ist ein weiteres Mirakel unserer Zeit. Wir verdanken ja dem derzeit höchstrangigen Europapolitiker Jean-Claude Juncker die Erkenntnis, daß man in der Europapolitik bisweilen lügen muß und nach der Methode verfährt, erst einmal etwas zu tun, was Europa in die gewünschte Richtung verändert, abzuwarten was geschieht und dann, wenn die Proteste ausbleiben, den nächsten Schritt zu gehen.

Die Frage ist nur noch, wann der Schritt getan wird, der in den Abgrund führt. Die Milliarden, die in dieses Projekt buchstäblich geschaufelt werden, wirken wie der Sprengstoff, mit dem die Bombe angefüllt wird. Je größer die Ladung, so gewaltiger die Explosion.

Bis jetzt können Frau Palmström – pardon, Frau Merkel – und ihre Kollegen sich der mehrheitlichen Zustimmung ihrer Wähler sicher sein. Bertolt Brecht hatte ja recht: nur die allerdümmsten Kälber wählen ihre Metzger selber.

Frau komm – Als die Soldaten kamen

Die massenhaften Vergewaltigungen in den letzten Wochen des Zweiten Weltkrieges, aber auch bis in die fünfziger Jahre hinein, sind sehr lange ein Tabuthema in Deutschland geblieben. Dies, obgleich schon 1954 in einer offiziellen Dokumentation der Bundesregierung zur Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa auch dieses Thema ausführlich behandelt worden ist. Allerdings beschränkt sich diese Dokumentation auf die Geschehnisse im Osten. Die Untaten alliierter Soldaten im Westen und Süden Deutschlands werden darin nicht behandelt, was ja auch der Aufgabenstellung entspricht. Der Grund für diese bewußte Aussparung liegt auf der Hand: Das Verhältnis der bundesdeutschen Bevölkerung zu den neuen Alliierten sollte nicht durch die Darstellung von ihren Soldaten wenige Jahre zuvor massenhaft begangener Verbrechen belastet werden. Hinsichtlich der Staaten des Warschauer Pakts, insbesondere der Sowjetunion, galt natürlich das Gegenteil. Die Erinnerung daran, wie ihre Soldaten marodierend und vergewaltigend durch die östlichen Landesteile und Berlin gezogen waren, sollte durchaus wach gehalten werden. Wie ich aus eigener Erinnerung weiß, hatte das jedenfalls in den Jahren des Kalten Krieges auch einen positiven Einfluß auf die Motivation der wehrpflichtigen Soldaten und die Einstellung der Deutschen zu NATO und Bundeswehr.

Dennoch verblaßte im Lauf der Jahre auch die kollektive Erinnerung an diese Vorgänge im Osten. Erst in den letzten Jahren ist das Thema publizistisch und wissenschaftlich wieder in den Focus gerückt. Erstmals wurden nun auch die im Grunde genommen durchaus bekannten Verbrechen amerikanischer, britischer und französischer Soldaten zum Thema von Büchern und Zeitschriftenartikeln gemacht. Zwei dieser Arbeiten habe ich gelesen. Trotz des gleichen Themas könnten sie jedoch inhaltlich nicht unterschiedlicher sein. Es handelt sich zum einen um das Buch „Frau, komm!“ – Die Massenvergewaltigungen deutscher Frauen und Mädchen 1944/45 des Juristen Ingo von Münch (Ares Verlag, Graz 2009 ISBN 978-3-902475-78-7) und zum anderen um das Buch „Als die Soldaten kamen – die Vergewaltigung deutscher Frauen am Ende des Zweiten Weltkriegs“ der Historikerin Miriam Gebhardt (Deutsche Verlags-Anstalt, München, 2015 ISBN 978-3-421-04633-8). Ingo von Münch beschränkt sich thematisch auf die Vorgänge im Osten, während Miriam Gebhardt auch die Ereignisse im Westen und Süden Deutschlands behandelt.

Die Arbeit der Historikerin Gebhardt ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Daß sie hauptsächlich soziologisch angelegt ist, und nicht in erster Linie Ereignisgeschichte schreibt – „wie es denn gewesen ist“ (Leopold von Ranke, Thukydides) – ist der heute vorherrschenden Auffassung von Geschichtswissenschaft geschuldet. Nicht umsonst firmiert das wohl meistgenutzte Internetportal dieser Disziplin unter dem Titel „H-Soz-Kult“, einem Akronym für „Humanities – Sozial und Kulturgeschichte“. Die Forschungsschwerpunkte der Autorin spiegeln sich auch in den Titeln ihrer Werke wieder, die sie im Literaturverzeichnis des besprochenen Buches nennt (“ Die Angst vor dem kindlichen Tyrannen. Eine Geschichte der Erziehung im 20. Jahrhundert“, „Alice im Niemandsland. Wie die deutsche Frauenbewegung die Frauen verlor“, und „Eine Frage des Schweigens? Forschungsthesen zur Vergewaltigung deutscher Frauen nach Kriegsende“). Welche Fragen die moderne historische Forschung offenbar bewegen, zeigt sich auch an Titeln in ihrem Literaturverzeichnis wie „Umkämpfte Maskulinität. Zur Historischen Kultursoziologie männlicher Subjektformen und ihrer Affektivitäten vom Zeitalter der Empfindsamkeit bis zur Postmoderne“. Ob es allerdings dieser Herangehensweise geschuldet ist, daß ihre Angaben zu den Opferzahlen insbesondere hinsichtlich der Vorgänge im Osten im Vergleich zu anderen Autoren außerordentlich niedrig ausfallen und auch zum Teil schlicht nicht nachvollziehbar sind, mag zunächst offen bleiben. Daß Opferzahlen nur grob geschätzt werden können, liegt auf der Hand und ist auch unstrittig. Gebhardt selbst erklärt, daß ihre Schätzungen sehr vorsichtig sind. Sie gibt die Gesamtzahl der von alliierten Soldaten vergewaltigten Frauen in Deutschland mit 860.000 an. Ihre auf der Basis der ebenfalls nur geschätzten Zahl der sogenannten Besatzungskinder hochgerechneten Opferzahlen legten dann nahe, daß annähernd 190.000 in der Bundesrepublik lebende Frauen amerikanischen Tätern zum Opfer gefallen seien, 50.000 Frauen französischen Tätern, 45.000 britischen, 15.000 sowjetischen und 10.000 belgischen. Gebhardt zitiert allerdings auch andere Schätzungen, so von Helke Sander und Gerhard Reichling, wonach die Zahl der Vergewaltigungen auf rund 110.000 Fälle allein in Berlin und weitere 1,9 Millionen Fälle in der SBZ, in den ehemaligen deutschen Ostgebieten und während Flucht und Vertreibung geschätzt würden. Somit wären 2 Millionen deutsche Frauen einer kriegsbedingten Vergewaltigung durch Sowjets zum Opfer gefallen. Ingo von Münch gibt Schätzungen verschiedener Autoren wieder, die von 1.400.000-2.000.000 Opfern ausgehen. Aber nicht nur die im Vergleich zu anderen Untersuchungen auffallend niedrige Gesamtzahl von 860.000 Opfern fällt auf, sondern auch die in sich nicht stimmige Verteilung auf die Tätergruppen. Denn die Addition der genannten Zuordnungszahlen ergibt nun einmal 310.000 und nicht 860.000. Falls die Angaben zu den Tätern aus den westalliierten Armeen zutreffen sollten, dann müßten nicht 15.000, sondern 565.000 Frauen den Übergriffen der sowjetischen Soldaten zum Opfer gefallen sein.

Im Schwerpunkt befaßt sich die Verfasserin mit den Motiven der Täter einerseits und den Auswirkungen ihrer Taten auf die Opfer andererseits. Die Motive der Täter sucht sie offenbar vorwiegend in den Kriegserlebnissen der Soldaten, ihrer Wahrnehmung des Feindes, und zwar nicht nur des feindlichen Soldaten, sondern des feindlichen Volkes überhaupt, so wie in kulturellen und psychischen Ursachen wie dem Verhältnis der Geschlechter, gruppendynamischen Prozessen und ähnlichem mehr. Erwähnt wird auch die Propaganda, gerade auf sowjetischer Seite. Auch wenn sie ausführt, das „berühmte“ Flugblatt, in dem der Schriftsteller Ilja Ehrenburg zur massenhaften Vergewaltigung und Schändung deutscher Frauen aufruft, werde ihm nur zugeschrieben, so macht es doch wohl keinen Unterschied, ob es von ihm oder einer unbekannten Person verfasst worden ist. Nachweislich wurde es in der Roten Armee verbreitet. Und sein Text ist an Unmenschlichkeit nicht zu überbieten: „Tötet. Es gibt nichts, was an den Deutschen unschuldig ist, die Lebenden nicht und die Ungeborenen nicht. Folgt der Weisung des Genossen Stalin und zerstampft für immer das faschistische Tier in seiner Höhle. Brecht mit Gewalt den Rassenhochmut der germanischen Frauen! Nehmt sie als rechtmäßige Beute! Tötet, ihr tapferen Soldaten der siegreichen sowjetischen Armee!“

Damit ist aber auch klar, warum die Rote Armee wenn überhaupt, nur sehr selten gegen Vergewaltigungen eingeschritten ist. Auch wenn sogar in Einzelfällen Soldaten wegen solcher Taten zum Tode verurteilt und hingerichtet worden sind, so haben es die Kommandeure und Befehlshaber mindestens geduldet, daß ihre Soldaten sich so verhalten haben. Anders wäre es ja auch nicht möglich gewesen, daß dies in so ungeheurem Ausmaß geschehen konnte.

Der Verdienst der Arbeit liegt sicher darin, daß die ebenfalls objektiv sehr große Zahl von Vergewaltigungen durch amerikanische, britische und französische sowie auch belgische Soldaten einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht wird. Auch hier fällt auf, daß die Offiziere nur sehr selten gegen diese Täter eingeschritten sind. Natürlich sind auch Strafverfahren vor Kriegsgerichten durchgeführt worden, insbesondere in der US-Armee. Deren Zahl ist zwar nicht exakt belegt, und kann deswegen auch nur vorsichtig geschätzt werden. Im Verhältnis zur Gesamtzahl der Taten ist sie verschwindend gering. Auch dies mag daran liegen, daß auch den Soldaten der westlichen Alliierten die Frauen des besiegten Feindes und sogar der befreiten europäischen Länder (Frankreich, Italien) gewissermaßen als Beute versprochen wurden. Traurige Berühmtheit haben die Massenvergewaltigungen durch nordafrikanische Soldaten der französischen Armee in Italien erlangt. Der Kommandierende General des französischen Expeditionskorps hatte seine Soldaten für den verlustreichen Durchbruch durch die deutsche Gustav-Linie bei Monte Cassino motiviert, indem er ihnen erklärte, die Frauen in den Dörfern jenseits der Front gehörten für die nächsten drei Tage ihnen. Gebhardt schreibt: „Wie wir mittlerweile wissen, war die Kriegsprämie in Gestalt einer europäischen Frau durchaus ein Rekrutierungsargument der US Armee gewesen.“ Unter diesen Umständen nimmt es nicht wunder, daß die Armeeführungen weder disziplinarisch noch kriegsgerichtlich in nennenswertem Umfang gegen diese Täter eingeschritten sind. Inwieweit auch die diffamierende Kriegspropaganda gegen die Deutschen an sich und nicht lediglich gegen die Nationalsozialisten hier mitgespielt hat, untersucht die Verfasserin leider nicht.

Was an dem Buch von Miriam Gebhardt jedoch besonders ins Auge fällt, ist ihr Erklärungsmuster, wonach die Opfer dieser Untaten gewissermaßen objektiv durch ihre Unterstützung des Nazi-Regimes eine Ursache für ihr späteres Schicksal gesetzt hätten. So findet sich gleich im Vorwort der an sich unglaubliche Satz: „Vielmehr sollen die Opfer selbst zu Wort kommen, sie sollen rehabilitiert werden, ohne daß sie damit zugleich von den deutschen Verbrechen im Nationalsozialismus freigesprochen sind. Es erscheint mir wichtig, diese Ambiguität der Täter-und Opferrolle anzuerkennen.“ Mit diesem Ansatz steht sie offenbar nicht alleine. Sie weist darauf hin, daß es sich eingebürgert habe, daß die wenigen „Historikerinnen und Historiker“, die das Thema Massenvergewaltigungen an deutschen Frauen überhaupt beschäftigt, ihren Ausführungen lange Exkurse über die Verbrechen der Wehrmacht, die Wehrmachtbordelle und die Zwangsprostitution in Konzentrationslagern voranstellen. Erst wenn von den eigenen Untaten ausführlich gesprochen worden sei, dürfe von den eigenen Opfern die Rede sein. Diese Rhetorik sei verständlich und sympathisch, allerdings lege sie ihres Erachtens eine problematische Kausalität nahe – weil die Deutschen so unendlich gewütet haben, wurden die deutschen Frauen anschließend vergewaltigt. Diese innere Logik trifft für sie allerdings für amerikanische und kanadische Soldaten nicht zu, weil die Wehrmachtssoldaten nicht zuvor den Frauen jenseits des Atlantiks sexuelle Gewalt angetan hätten. An dieser Stelle ist bemerkenswert, worüber die Verfasserin schweigt. Sie setzt stillschweigend voraus, daß die deutschen Soldaten während des Krieges ebenfalls massenhaft derartige Verbrechen begangen hätten. Dem war aber nicht so, was die Verfasserin eigentlich wissen müßte. Ingo von Münch zitiert in seinem bereits 2009 erschienenen Werk die Arbeit von Birgit Beck, „Wehrmacht und sexuelle Gewalt. Sexualverbrechen vor deutschen Militärgerichten 1939-1945“, die bereits 2004 erschienen ist. Er zitiert auch das ebenfalls von Gebhardt ausgewertete Werk von Helke Sander/Barbara Johr, woraus sich ergibt, daß „Ereignisse wie in Nanking oder in Berlin für die Wehrmacht nicht belegt“ sind. Von Münch zieht daraus den Schluß, daß dies konkret und eindeutig bedeutet, daß es keine – den Massenvergewaltigungen deutscher Frauen und Mädchen durch russische Soldaten 1944/1945 vergleichbaren – Massenvergewaltigungen durch deutsche Soldaten gegeben hat, übrigens auch keine sogenannten systematischen Vergewaltigungen, die entweder Terror verbreiten sollten, oder wie im Bosnien-Krieg von serbischer Seite, mit dem Ziel der „ethnischen Säuberung“ im Zusammenhang standen. Vielmehr weist von Münch darauf hin, daß die Wehrmacht vor allem aus Gründen der Disziplin gegen Vergewaltigungen auch in Russland regelmäßig und auch mit drakonischen Strafen eingeschritten ist. Dies habe im übrigen sogar für die Waffen-SS gegolten. Tatsächlich sind von den Wehrmachtgerichten eine Vielzahl von Soldaten wegen solcher Verbrechen sogar mit dem Tode bestraft worden. Gebhardt hätte somit Gelegenheit gehabt, das Rachemotiv, das den Soldaten der Roten Armee nicht selten mit einem gewissen Verständnis unterstellt wird, in das Reich der Fabel zu verweisen. Daß sie es nicht tut, und die Arbeiten von Beck und von Münch nicht einmal erwähnt, läßt nur die Schlussfolgerung zu, daß auch sie an dem Bild von den marodierenden und vergewaltigenden Wehrmachtssoldaten festhalten will. Entgegenstehende Fakten werden dann lieber erst gar nicht erwähnt.

Empörend ist jedoch die Auffassung der Verfasserin, die vergewaltigten Frauen und Kinder (!) hätten gewissermaßen objektiv eine Ursache dafür gesetzt, daß die alliierten Soldaten so mit ihnen umgegangen seien. Sie behauptet wörtlich: „Seit den neunziger Jahren ist es kein Geheimnis mehr, daß deutsche Frauen und Kinder nicht nur Opfer waren. Sie haben mehrheitlich der nationalsozialistischen Ideologie zugestimmt, sie waren im schlimmsten Fall aktiv an der Verfolgungs- und Vernichtungspolitik beteiligt. Ohne die zahllosen Denunziantinnen wäre etwa die Erfassung der jüdischen Bevölkerung zur späteren Ausplünderung, Vertreibung und Vernichtung nicht möglich gewesen. Die Annahme, daß deutsche Frauen überlebenswichtig seien für die ‚arische‘ Rasse, ließen sie die sogenannten minderwertigen Frauen und Völker spüren. Frauen waren KZ-Wärterinnen, Kolonistinnen in den besetzten Gebieten, Anstifterinnen, Mitläuferinnen, Profiteurinnen oder zumindest Zuschauerinnen der nationalsozialistischen Verbrechen…. Auch vermeintlich apolitische Hausfrauen glaubten an die Überlegenheit des deutschen Volkes und an die Gerechtigkeit des Krieges, hofften auf den Endsieg und hielten ganz entscheidend die Kriegsmaschinerie am Laufen… Frauen waren zu jener Zeit von der Abhärtungsideologie, von der Notwendigkeit von Sachlichkeit und Empathielosigkeit genauso überzeugt wie Männer, sie haben ihre Kinder entsprechend erzogen. Wir müssen davon ausgehen, daß eine deutsche Durchschnittsfrau von den nationalsozialistischen Verbrechen wie dem Judenmord und den Greueltaten der Wehrmacht wissen konnte… Es ist vollkommen klar, daß viele Vergewaltigungsopfer mindestens potenziell auch Täterinnen waren. Selbst Kinder waren nicht immer nur unschuldig, sondern haben sich unter Umständen an Schikanen von Zwangsarbeitern beteiligt, jüdische Mitschüler gemobbt und sich für Angehörige einer Herrenrasse gehalten.“ Die Verfasserin behauptet also allen Ernstes, die Frauen und Kinder jener Zeit hätten nicht einfach wie Frauen und Kinder in allen anderen kriegführenden Ländern sich um ihre Ehemänner, Söhne bzw. Väter gesorgt, sondern aktiv nicht lediglich ihr Land, sondern die nationalsozialistische Ideologie unterstützt. Sogar Kindern eine bewußte Unterstützung des Regimes zu unterstellen, verschlägt einem schon den Atem. Natürlich liegt Gebhardt damit auf einer Linie mit dem Bundespräsidenten Gauck, der den hunderttausenden von Opfern des alliierten Bombenterrors bescheinigt hat, sie hätten angesichts des Leides, das die Deutschen über Europa gebracht hätten, indem sie jenen Krieg vom Zaun gebrochen und in verbrecherischer Weise geführt hätten, eigentlich erwarten müssen, daß ihnen derartiges geschieht. Es ist müßig, darauf hinzuweisen, daß selbst die Minderheit der Wähler, die Hitler in freien Wahlen ihre Stimme gegeben haben, zu diesem Zeitpunkt nicht wissen konnten, was Jahre später geschehen würde, und daß die allermeisten Deutschen auch während des Krieges wegen der strikten Geheimhaltungsmaßnahmen des Regimes von seinen großen Untaten nichts gewußt haben. Es ist bedrückend, daß eine deutsche Hochschullehrerin einen solchen Ursachenzusammenhang nicht für völlig abwegig und unhistorisch erklärt, sondern diesen Zusammenhang lediglich nicht für eine ausreichende Erklärung hält, sondern, so wörtlich: „Eine empathische Auseinandersetzung mit der Massenvergewaltigung sollte vielmehr unter dem Vorzeichen der Verklammerung der beiden Kategorien Geschlecht und Ethnie stehen.“ Da hilft es wenig, daß sie immerhin in rechtlicher Hinsicht ausführt, es gebe generell keine Legitimation eines Verbrechens aus einem anderen Verbrechen. Denn auch diese Argumentation fußt auf der Grundannahme, daß es gleichartige Verbrechen auf der Seite der Opfer gegeben hat.

Die Autorin hat auch offenbar erhebliche Vorbehalte gegen die Vorstellungen der Deutschen in der Kriegs-und Nachkriegszeit über das Verhältnis der Geschlechter zueinander. Deswegen setzt sie sich auch entsprechend kritisch mit dem Umgang der deutschen Gesellschaft mit den Opfern dieser massenhaften Vergewaltigungen auseinander. Tatsache ist jedoch, daß es zwar leider vielfach nicht gelungen ist, den Opfern wenigstens Entschädigung zu gewähren, von Gerechtigkeit und Genugtuung ganz zu schweigen. Alles jedoch auf Gesellschaftsordnung jener Zeit zurückzuführen, halte ich für unzulässig.

Ingo von Münch beschränkt sich auf die Vorgänge im Osten, wie ausgeführt. Diese untersucht er sorgfältig und faktenreich. Ebenso wie Gebhardt zitiert er in großem Umfang die Aussagen von Opfern. Die Lektüre dieser Erzählungen ist bedrückend. Dennoch muß man sie lesen um einen Eindruck davon zu bekommen, was damals geschehen ist. Von Münch sieht die Ursache für dieses Verhalten der sowjetischen Soldaten meines Erachtens zutreffend einerseits in der Hasspropaganda des Regimes und andererseits in der Tat in der Psyche der Soldaten. Gebhardt indessen meint, lange Zeit, vielleicht bis heute, habe die „Karikatur des barbarisch vergewaltigenden Russen“ das Geschichtsbild hierzulande beherrscht. Dieses Zerrbild bündelte all die historisch angestauten Ressentiments und Befürchtungen der deutschen Bevölkerung gegenüber dem Bolschewismus und den im Nationalsozialismus herabgewürdigten „Untermenschen“ aus dem Osten. Die Massenvergewaltigungen hätten dieses Bild bestätigt. Leider muß man sagen: Sie haben es bestätigt. Ähnliches muß auch für das Verhalten der nordafrikanischen Soldaten in der französischen Armee gesagt werden. Denn ihr Anteil an diesen Verbrechen ist überwältigend. Offenbar hat man jedoch Angst, sich dem Vorwurf des Rassismus auszusetzen, wenn man diese Fakten benennt. Es geht jedoch nicht an, Tatsachen auszublenden, nur weil sie geeignet sein könnten, Vorurteile zu schüren.

Zusammenfassend muß festgehalten werden, daß die Arbeit von Miriam Gebhardt sich nahtlos in die lange Reihe von Büchern einfügt, die den Deutschen in der Zeit des Nationalsozialismus allgemein und ihren Soldaten im besonderen eine grundsätzliche Übereinstimmung mit dem System bescheinigen. Sie haben demnach alle Verbrechen des Systems mit zu verantworten. Sie können sich deswegen nicht darüber beschweren, daß sie selbst Opfer von Kriegsverbrechen geworden sind. Somit waren sie Täter und Opfer zugleich. Wir Nachgeborenen müssen nach ihrer Ansicht 70 Jahre nach Kriegsende so viel Ambiguitätstoleranz eben aufbringen. In diesem Zusammenhang scheint ihre größte Sorge zu sein, daß die Schilderung jener Greueltaten der alliierten Soldaten in Ost und West den sogenannten Revisionismus fördern könnte. Nüchterne wissenschaftliche Arbeit ebenso wie Empathie mit den Opfern sieht anders aus. Daß ein angesehener Lehrer des Staats- und Völkerrechts wie Ingo von Münch erst gar nicht erwähnt wird, könnte zu Spekulationen darüber Anlaß geben, daß manche Historiker wohl den juristischen Zugang zur Geschichte fürchten.

 

Wenn das Recht nicht paßt,

dann wird es eben passend gemacht.

Das scheint jedenfalls die Auffassung des Sozialsenators der Freien und Hansestadt Hamburg zu sein. Wie komme ich zu dieser Aussage? Kurz zum Sachverhalt. Im zweifellos noblen Stadtteil Harvestehude der Hansestadt, die von einer Bebauung mit schönen und repräsentativen Wohnhäusern (Villen) geprägt ist, steht seit vielen Jahren das ehemalige Kreiswehrersatzamt leer. Auch die Hansestadt Hamburg steht vor dem Problem, den ständig anschwellenden Strom von Asylbewerbern und Bürgerkriegsflüchtlingen irgendwo unterbringen zu müssen. Da kam dieses große leerstehende Bürogebäude gerade recht, meinte man in der Hamburger Baubehörde und erteilte am 26. September 2014 eine Baugenehmigung für die „öffentlich-rechtliche Unterbringung in Wohneinheiten“ in dem ehemaligen Kreiswehrersatzamt, wonach dort bis zu 220 Personen in 23 Wohneinheiten unterschiedlicher Größe (Wohnflächen von 50 m² bis zu 240 m²) mit zwei,drei, vier, fünf oder acht Zimmern untergebracht werden sollen. Gegen diesen Bescheid erhoben drei Nachbarn Widerspruch und beantragten beim Verwaltungsgericht Hamburg die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs anzuordnen. Zur Begründung führten sie an, die Nutzung des Gebäudes als Unterkunft für Asylbewerber und Flüchtlinge verändere den Charakter dieses Wohngebiets nachteilig. Sie hätten doch einen Anspruch auf Erhaltung des Gebietscharakters. Diesem Argument folgte das Verwaltungsgericht Hamburg auch mit Beschluss vom 22. Januar 2015. Die Freie und Hansestadt Hamburg sowie der künftige Betreiber des Flüchtlingsheims legten dagegen Beschwerde ein, die das Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 28.Mai 2015 zurückwies. Auf absehbare Zeit wird das ehemalige Kreiswehrersatzamt nicht mit Flüchtlingen und Asylbewerbern belegt werden. Auch das Oberverwaltungsgericht ist der Auffassung, daß man es den umliegenden Nachbarn in einem solchen Baugebiet einfach nicht zumuten kann, eine derartige Einrichtung in ihrer unmittelbaren Nähe zu haben. Maßstab für die Zulässigkeit einer solchen Nutzung sei die Gebietsverträglichkeit, bei der es um die Frage gehe, ob ein Vorhaben – unabhängig vom Einzelfall – mit der Eigenart des Gebietes städtebaulich verträglich sei. Das Vorhaben sei gebietsunverträglich, weil es aufgrund seiner typischen Nutzungsweise störend wirke. Denn die typischerweise bestehende räumliche Enge in einer Flüchtlingsunterkunft werde häufig dazu führen, daß sich die Bewohner nicht nur in den Gemeinschaftsräumen, sondern in größerer Zahl auch im Freien vor der Unterkunft aufhalten würden. Dies sei geeignet, eine Unruhe in das Gebiet zu bringen, die eine erhebliche Auswirkung auf die im besonders geschützten Wohngebiet erstrebte gebietsbezogene Wohnruhe darstelle. Bei diesen Auswirkungen einer Flüchtlingsunterkunft handele es sich auch nicht bloß um wohnähnliche Störungen, die ungeeignet seien, in einem Wohngebiet eine Gebietsunverträglichkeit zu begründen. Denn die Auswirkungen beruhten auf den besonderen Verhältnissen in einer Flüchtlingsunterkunft, die in vergleichbarer Weise in einem Wohngebäude so regelmäßig nicht anzutreffen seien. Dazu gehörten beispielsweise solche Umstände, wie ein mit dieser Nutzung einhergehender gesteigerter Ziel- und Quellverkehr, sowie die Tatsache, daß sich nach der Lebenserfahrung das Leben in dieser Einrichtung vielfach im Freien vor dem Hause abspielen werde, was zu entsprechenden Unzuträglichkeiten führen werde, für die es nicht einmal auf die absolute Geräuschentwicklung ankomme. Das alles sei mit einer geordneten städtebaulichen Entwicklung nicht in Einklang zu bringen, zu der unter anderem die Berücksichtigung der Schaffung und Erhaltung sozial stabiler Bewohnerstrukturen gehöre.

Gegen diese Entscheidung ist ein weiteres Rechtsmittel nicht möglich. Deswegen will der Hamburger Senat nun nach den Worten seines Sozialsenators den Bebauungsplan ändern. „Wir werden hier modernes Planrecht schaffen und sind fest entschlossen, so die dauerhafte Unterbringung von 220 Flüchtlingen an der Sophienterrasse zu ermöglichen!“ Also wird das Recht passend gemacht, wenn es nicht paßt. Natürlich wird auch hier die Änderung der einschlägigen Hamburger Bausatzung nicht das letzte Wort sein. Auch gegen Gesetze und Satzungen kann geklagt werden. Den betroffenen Nachbarn wird ja auch nichts anderes übrig bleiben. Derartige Verfahren nehmen auch erhebliche Zeit in Anspruch. Zu wünschen ist, daß bis dahin das Asyl-und Flüchtlingsproblem sich in anderer Weise erledigt hat, am besten dadurch, daß die Probleme in den Herkunftsländern dieser Menschen so gelöst werden, daß sie keinen Grund mehr haben, ihr Heimatland zu verlassen.

Interessant ist allerdings, wie gewisse Politiker, zu denen jener famose Sozialsenator offenbar gehört, über die Rechte ihrer Bürger und Wähler denken. Jener Herr Scheele (SPD) wird mit der Aussage zitiert, es seien ja nur „drei reiche Pinsel“ in Harvestehude, die da Stimmung machten. Damit sind offenbar die drei Antragsteller des erwähnten Verfahrens vor den Hamburger Verwaltungsgerichten gemeint. Daß diese „drei reichen Pinsel“ ersichtlich zu den 10 % der Steuerzahler gehören, die ca. 50 % des Steueraufkommens leisten, und deren Arbeitnehmer neben den öffentlich Bediensteten für die zweite Hälfte aufkommen, scheint dieser Leuchte der Hamburger Politik entweder nicht bewußt oder aber völlig gleichgültig zu sein. Das Verhältnis dieses Mitgliedes der Hamburgischen Landesregierung zur Dritten Gewalt – den Gerichten – scheint ein ganz besonderes zu sein.

Aufschlussreich ist auch der Sprachgebrauch dieses Herrn. Gerade seine politischen Freunde werden nicht müde, ihren politischen Gegnern eine menschenverachtende Sprache vorzuwerfen, wenn sie sich erdreisten, Mißstände beim Namen zu nennen. Wer sich indessen dem Gutmenschentum verweigert, der darf getrost mit abfälligen Vokabeln belegt werden.

Aus einer solchen Haltung spricht auch ein erhebliches Maß an Geringschätzung für solche Bürger, die nicht bereit sind, persönlich jede Zumutung zu tragen, die ihnen von der Politik angesonnen wird. Wenn die Politik uns eben befiehlt, eine sogenannte Willkommenskultur zu entwickeln, und jeden willkommen zu heißen, den wir selbst gar nicht eingeladen haben, dann haben wir eben zu gehorchen. Und wer da glaubt, er könne sich für viel Geld, das er sich in den meisten Fällen auch durch seine Leistung verdient hat, wenigstens ein ruhiges Privatleben kaufen, dem muß klargemacht werden, daß eine solche Haltung nicht geduldet wird. Und wenn das Recht dazu nicht paßt, dann wird es eben passend gemacht. Wenn die Gerichte nicht mitmachen, dann werden eben Gesetze geändert.

Politiker werden gewählt. Vielleicht kommt inzwischen so manchem in Hamburg ein Zitat von Bert Brecht in den Sinn. „Nur die allerdümmsten Kälber wählen ihre Schlächter selber.“

Ist es auch Wahnsinn, so hat es doch Methode

Pressemeldungen ist zu entnehmen, daß die Regierungskoalition sich auf eine Entschädigung früherer sowjetischer Kriegsgefangener verständigt haben soll. Damit folgt sie einem Vorschlag von Linkspartei und Grünen, ehemaligen Soldaten der Roten Armee eine Entschädigung für ihre Kriegsgefangenschaft zu bezahlen. Dem Vernehmen nach werden hierfür 10 Millionen € bereitgestellt. Damit könnten 4000 ehemalige Kriegsgefangene eine Entschädigung von je 2.500,00 € erhalten. Angesichts dieser Meldung ist man versucht, sich mit einem Blick auf den Kalender zu vergewissern, daß das Datum dieser Meldung nicht der 1. April ist.

Ist es auch Wahnsinn, so hat es doch Methode, läßt Shakespeare den Polonius im zweiten Aufzug des zweiten Aktes seines Hamlet sagen, nachdem er dessen wirres Reden angehört hat. Ist es auch Wahnsinn, so hat es auch Methode, muß man auch angesichts dieser Meldung konstatieren. Denn dieser Vorgang ist nicht nur historisch einmalig. Es ist noch niemals in der Geschichte vorgekommen, daß Kriegsgefangene für ihre Gefangenschaft, nicht einmal für dabei völkerrechtswidrig erlittene Leiden, entschädigt worden sind. Kriegsgefangene gibt es, seitdem es Kriege gibt. Kriegsgefangene hatten leider in aller Regel ein schlimmes Schicksal. Daran haben auch die internationalen Abkommen von 1929 und 1949 über die Behandlung von Kriegsgefangenen wenig geändert. Insbesondere der Zweite Weltkrieg, der zwischen dem Deutschen Reich und der Sowjetunion ausdrücklich als Weltanschauungskrieg geführt worden ist, in dem die üblichen Kriegsregeln keine Geltung hatten, auch nicht völkerrechtlich verbindliche Abkommen, hat für die Kriegsgefangenen, namentlich die deutschen und die sowjetischen, unermeßliche Leiden mit sich gebracht. Aber auch das Los der Kriegsgefangenen anderer Parteien dieses Krieges war häufig nicht besser, insbesondere, wenn man an den asiatischen Kriegsschauplatz denkt. Wenn man in diesem Zusammenhange alleine die Japaner für Völkerrechtsverstöße und Kriegsverbrechen verantwortlich machen wollte, so wäre das schlicht unhistorisch.

Betrachtet man die Art und Weise, in der gegenwärtig im Nahen Osten Krieg geführt wird, fragt man sich, wozu es überhaupt eine internationale Rechtsordnung und ein Kriegsvölkerrecht gibt.

In keinem einzigen Falle sind jedoch nach einem Kriege, sei es unmittelbar danach oder Jahre und Jahrzehnte später, Kriegsgefangene für ihre Gefangenschaft als solche und/oder für die dabei erlittenen Leiden entschädigt worden. Es bleibt wohl den deutschen Politikern und ihren Stichwortgebern vorbehalten, eine solche Neuerung in das Völkerrecht einzuführen. Denn es wäre mehr als naiv anzunehmen, daß eine solche Entschädigung nicht als völkerrechtlicher Präzedenzfall gewertet werden würde. Aber auch insoweit bleibt es offenbar deutschen Politikern und Völkerrechtlern vorbehalten, auf der internationalen Bühne den Candide zu geben. Insofern bleibt es abzuwarten, wie sich andere Nationen zu diesem in der Tat einmaligen Vorgang stellen werden. Ob wir ausgesprochene Ablehnung oder auch gar nichts hören werden: selbst das Schweigen der übrigen Welt auf diesen Vorgang wäre ein dröhnendes Schweigen. Denn es ist schlechterdings nicht vorstellbar, daß irgend ein anderer Staat auf dieser Erde sich auch nur rechtsgrundsätzlich zu einer derartigen Entschädigung von Kriegsgefangenen herbeilassen würde. Denn das würde ja voraussetzen, daß er davon ausgehen würde, selbst das Völkerrecht gebrochen zu haben. Ein solches „mea culpa!“ ist für alle anderen Staaten dieser Erde kein politisches Handlungsmuster, sondern bleibt den Bundesdeutschen und dem Stufengebet im katholischen Meßritus vorbehalten.

Ist es auch Wahnsinn, so hat es doch Methode. Methode insoweit, als sich die vorgeblichen deutschen Eliten mit der Erbsünde des nationalsozialistischen Deutschland behaftet sehen, und sich in ihrer Bußfertigkeit darob immer heftiger geißeln. Uns Bürgern bleibt angesichts kollektiven Wahns unserer Politiker nichts anderes, als dem Zug der Flagellanten kopfschüttelnd zuzusehen.

8.Mai 2015 – Eine Nachbetrachtung

Die Gedenkfeierlichkeiten zum 70. Jahrestag des Kriegsendes in Europa sind nun vorbei. Die Kinder und Enkel der Generation, die den Zweiten Weltkrieg erlebt und erlitten hat, haben das Ende dieses Krieges gefeiert, soweit sie den damals siegreichen Völkern angehören. Die Deutschen, jedenfalls ihre politische Klasse, haben auch dieses Tages gedacht. Mangels großer öffentlicher Feierlichkeiten hat eine nennenswerte Beteiligung der Bürger nicht stattgefunden.

Es ist sicher angemessen, wenn Deutschland, das diesen Krieg nun einmal verloren hat, diesen Tag nicht mit Militärparaden und Lobreden auf die Helden des Krieges begeht. Inwieweit allerdings der Bombast, den die russische Administration entfalten ließ, dem Ernst des Ereignisses angemessen ist, soll an dieser Stelle nicht erörtert werden. Denn wir sollten nicht andere kritisieren. Kritisieren muß man indessen, was die politische Klasse unseres Landes für die angemessene Würdigung dieses Ereignisses hält.

Am 8. Mai 1945 endete in Europa der bis dahin – und hoffentlich auch für immer – größte Krieg der Menschheitsgeschichte. In diesem Krieg sind von den insgesamt etwa 18,2 Millionen kämpfenden deutschen Soldaten etwa 5,3 Millionen gefallen. Etwa 11 Millionen deutsche Soldaten gerieten in Kriegsgefangenschaft, davon kamen etwa 1,6 Millionen in den Gefangenenlagern oder schon auf dem Marsch dorthin um ihr Leben, viele mußten jahrelang völkerrechtswidrig Zwangsarbeit leisten.

Erstmals in der neueren Geschichte wurde der Krieg auch gezielt gegen die Zivilbevölkerung geführt. Allein der Bombenkrieg der Alliierten gegen deutsche Städte kostete etwa 600.000 Menschen das Leben, weitere ca. 400.000 Zivilisten kamen in den Endkämpfen vorwiegend im Osten ums Leben, die meisten davon durch Kriegsverbrechen der Roten Armee.

Natürlich forderte auch das nationalsozialistische Regime Millionen von Opfern. Doch davon soll an dieser Stelle einmal keine Rede sein. Das ist jedem ohnehin bewußt.

Was mir äußerst unangenehm aufgefallen ist, das ist die Tatsache, daß die deutschen Politiker ein ausdrückliches Gedenken an die gefallenen Soldaten, in den Lagern umgekommenen Kriegsgefangenen und der alliierten Kriegführung zum Opfer gefallenen Zivilpersonen nicht für angebracht gehalten haben. Man hat den Bundespräsidenten zwar mit ehemaligen russischen Kriegsgefangenen gesehen. Man hat auch eine Ehrenwache der Bundeswehr an einem Denkmal für ermordete russische Kriegsgefangene gesehen. Der Präsident des Bundestages hat in der Gedenkstunde zum 70. Jahrestag des Kriegsendes ausdrücklich „der Millionen Opfer eines beispiellosen Vernichtungsfeldzugs gegen andere Nationen und Völker, gegen Slawen, gegen die europäischen Juden“ gedacht. Angesichts dessen, was geschehen ist, hat er es als geradezu erstaunlich empfunden, „daß unser Land trotz seiner Schuld aufgefangen wurde, von den Europäern, von Nachbarn, über die es so unvorstellbar großes Leid gebracht hatte“. Schuld haben also die Deutschen, nicht die Nazis. Als Redner für die Gedenkstunde hatte man sich den Historiker Heinrich August Winkler eingeladen, dessen wissenschaftliche Arbeit am besten mit dem Titel seines bekannten Hauptwerks: „Der lange Weg nach Westen“, den seines Erachtens Deutschland nach dem 8. Mai 1945 gegangen ist, gekennzeichnet wird. Demgemäß hat Winkler – erwartungsgemäß – auch davon gesprochen, Deutschland habe bis weit in das 20. Jahrhundert hinein, auf jeden Fall bis zum Zweiten Weltkrieg, an der Entwicklung des Westens mit den Ideen der Aufklärung, die die französische Revolution getragen hätten, und den Ideen der unveräußerlichen Menschenrechte, der Volkssouveränität und der  repräsentativen Demokratie, wie sie in der amerikanischen Revolution von 1776 zum Tragen gekommen seien, nicht teilgenommen. Dies, obgleich es doch an den Emanzipationsprozessen vom Mittelalter über die Frühe Neuzeit, vom Humanismus über die Reformation zur Aufklärung teilgenommen und sie entscheidend mitgeprägt habe. Schon diese Analyse für sich ist bemerkenswert. Noch bemerkenswerter wird sie allerdings mit Blick auf die Grundrechtsbestimmungen der Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919. Dort ist zum Beispiel in Art. 100 bereits der Gleichheitssatz formuliert, in Art. 113 werden gerade den nationalen Minderheiten alle Rechte garantiert, die auch das Mehrheitsvolk nach der Verfassung hat, in Art. 114 die Unverletzlichkeit der Freiheit der Person und das Rechtsstaatsprinzip festgehalten, und in Art. 135 das Grundrecht der Glaubens-und Gewissensfreiheit festgeschrieben. Nur auf der Grundlage dieser unzutreffenden Analyse ist es wohl möglich, wie Winkler anzunehmen, erst mit dem 8. Mai 1945 sei es für die Deutschen möglich geworden, an der Entwicklung der westlichen Demokratien teilzuhaben. Daß eine Reihe von Greueltaten, die sich deutsche Streitkräfte im Verlaufe dieses Krieges zuschulden kommen ließen ebenso wie der Holocaust einen breiten Raum in seiner Rede eingenommen haben, überrascht nicht weiter. Die Konsequenz aus der Geschichte kann für Winkler daher nur sein, daß Deutschland sich außenpolitisch eng an die westlichen Demokratien, in erster Land Linie natürlich an die USA anschließt. Aktuell dann wohl vor allem für die Politik gegenüber Russland.

Daß die deutsche politische Klasse das Gedenken an Leistung und Leid unserer Soldaten, an die Schrecken des Krieges gerade für das eigene Volk, völlig ausschließt, ist eigentlich unfaßbar. Auch die militärischen Leistungen der deutschen Soldaten, die sonst überall in der Welt bewundert werden, hätten hier erwähnt werden müssen. Durchaus auch mit dem Hinweis auf die Tragik, die darin begründet liegt, daß diese Leistungen im Dienst eines verbrecherischen Regimes, aber auch gegen Ende des Krieges in der Absicht, dem eigenen Volk Schlimmeres zu ersparen, erbracht worden sind.

Die Politiker aller anderen betroffenen Staaten und Völker haben ihrer gefallenen Soldaten und Ziviltoten gedacht und ihren Soldaten für ihren Einsatz und ihre Tapferkeit gedankt. Für die damaligen Sieger des Krieges ist sicherlich auch die Form der Militärparade die angemessene Art und Weise des Gedenkens. Dem Lande, das diesen Krieg verloren und dessen Soldaten und Bevölkerung darunter so unendlich gelitten haben, ist eine solche Form des Gedenken nicht angemessen. Wohl aber eine würdige, die breite Öffentlichkeit einschließende Form des Gedenkens, die vor allem auch – immerhin geht es um einen Krieg – Leistung und Leiden ihrer Soldaten angemessen würdigt. So hätte man die Friedhöfe, auf denen sowohl unsere Soldaten als auch unsere zivilen Toten ihre letzte Ruhe gefunden haben, aufsuchen können, um dieser Toten zu gedenken und sie zu ehren. Die Abordnung von Ehrenformationen der Bundeswehr wäre ein ebenso angemessenes selbstverständliches Zeichen der Verbundenheit mit unseren Kriegstoten und ihrer Wertschätzung gewesen. Für die Politiker in Berlin hätte es eine Reihe von Orten gegeben, die sich für ein öffentliches Gedenken dieser Art eignen. Zum Beispiel den großen Friedhof in Halbe bei Berlin, der zur letzten Ruhestätte für tausende Soldaten und Zivilisten geworden ist, die in den letzten Kriegstagen ihr Leben verloren haben.

Eine zentrale Gedenkveranstaltung im Plenarsaal des Reichstages, in der unsere gefallenen Soldaten und ermordeten Landsleute nicht vorgekommen sind, spiegelt die Geisteshaltung unserer politischen Klasse wieder. Symptomatisch ist auch der Ort dieser Veranstaltung. Man ist nicht nur inhaltlich unter sich geblieben.

Die Deutschen wollten ihre Vergangenheit bewältigen. Nun hat ihre Vergangenheit sie überwältigt.

 

Der 8. Mai 1945 – Die gespaltene Erinnerung

Wer sich zum 8. Mai 1945 äußert, der muß mit unterschiedlichen, teils sehr gegensätzlichen Reaktionen rechnen. Das gilt für jede öffentliche Äußerung zur jüngeren deutschen Geschichte. Soweit sich dies im Rahmen des wissenschaftlichen oder publizistischen Diskurses hält, ist das auch nicht nur normal, sondern zu begrüßen. Die Demokratie lebt davon, daß sachlich diskutiert wird. Indessen fällt es auf, daß die Debatte um historische Tatsachen und noch mehr ihre Bedeutung häufig, leider allzu häufig, nicht sachlich geführt wird. Vielmehr werden Äußerungen, die hinsichtlich der Faktendarstellung oder der Interpretation von Ereignissen nicht dem entsprechen, was man heutzutage den mainstream nennt, in aller Regel nicht sachlich diskutiert, sondern gewissermaßen als Ketzerei gebrandmarkt. Warum das so ist, soll an dieser Stelle nicht vertieft werden. Darüber wird derzeit viel geschrieben.

Es scheint notwendig zu sein, einmal grundsätzlich darzustellen, um was es mir geht. Zunächst einmal ist es völlig klar und muß deswegen nicht stets und ständig erneut dargestellt werden, daß der Nationalsozialismus neben dem Kommunismus eine der übelsten und menschenverachtendsten Ideologien war, die jemals auf dieser Erde vertreten wurden und leider auch für eine Zeit zur Herrschaft gelangt sind. Die monströsen Verbrechen Hitlers und seiner Gefolgsleute stehen wie ein Gebirgsmassiv beherrschend im Hintergrund eines jeden Bildes, das jene Zeit darstellt. Indessen spielen sich vor diesem Hintergrund, um im Bilde zu bleiben, eine Reihe von Dramen ab, die jedes für sich genau betrachtet werden müssen. Daraus erhellt, daß es eben keine Relativierung irgendeines vor dem Betrachter ablaufenden Ereignisses jener Zeit ist, wenn es ebenso wie ein anderes jener Ereignisse geschildert wird. Sie stehen nebeneinander. Mehr nicht.

Genau aus diesem Grunde kann es auch keine Hierarchie der Opfer geben. Das Schicksal des im KZ ermordeten jüdischen Kindes geht mir genauso nahe, wie das Schicksal des Kindes, das im Keller seines Elternhauses durch die Explosion einer amerikanischen Fliegerbombe getötet worden ist. Das Schicksal der italienischen Bäuerin, die als Sühnegeisel erschossen worden ist, geht mir ebenso nahe, wie das Schicksal des jungen deutschen Soldaten, den griechische Partisanen gezwungen haben sich nackt auszuziehen, um ihm dann die Kehle durchzuschneiden. Die Trauer der Eltern des gefallenen deutschen Soldaten ruft ebenso mein Mitgefühl hervor, wie die Trauer der Eltern des gefallenen britischen Soldaten. Das alles halte ich aber für derart selbstverständlich, daß es Im Zusammenhang mit der Schilderung und Bewertung eines historischen Ereignisses nicht eigens erwähnt werden muß. Vielmehr steht das immer im Hintergrund wie das eingangs als Metapher vorgestellte Gebirgsmassiv.

Hinzu kommt, daß jedenfalls in Deutschland im Zusammenhang mit der Schilderung und Bewertung von Ereignissen aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges eine schlicht berichtende und nichts verschweigende Darstellung stets als relativierend oder verharmlosend diffamiert wird.

Allerdings halte ich es für notwendig, auch Ereignisse zu schildern, die für gewöhnlich in der Medienlandschaft nicht zu entdecken sind. Auch wenn sicherlich etwa die Zahl der Opfer des Holocaust oder der rassistisch motivierten Liquidierung von Soldaten und Zivilisten in Osteuropa überwiegt, kann eine seriöse Berichterstattung nicht darauf verzichten, auch Kriegsverbrechen der anderen Seite zu beschreiben. Denn die Wahrheit ist unteilbar. Es kann auch nicht darauf verzichtet werden, in jedem Einzelfall die Rechtslage zu untersuchen. Denn das Recht ist ein Wesensmerkmal der Zivilisation. Gerade die Rechtlosigkeit kennzeichnet Regime wie den Nationalsozialismus und den Kommunismus. Die Wirklichkeit kann nicht nur in schwarzer und weißer Farbe gemalt werden, vielmehr überwiegen die Grautöne.

Gerade weil die Verbrechen der Nazis in den gängigen Schilderungen der Zeit des Zweiten Weltkrieges gewissermaßen formatfüllend erscheinen, halte ich es nicht für notwendig, gewissermaßen zum 4322ten mal die gleiche Geschichte zu erzählen. Vielmehr halte ich es für notwendig, auch die weithin nicht bekannten Fakten ebenfalls vorzustellen. Denn wer sich für jene Zeit interessiert, der sollte auch die Chance haben, vollständig informiert zu werden. Nur dann kann er sich auch ein eigenes Bild machen. Nicht umsonst hat diese Internetseite den Untertitel „sapere aude – Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“.

Ebenso wird es als revisionistisch oder gar geschichtsverfälschend angesehen, wenn an der alleinigen Kriegsschuld der Deutschen gezweifelt wird. Schon die Benennung von mitursächlichen Verhaltensweisen der Regierungen anderer Länder wird als unzulässige Verdrehung der Wahrheit angeprangert. Die Diskussion in der Sache wird erst gar nicht zugelassen. Selbst wenn lediglich die wirklich unvertretbare Argumentation zurückgewiesen wird, die Deutschen hätten, weil sie den Zweiten Weltkrieg vom Zaun gebrochen und den Holocaust durchgeführt hätten, in Gestalt der Flächenbombardierungen ihrer Städte und der Vertreibung und Ermordung ihrer Landsleute aus den östlichen Teilen ihres Landes nur die gerechte, zumindest erwartbare Strafe erhalten, wird das als Sünde wider den Anstand gewertet. Hatte denn das erwähnte Kind in der Bombennacht etwas mit Hitler zu tun? Und welche Schuld hatte die zu Tode gequälte und vergewaltigte Frau aus Ostpreußen?

Abgesehen davon, daß dies den betreffenden Autoren gegenüber – von Ausnahmefällen natürlich abgesehen – schlicht unanständig ist, wird damit auch die Chance vertan, sich in der Sache auseinanderzusetzen. Was mich betrifft, so bin ich für jede sachliche Kritik dankbar, weil sie grundsätzlich geeignet ist, mir neue Erkenntnisse zu vermitteln. Denn, wie unser höchstes Gericht einmal formuliert hat, ist es der wissenschaftlichen Arbeit – und dazu gehört die Beschäftigung mit der Geschichte ganz sicher auch – wesenseigen, stets neuen Erkenntnissen offen zu sein. Wissenschaft ist eben niemals etwas abgeschlossenes, sondern eine Sache, die von der Gewinnung neuer Erkenntnisse lebt. Denn sonst hätten wir es mit einem heiligen Buch zu tun und befaßten uns mit Religion. Das alles gilt auch außerhalb der universitären wissenschaftlichen Arbeit im Bereich der Publizistik. Willy Brandt hat das einmal prägnant in die Worte gefaßt: „Die Geschichte kennt kein letztes Wort.“ Bleiben wir also sachlich.