Das Entsorgungsproblem

Der Aufreger der Woche scheint die Äußerung Alexander Gaulands zu sein, man könne Aydan Özoguz nach Anatolien entsorgen, nachdem sie sich in der Thüringer Provinz davon überzeugt habe, daß es doch etwas spezifisch Deutsches außer der Sprache gebe. In meinem letzten Beitrag über die Sendung von Frank Plasberg und sein peinliches Tribunal über eben diesen Vorgang habe ich schon meine Verwunderung darüber ausgedrückt, daß man diese Formulierung zwar Herrn Gauland vorhält, nicht jedoch anderen. So zum Beispiel dem von Gauland zitierten SPD-Politiker, der Frau Merkel entsorgen wollte.

Nun hat ja der iudex maximus des deutschen Strafrechts Thomas Fischer gewissermaßen ex cathedra verkündet, bei dieser Äußerung von Herrn Gauland handle es sich um Volksverhetzung. Er soll bereits dieserhalb Strafanzeige erstattet haben. Denn es muß ja erst einmal ein Strafverfahren geführt werden, an dessen Ende er zu seinem Leidwesen nicht mehr als oberster Richter die Verdammung des Angeklagten zu schwerem Kerker für mindestens zehn Jahre verfügen kann, bevor feststeht, daß es sich um eine Straftat gehandelt hat. Auch soll bereits irgendwo in unserem schönen Land eine Staatsanwaltschaft prüfen, inwieweit hier eine Straftat vorliegt.

Wenn der Großmeister des Strafrechts einen Vorgang öffentlich subsumiert und zur Straftat erklärt, dann reizt es mich als einen aus dem juristischen Fußvolk, darüber juristische Überlegungen anzustellen. Nun beginnt die Arbeit des Juristen am Sachverhalt, wie man als Referendar gelernt hat. Für unseren „Fall“ heißt das, daß wir zunächst einmal den Sprachgebrauch daraufhin zu überprüfen haben, was denn das eigentlich heißt. Wer seinen eigenen Sprachkenntnissen nicht so ganz traut, schaut ja im Duden nach. Unter dem Eintrag „entsorgen“ finden sich da zwei Definitionen, nämlich: 1.“ von Müll, Abfallstoffen befreien“ und 2. „(Abfallstoffe) beseitigen“. Würden wir es dabei belassen, dann könnte man in der Tat die Verwendung dieses Begriffes auf einen Menschen als rechtlich zumindest problematisch ansehen und in die Prüfung eintreten, ob § 130 StGB – Volksverhetzung – vorliegen könnte. Indessen kann man es dabei nicht bewenden lassen, sondern muß untersuchen, in welchem Kontext diese Vokabel umgangssprachlich, vielleicht sogar auch hochsprachlich benutzt wird. Letzteres, weil man ja Politikern und Medien unterstellen muß, sich für gewöhnlich beruflich der Hochsprache zu bedienen. Da hilft ein Blick in die Medien weiter.

Spiegel Online am 4.4.2015, Überschrift „Korrupte Politiker werden entsorgt“. Im Text weiter: „Natürlich gibt es korrupte Abgeordnete und Lobbyisten, aber die halten sich meist nicht lange in Brüssel und werden entsorgt.“ wird da ein Lobbyist zitiert.

Welt 4.2.2015: Überschrift „Wenn Flachpfeifen in der Wirtschaft entsorgt werden“, Autor: Hans Zippert. „So konnte die FDP drei ihrer erfahrensten Flachpfeifen verklappen“. Naja, das Entsorgen von Altöl oder sonstigem Giftmüll auf hoher See nennt man verklappen. Und weiter: „Eigentlich ist es aber für die Parteien ein Segen, ausgebrannte oder unfähige Mitglieder diskret in der Wirtschaft entsorgen zu dürfen.“

Süddeutsche Zeitung 17.10.2010: Überschrift „Entsorgt in Brüssel“, Autor Martin Winter. „So trägt Oettingers Ernennung die klassischen Züge Merkel’scher Problementsorgung.“

Spiegel Online, 9.9.2014. Autor Christian Rickens. „Der polnische Ministerpräsident gibt sein Amt auf, um nach Brüssel zu wechseln. In Deutschland wäre so ein Schritt undenkbar. Wir entsorgen in der EU lieber unsere politische B-Prominenz.“ Es ging damals um den Wechsel des seinerzeitigen polnischen Ministerpräsidenten nach Brüssel als Ratsvorsitzender.

FOCUS Online 29. 7. 2002. Autor Michael Hilbig. „In Schröder-Manier haben die Grünen ihre Skandalfigur ruck, zuck entsorgt.“ Es ging dabei, mancher erinnert sich noch, um Cem Özdemir und seine Bonusmeilen, gerne auch an friends and family verteilt und seinen Kredit vom Rüstungslobbyisten.

FAZ Online 30.4.2014, Autor Peter Carstens: „Pädophiler LKA-Beamter – sanft entsorgt.“ Ein Bericht in der Edathy – Affäre, der aufzeigte, daß das Pädophilen-Milieu bis in die Reihen der Polizei reichen kann.

n-tv 18.12.2014, Bericht von Christian Rothenberg zur Edathy-Affäre. „Zurück bleibt das Bild einer Partei, die einen ihrer Genossen notfalls ohne Skrupel entsorgt.“

Report Mainz, 4.5.2009, Autor Ulrich Neumann. In diesem Artikel werden gleich alle entsorgt – Schröder, Steinmeier, Müntefering, und zwar in der Art „wie die Bayern den Klinsi“. Stoiber, Kohl und Merz hat die Merkel entsorgt. Die Grünen wollen gerne die Künast und den Trittin entsorgen und die ganze FDP gleich mit usw.

Der Tagesspiegel vom 12.11.2012: Siegmar Gabriel wird zitiert: „Es gebe jetzt das gemeinsame Ziel von SPD und Grünen, nicht nur die Regierung Merkel abzulösen, sondern rückstandsfrei zu entsorgen.“ Rückstandsfrei, das deutet nun auf Problemmüll hin. Auf das Bundeskabinett angewendet, sicherlich starker Tobak.

Wir sehen also, daß jedenfalls im politischen Sprachgebrauch fleißig entsorgt wird, und zwar nicht Müll aller Art, sondern Menschen. Ja, auch wenn es manchmal schwer fällt zu glauben: Politiker sind Menschen. Und beim entsorgen sind alle munter dabei, ob das „Sturmgeschütz der Demokratie“, wie sich der Spiegel gerne nennen ließ, als seine Leser noch wußten, was ein Sturmgeschütz ist. Oder ob es der Süddeutsche Beobachter, pardon, die Prantlhausener Nachrichten sind, ob hinter dem Blatt immer ein kluger Kopf steckt, wie die FAZ jahrzehntelang ganz unbescheiden für sich warb. Ob es die Volksbildungsanstalt öffentlich-rechtliches Fernsehen ist: Politiker werden entsorgt, sprachlich jedenfalls, wenn sachlich nichts anderes geschieht, als die Ablösung von ihren Ämtern.

Die philologische Prüfung der Vokabel ergibt also, daß sie ersichtlich zwei Bedeutungen hat. Zum einen die, welche der Duden zutreffend beschreibt. Da geht es eben um die Entsorgung von Abfall. Aber sie hat eine weitere Bedeutung. Sie wird offensichtlich metaphorisch benutzt, wenn Politiker und Journalisten einen Sachverhalt sprachlich aufpeppen wollen. Es will sich ja niemand nachsagen lassen, langweilig daherzureden oder zu schreiben. Somit komme ich in rechtlicher Hinsicht zu dem Ergebnis, daß der Sprachgebrauch des Herrn Gauland betreffend Frau Özoguz sich im Rahmen des üblichen bewegt. Politik und Medien benutzen die Vokabel nun einmal metaphorisch. Daß dies dem iudex maximus emeritus des deutschen Strafrechts nicht aufgefallen ist, verwundert doch stark. Noch mehr, daß so kurz nach dem Verlassen des hohen Richterstuhls der juristische Scharfsinn des Großmeisters so nachgelassen hat. Daß Herrn Plasberg das nicht aufgefallen ist, wollen wir mal damit erklären, daß er von der Juristerei nichts versteht. Aber er hätte ja mal einen fragen können, der sich mit sowas auskennt. Doch dann hätte er ja sein politisch korrektes Tribunal nicht veranstalten können. Herr Gauland kann unbesorgt sein. Dem Tribunal des Herrn Plasberg wird kein wirkliches Tribunal nachfolgen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert