ist ein alter Scherz, den man wohl in unseren Zeiten nicht gar für Ernst wird behaupten wollen.
Dieser Satz aus der Vorrede des Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel zu seinen Grundlinien der Philosophie des Rechts kam mir in diesen Tagen immer wieder in den Sinn, wenn ich die Predigten und Ansprachen von Geistlichen hohen wie niedrigen Ranges beider christlichen Konfessionen hörte. Regelmäßig erklärten sie die Weihnachtsgeschichte gewissermaßen zur Urform der Flüchtlingskrise unserer Tage. Maria und Josef auf der Herbergssuche, denen hartherzige Hausbesitzer ihre Türen nicht öffnen wollen, die Heilige Familie auf der Flucht nach Ägypten vor den Häschern des Herodes, das scheint ihnen offenbar Symbol wie Handlungsanleitung. Seht her, so wie es der Heiligen Familie ergangen ist, so ergeht es den Asylsuchenden und Bürgerkriegsflüchtlingen (vielleicht auch den Wirtschaftsflüchtlingen) unserer Tage. Ihr jedoch, ihr Christen werdet anders als jene hartherzigen Zeitgenossen Jesu Christi den Flüchtlingen und Verfolgten unserer Tage die Türen öffnen und die Tische decken.
An und für sich sollte man denken, daß Menschen mit der wirklich anspruchsvollen akademischen Bildung, die das erfolgreich absolvierte Studium der Theologie nun mit sich bringt, vor solchen Plattheiten, die dazu noch sachlich falsch sind, gefeit sein sollten. So fragt man sich doch angesichts der Geschichte von der Herbergssuche, wie viele Menschen denn da an die Türen der Bürger von Bethlehem geklopft haben. Man weiß natürlich, es waren gerade einmal zwei. Und man fragt sich, wo der Vergleich mit den Asylsuchenden und Flüchtlingen unserer Tage falsch ist und findet natürlich sofort die Antwort: Maria und Josef waren nicht auf der Flucht. Sie mußten nach Bethlehem reisen, um sich dort in Steuerlisten einzutragen, um dann wieder nach Nazareth zurückzukehren. Keine Flucht, sondern eine Reise. Die Flucht nach Ägypten war in der Tat eine Flucht, allerdings nicht vor Krieg und Verfolgung als Gruppe, etwa als Juden vor den Römern oder dergleichen. Nein, es ging lediglich darum, das neugeborene Kind vor den mörderischen Nachstellungen des wahnsinnigen Königs Herodes zu schützen, der alleine den angekündigten neuen König der Juden als seinen Konkurrenten und gefühlten Thronräuber beseitigen wollte, und deswegen mangels namentlicher Kenntnis alle neugeborenen Knaben töten ließ, die in den Wochen zuvor in seinem Reich zur Welt gekommen waren. Maria und Josef haben also lediglich ihr Kind vor einem wahnsinnigen Mörder in Sicherheit gebracht. Mit politischer, rassischer oder religiöser Verfolgung hatte das nichts zu tun. Sie mußten deswegen auch nicht auf Dauer in Ägypten bleiben und hatten es auch nicht vor.
Wie man sieht, haben alle diese Weihnachtsprediger gründlich daneben gegriffen, indem sie die Weihnachtsgeschichte als Erklärung und natürlich erst recht als Handlungsanleitung für ihre Gläubigen mißbraucht haben. Um nicht mißverstanden zu werden: selbstverständlich ist das höchste Gebot des Christentums das Liebesgebot. Der Christ soll natürlich Gott lieben und seine Mitmenschen ebenfalls. Er soll barmherzig sein, den Hungernden und Dürstenden Speis und Trank verabreichen, die Frierenden kleiden und die Kranken umsorgen. Das alles sind individuelle Handlungsanweisungen für ein christliches Leben. Somit wird man in der Tat als Christ, vor dessen Türe ein Fremder steht, der Hilfe braucht, ihn nicht zurückweisen dürfen, wenn man Gottes Gebote ernst nimmt. Indessen verlangt Gott nicht, dies über die eigenen Kräfte hinaus zu tun. Und er schreibt auch nicht vor, in welcher Weise dies zu geschehen hat. Der Mensch, der etwa durch seine Steuern und Abgaben die staatlich organisierte Hilfe für Verfolgte ermöglicht, hat damit sicherlich auch im Sinne dieser Gebote gehandelt. Und er wird auch als Christ guten Gewissens den Hilfesuchenden an die dafür eingerichteten Organisationen verweisen können.
Doch wir erleben in unseren Tagen ständig, daß die Vertreter der christlichen Religionsgemeinschaften sich nicht etwa darauf beschränken, ihre Gläubigen bei der Organisation konkreter Hilfen für Bedürftige anzuleiten, vielmehr unverblümt politische Forderungen in diesem Zusammenhang erheben. Ob es um Obergrenzen für Flüchtlinge, die Erklärung von sicheren Herkunftsländern, die Einrichtung von Transitzonen oder ähnliche politische Grundfragen wie auch verwaltungstechnische Detailfragen geht, stets fühlen sich die Vertreter der Religionsgemeinschaften berufen, hier ihre Stimme im Sinne einer möglichst grenzenlosen Aufnahme von Einwanderern zu erheben, die selbstverständlich stets mit dem christliches Mitleid erheischenden Begriff Flüchtlinge belegt werden, auch wenn es sich um Personen handelt, auf die etwa die Definitionen der Genfer Flüchtlingskonvention wie auch des Asylartikels im Grundgesetz keinesfalls zu treffen.
Auch hier fragt man sich, womit diese Anmaßung eines politischen Mandats überhaupt begründet werden kann. Aus der Bibel wohl nicht. Eher im Gegenteil. Selbst kirchenfernen Bürgern ist sicherlich der berühmte Ausspruch Jesu Christi bekannt: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, gebt Gott, was Gottes ist“ (Lukas 20:25; Matthäus 22:21; Markus 12:17). Aber auch viele andere Zitate sowohl Jesu Christi selbst als auch der maßgeblichen Apostel Petrus und Paulus gehen in diese Richtung. So sprach Jesus bekanntlich zu Pontius Pilatus: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“ (Johannes 18:36). Sein erster Stellvertreter auf dieser Erde, der Apostel Petrus, ermahnt die Gläubigen: „Seid untertan aller menschlichen Ordnung um des Herrn willen, sei es dem König, sei es dem Obersten“ (1. Petrus 2:13) und verlangt: „Tut Ehre jedermann, habt die Brüder lieb, fürchtet Gott, ehret den König“ (1. Petrus 2:17). Der im römischen Denken geschulte Apostel Paulus belehrt die frühen Christen: „Jedermann sei Untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit ohne von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott verordnet“ (Römer 13:1) und fährt fort: „Drum ist’s not, Untertan zu sein, nicht allein um der Strafe willen, sondern auch um des Gewissens willen“ (Römer 13:5).
Daraus wird deutlich, was die Aufgabe der Kirche ist: nicht die Ordnung dieser Welt soll sie kümmern, sondern das Seelenheil der Menschen. Christi Reich ist eben nicht von dieser Welt. Was diese Welt angeht, so ist ihre Ordnung Sache der Obrigkeit. Dies schien Christus und seinen Aposteln selbst in ihrer Zeit, wo die Obrigkeit niemals demokratisch legitimiert, sondern bestenfalls im Wege der allgemein akzeptierten Thronfolge, schlimmstenfalls im Wege der gewaltsamen Machtergreifung in ihr Amt gesetzt war, die von einem Christenmenschen zu akzeptierende Ordnung dieser Welt. Um wie viel mehr muß das heute Geltung beanspruchen, wo jedenfalls in unseren Breiten Demokratie und Rechtsstaat herrschen.
Mitgefühl und Mitleid haben Menschen füreinander, nicht aber Staaten für Völker und Gruppen. Wo sich der einzelne Mensch in freier Entscheidung anderen Menschen hilfreich zuwendet, auch unter Einsatz seines Vermögens, ist das seine Sache und berührt das Allgemeinwohl nicht. Jenes aber ist Sache des Staates, unter anderem auch in seiner Verantwortung sowohl für solche modernen Samariter, wie auch für diejenigen, die eher das eigene Wohl und Fortkommen im Sinne haben. In einer Demokratie muß der Staat auch den Willen der Mehrheit vollziehen. Das ist natürlich der Wille der Mehrheit der eigenen Bürger, und nicht etwa die Förderung der Interessen fremder.
Zu wünschen ist, daß auch Theologen zwischen dem Reich Gottes und der Organisation des Lebens auf dieser Erde, die man gemeinhin Staat nennt, zu unterscheiden wissen.