Da fing sie an zu weinen….

Unfassbares ist geschehen. Unsere braven, sympathischen Tennismädchen stehen in Trump-Country auf einem Centre-Court. Es ist eine internationale Veranstaltung. Mit Flaggen, Hymnen und allem drum und dran. Stolz und Freude in den jungen Gesichtern. Und da hebt der Sänger mit der deutschen Nationalhymne an. Oh Schreck! „Deutschland, Deutschland über alles!“ schallt es über den Platz. Die jungen Damen sind geschockt, eine Spielerin beginnt zu weinen.

Ja, es muß wohl für junge Deutsche, denen in der Schule recht wenig über ihr Land beigebracht worden ist, außer, daß es eine recht üble jüngere Vergangenheit hat, schockierend sein, nun eine Darbietung zu hören, die sie, ihrer schulischen und medialen Sozialisation entsprechend, nur den finstersten Zeiten der Geschichte ihres Landes zuordnen können. Die jungen Damen will ich daher gar nicht schelten. Zum wiederholten Male allerdings ist der Hinweis angebracht, daß der Geschichtsunterricht in unseren Schulen ebenso wie die Darstellung der Geschichte unseres Landes in den Medien, leider auch durch maßgebliche Politiker, in der Regel falsch, unvollständig und vor allem unangemessen ist. Das Lied der Deutschen, wie es sein Textdichter Hoffmann von Fallersleben genannt hat, atmet in seinem ursprünglichen Text die Sehnsucht der Deutschen, endlich in einem vereinten Vaterland leben zu dürfen, wie das anderen Nationen auch vergönnt war. Auch andere Nationen hatten zu jener Zeit damit begonnen, Teilung und Zerstrittenheit zu überwinden. Hier sind zum Beispiel Polen und Italien zu nennen, deren Bemühen um nationale Einigung im 19. Jahrhundert heute in Deutschland allgemein bewundert wird. Mit den Bemühungen unserer Vorfahren selbst um die Einigung ihrer Nation in einem Staat ist es da schon schlechter bestellt. Wenn es halbwegs gut geht, wird darüber mit der bekannten Überheblichkeit unserer Volkspädagogen berichtet, wenn es noch schlechter geht, wird geschichtsklitternd behauptet, hier sei der Grundstein für Nationalismus und Militarismus gelegt worden, der schnurstracks zur Machtergreifung der Nazis und dem militärischen „Überfall“ auf die Nachbarländer geführt habe.

Da nehmen solche Bilder nicht Wunder, wie die eingangs geschilderte Szene. Und da nimmt es nicht Wunder, daß deutsche Polizeibeamte Leute verhaften wollen, weil sie die erste Strophe der Nationalhymne gesungen haben. Sie wissen ja nicht, daß nach wie vor die deutsche Nationalhymne aus den drei Strophen besteht, die Hoffmann von Fallersleben seinerzeit geschrieben hat. Sie wissen auch nicht, daß Theodor Heuss als erster Bundespräsident das Lied der Deutschen zur Nationalhymne erklärt hat, und dabei verfügt hat, bei offiziellen Anlässen solle nur die dritte Strophe gesungen werden. Für jeden, der der deutschen Sprache hinreichend mächtig ist bedeutet das auch, daß privat die gesamte Hymne gesungen werden darf. Es ist schon erstaunlich, daß man auf solche Banalitäten überhaupt hinweisen muß.

Daß dem amerikanischen Sänger, dem man das Notenblatt mit Text der ersten Strophe des Deutschland-Liedes hingelegt hat, da nichts auffallen konnte, liegt ja wohl auf der Hand. Außerhalb unseres Landes mit seiner neurotischen Beziehung zur eigenen Geschichte kann man sich wohl nirgends vorstellen, daß zwei Drittel einer Nationalhymne verpönt sein sollen. Den jungen Damen unseres Tennisteams indessen ist zu wünschen, daß ein wohlmeinender Mensch sie endlich einmal über die deutsche Geschichte im allgemeinen und ihre Nationalhymne im speziellen ordentlich aufklärt. Vielleicht kann Ihnen jemand diesen Blog auf ihr iPad senden.

Worum es geht

Wer mit wachen Sinnen die politische Debatte der letzten Jahre verfolgt, dem kann nicht entgangen sein, daß wir uns mitten in einem Kulturkampf befinden. Der Antagonismus zwischen den saturierten Alt-68ern, die heute entweder selbst das maßgebliche Führungspersonal in Politik und Medien stellen, oder schon mit Wohlgefallen auf die in ihrem Geiste erzogenen Nachfolger blicken, und den von ihnen als Rechtspopulisten diffamierten Kritikern ihrer Denkweise und Politik prägt die Debatte unserer Tage. Ebenso wie die APO der frühen sechziger Jahre, die in der Kulturrevolution von 1968 kulminierte, stellen die Vordenker „rechter“ Parteien in Europa – möglicherweise auch die spin doctors des neuen amerikanischen Präsidenten – überkommene gesellschaftliche Grundüberzeugungen in Frage. Ebenso wie seinerzeit linke Vordenker das herrschende Gesellschaftsbild und das Demokratieverständnis ihrer Generation in Frage gestellt haben, tun dies heute mit anderen Vorzeichen unabhängige Publizisten und unkonventionelle Politiker.

Peter Kuntze analysiert diesen Vorgang zutreffend, wenn er schreibt: „Was sich seit längerem vornehmlich in Deutschland abspielt, ist der Beginn eines Paradigmenwechsels, die Infragestellung des nach der achtundsechziger-Revolution mit elitär-arroganter Volkspädagogik und politischer Korrektheit durchgesetzten Weltbildes. Daß jetzt der Begriff „Demokratie“ ständig mit dem Adjektiv „liberal“ verbunden wird, zeigt, worum es geht: die durch Masseneinwanderung, Hofieren selbst skurrilster Minoritäten sowie Umdefinition von Ehe und Familie auf Kosten und zu Lasten der arbeitenden Mehrheit grundlegend veränderte Gesellschaft soll als nicht hintergehbare Realität festgeschrieben werden. Zugleich wird diese Fragmentierung, die der sophistischen Logik folgt, es sei normal, anders zu sein, unter Beschwörung von „Weltoffenheit“ und „Toleranz“als alternativloses Konzept der Moderne dargestellt. Letztlich, so der utopische Traum, sollen alle Nationalstaaten als Finalisierung der Geschichte in einer grenzen- und klassenlosen Weltgesellschaft aufgehen.

Damit beschreibt er präzise das Weltbild, ja die Ersatzreligion unserer herrschenden Eliten in Politik, Publizistik und Geisteswissenschaften. Jedermann weiß, daß innerhalb dieses juste milieu keine abweichenden Meinungen geduldet werden. Wir sind zwar zivilisatorisch weiter als in den Jahrhunderten der Inquisition und müssen nicht mehr mit ansehen, wie die Ketzer öffentlich verbrannt werden. Doch jeder weiß, daß er seine wirtschaftliche wie auch soziale Existenz aufs Spiel setzt, wenn er auch nur eines der Axiome des linksliberalen Weltbildes in Frage stellt. Steffen Heitmann, Martin Hohmann, Birgit Kelle, Thilo Sarrazin und Eva Herman seien hier nur beispielhaft genannt. Doch langsam, ganz langsam scheint sich die Welt zu verändern. Das Misstrauen der Bürger gegen Politik und Medien wächst unaufhaltsam. Der offene Rechtsbruch Merkels im Zuge der Flüchtlingskrise 2015, die zynisch-arrogante Verachtung der Leitmedien für die Kritiker der Merkel’schen Politik, die kalte Enteignung von Sparern und Beziehern kapitalgedeckter Renten durch die EZB zugunsten südeuropäischer Korruptionsrepubliken: von allen Seiten sieht sich der hart arbeitende Bürger bedroht und betrogen. Der zugegebenermaßen pauschale Kampfbegriff der Lügenpresse ist ja nicht vom Himmel gefallen, sondern ist nur als die wütende Reaktion auf irgendwie als unlauter empfundenes Verhalten von Politik und Medien zu verstehen. Mitspielen mag dabei auch das Gefühl der eigenen Ohnmacht gegenüber „denen da oben“, gespeist auch aus der Erkenntnis, bei weitem nicht zu wissen, was da wirklich vorgeht. Aber gerade dieses „irgendwie“ ist ja typisch für den Beginn von Veränderungen. „Irgendwie“ gehört ja auch zu den sprachlichen Leitfossilien der sechziger/siebziger Jahre in Deutschland. Aus dem Gefühl, irgendwie laufe da was falsch, wird mit der Zeit die Erarbeitung von Kenntnissen und Wissen. Und aus dem Irgendwie wird dann die präzise Analyse der Wirklichkeit, die Reflexion des Sinnvollen und Wünschenswerten und schließlich der Paradigmenwechsel. Die alten Werte sind dann nicht mehr die Werte der Alten. Der Fortschritt ist nicht mehr der Marsch ins Ungewisse, sondern der Weg zu den zeitlosen Gewissheiten.

Die Revolution ist beendet.

Die Selbstgerechten

Die unsägliche Debatte in Deutschland um die alliierten Luftangriffe auf deutsche Städte in den letzten beiden Kriegsjahren (1943-1945) ist in diesem Jahr etwas leiser. Schließlich haben wir keinen „runden“ Jahrestag. Die Tonlage indessen bleibt gleich. So hat anläßlich des bevorstehenden 71. Jahrestages der verheerenden Bombardierung von Dresden am 14.02.1945 der dortige Oberbürgermeister erklärt, Dresden „dürfe nicht in einem Opfermythos dastehen“. Denn, so wörtlich: „Dresden war keine unschuldige Stadt, das wurde wissenschaftlich ausgewertet.“

Der Mensch, der diese Sätze in die Welt gesetzt hat, ein 45 Jahre alter Politiker namens Dirk Hilbert von der FDP, steht für eine Generation von deutschen Politikern, Publizisten und Historikern, die ihren Vorfahren gegenüber mit Arroganz und Unduldsamkeit auftreten, selbstverständlich mit der Attitüde dessen, der alles besser weiß, selbstverständlich das richtige tut und natürlich, hätte er damals bereits gelebt, den Nazis mutig die Stirn geboten hätte, ach was, diese Bande von Ignoranten Psychopathen locker in die Tonne getreten hätte. Mit einer solchen Persönlichkeitsstruktur, anmaßend, arrogant und ausgrenzend, hat man in jener Zeit glänzende Karrieren hingelegt, etwa in SS und SD. Solchen Leuten gegenüber ist grundsätzlich ein tiefes Misstrauen angebracht.

Den Satz: „Dresden war keine unschuldige Stadt, das wurde wissenschaftlich ausgewertet“, muß man sich erst einmal auf der Zunge zergehen lassen. Alleine schon die darin vorausgesetzte Kollektivhaftung einer Stadt für die Untaten ihrer Unterdrücker ist von einer intellektuellen Armut, gleichzeitig aber auch dümmlichen Arroganz, die einem schon den Atem verschlagen kann. Selbst wenn in Dresden wie sonstwo die Nazis geherrscht haben und sich scheußlicher Verbrechen schuldig gemacht haben, was hat das mit der beherrschten und unterdrückten Mehrzahl der Bürger zu tun? Sind diese Nazis, dazu noch offen mit dem Programm ihrer späteren Unterarten, auch nur von einer Mehrheit der Dresdner 1932 gewählt worden? Ja, 1932, denn nach dem 30. Januar 1933 gab es keine freien Wahlen mehr. Waren die 25.000 Menschen, die nach amtlicher Zählung einer handverlesenen Historikerkommission in dieser Nacht von Bomben zerfetzt, von Trümmern erschlagen und im Feuersturm verbrannt sind, schuldig? Falls es einige tausend mehr gewesen sein sollten, was nach seriösen Quellen durchaus gut möglich ist, waren die auch schuldig?

Waren nicht auch in Dresden wie auch sonstwo viele, sehr viele Menschen auf der Seite der vom Regime verfolgten, zum Beispiel der Juden? Man lese die Aufzeichnungen des Dresdner Germanistikprofessors Victor Klemperer und anderer Zeitzeugen. Von einer „schuldigen“ Stadt kann keine Rede sein.

Und muß man nicht heute feststellen, daß diese alliierten Bombardierungen nach allgemeiner Auffassung im Kriegsvölkerrecht als Kriegsverbrechen betrachtet werden? Man lese etwa das gut recherchierte und juristisch überzeugende Buch von Björn Schumacher, Die Zerstörung deutscher Städte im Luftkrieg, oder den von Lothar Fritze und Thomas Widera herausgegebenen Sammelband über den alliierten Bombenkrieg, herausgegeben vom Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung e.V. Schon der zynische Codename für die erste große Städtebombardierung, nämlich Hamburg vom 24.07. bis 03.08.1943 – Operation Gomorrha – zeugt von der Geisteshaltung, die hinter dem Konzept des sogenannten Morale Bombing stand. Es ging einfach ganz offensichtlich darum, Kultur und Herz des deutschen Volkes nachhaltig zu zerstören, indem man ihm die sichtbaren Zeugnisse seiner Geschichte nehmen wollte. Die Zerstörung der Nürnberger Altstadt am 02.01.1945, selbstverständlich militärisch völlig unsinnig, wie auch als besonders plakatives Beispiel, des Städtchens Pforzheim am 23.02.1945, als unter den alliierten Bomben 98 % der Stadt verbrannten und mehr als ein Fünftel der Einwohner getötet wurden. oder man lese das erschütternden Buch von Jörg Friedrich: Der Brand.

Nein, es geht überhaupt nicht darum, ob eine Stadt schuldig war im Sinne dieser selbstgerechten, großsprecherischen und von politischer Korrektheit triefenden Nachgeborenen. Nein, es geht darum, diesen Leuten ihr moralisches Versagen deutlich vor Augen zu führen. Ihnen, denen ein gütiges Schicksal es erspart hat, in jener Zeit aufwachsen zu müssen, ohne Furcht vor der allgegenwärtigen geheimen Staatspolizei, ohne Furcht vor dem Verlust des Arbeitsplatzes wegen politischer Unzuverlässigkeit, ohne Furcht davor, mit leeren Händen vor seinen hungrigen Kindern zu stehen, weil man seine hochmögende Moral über seine banalen täglichen Pflichten Frau und Kindern gegenüber gestellt hat. Und wer nicht glauben will, unter welchem Druck die Deutschen ab 1933 gestanden haben, der lese vielleicht einmal die Akten des Prozesses gegen die SA-Männer, die in der Nacht des 30. Januar 1933 die „Machtergreifung“ auf ihre Weise gefeiert haben. Wie sie die Büros ihrer politischen Gegner und missliebiger Journalisten in Nürnberg gestürmt und verwüstet haben, die angetroffenen Politiker und Redakteure halb totgeschlagen und dann ins KZ nach Dachau verfrachtet haben. Und wer glaubt, das habe sich damals nicht in Windeseile herumgesprochen, dem ist wirklich nicht mehr zu helfen. Was unsere hochmögenden arroganten Besserwisser mit makelloser Universitäts- und Berufskarriere heute den Deutschen jener Zeit vorwerfen, tun sie gerade selbst. Sie verweigern sich der Wirklichkeit, weil nicht sein kann was nicht sein darf. Urgroßvater war halt ein Nazi. Dem haben die Alliierten zurecht die Bomben aufs Haupt geworfen.

Natürlich ist die Erinnerung an dieses große Kriegsverbrechen der Briten und Amerikaner auch nicht in anderer Weise zu instrumentalisieren. Irgendwelche Menschenketten oder Gedenkmärsche, seien sie links- oder rechtsdrehend, sind unangebracht. Angebracht ist allein die Trauer um die Opfer und die Suche nach der historischen Wahrheit. Letztere scheint allerdings offiziell nicht sonderlich erwünscht.

Qualitätsmedien

Es ist 6:00 Uhr morgens. Die Morgennachrichten im Bayerischen Rundfunk. Der neue amerikanische Präsident hat erklärt, die NATO sei überflüssig. Man muß wohl damit rechnen, daß die USA die NATO verlassen werden. So klingt es jedenfalls. Nun weiß der informierte Bürger, also der, der sich aus verschiedenen Nachrichtenquellen unterrichtet, daß Donald Trump in der Tat in einem Interview mit Vertretern deutscher Medien gesagt hat: „I said a long time ago – that NATO had problems.  Number one ist was obsolete, because it was, you know, designed many, many years ago.“ 

Das ist natürlich etwas völlig anderes, als es den schlaftrunkenen Hörern des Bayerischen Rundfunks heute Morgen in die Gehörgänge fuhr. Einigermaßen vernünftig übersetzt heißt das: „Ich habe schon vor langer Zeit gesagt, daß die NATO Probleme hatte. Erstens war sie veraltet, weil sie, wie Sie wissen, vor vielen, vielen Jahren konzipiert wurde.“ Offenbar war man in der Redaktion des Bayerischen Rundfunks auch noch knapp eine Woche nach Bekanntwerden dieses Interviews nicht in der Lage, die Äußerungen des amerikanischen Präsidenten korrekt zu übersetzen. Man hat die Vokabel „obsolete“ offensichtlich wie ein schlechter Schüler übersetzt und wie das deutsche Fremdwort „obsolet“ verstanden. Zwar bedeutet das nach dem Duden ebenso wie in der englischen Sprache veraltet, umgangssprachlich aber auch überflüssig. Falls man sich da nicht so ganz sicher ist, kann man ja ein gutes Wörterbuch schauen. Im Langenscheidt werden als Übersetzungen angeboten: veraltet, überholt, altmodisch, abgenutzt, verbraucht. Und wenn das nicht weiterhilft, muß man ja den Sinnzusammenhang beachten. Und der kann wohl nur so verstanden werden, daß Reformbedarf besteht, auch was die Aufgaben des Bündnisses zum Beispiel bei der Terrorbekämpfung angeht. Wer den zitierten Satz mit Verstand liest, stellt außerdem fest, daß die Beschreibung der NATO in der ersten Vergangenheitsform erfolgt ist. Somit ist ihr gegenwärtiger Zustand nicht gemeint. Aus alledem zu schließen, der amerikanische Präsident strebe einen Austritt seines Landes aus dem Bündnis an, ist schlicht und einfach abwegig.

Der Vorgang wäre eines Kommentars nicht wert, wenn er nur ein weiterer Beleg für die mangelnde fachliche Qualität nicht weniger Journalisten auch in den sogenannten Qualitätsmedien wäre. Sogenannte Qualitätsmedien, weil es sich dabei eher um eine Selbsteinschätzung als um einen objektiven Befund handelt. Beunruhigend an einem solchen Vorgang ist vielmehr, welche Wirkung solche Nachrichten haben. Ich habe mir dann bei der Morgentoilette überlegt, wie diese Nachricht nun von einem Menschen aufgenommen und verarbeitet wird, der infolge seiner beruflichen und familiären Belastung gar keine Zeit hat, mehr als die morgendlichen Nachrichten im Rundfunk zur Kenntnis zu nehmen. Das vielfache Angebot in den gedruckten wie gesendeten Medien, vor allem im Internet, kann ja nur nutzen, wer auch die Zeit dafür hat. Gerade die Menschen jedoch, die den größten Beitrag in Wirtschaft und Gesellschaft leisten, haben diese Zeit meistens nicht. Solche Menschen gehen eben dann mit diesem Kenntnisstand in den Tag. Sie müssen mit der Sorge leben, daß eine wesentliche Grundlage unserer äußeren Sicherheit brüchig geworden ist.

Man könnte natürlich darüber spekulieren, wie solche Nachrichten zustande kommen, vor allem, ob dahinter eine Absicht steckt, und wenn ja, welche. An Spekulationen will ich mich nicht beteiligen. Ob eine solche Falschmeldung alleine der fachlichen Inkompetenz einer Redaktion geschuldet ist, oder eine politische Strategie dahinter steckt, über deren Inhalt ich auch nicht spekulieren will, kann offen bleiben. Was bleibt, ist das Unbehagen. Und dann klingt aus solchen Redaktionen auch noch das Lamento darüber, daß die Leute ihnen nicht mehr glauben wollen, weil sie von den bösen Rechtspopulisten aufgehetzt werden…

Es bleibt also dabei: sapere aude! (Selber denken!).

Das Reich des Bösen

Wer die allgegenwärtigen Bilder von den Demonstrationen gegen den neuen amerikanischen Präsidenten sieht, muß den Eindruck gewinnen, eine Art Frankenstein, zusammengemixt aus Hitler, Mao und Stalin, habe im wichtigsten Staat der Erde die Macht an sich gerissen. Wenn auf mitgeführten Tafeln zu lesen ist, Trump sei ein Angriff auf die Menschenwürde, und allenthalben Journalisten wie Politiker raunen, welche unkalkulierbaren Gefahren für die USA, Europa und die Menschheit überhaupt nun drohten, und wie in der griechischen Tragödie der Chor aus Künstlern und „Medienschaffenden“ im Hintergrund die schaurige Moritat von Mackie Messer singt, dann muß man es entweder mit der Angst bekommen, oder aber den Eindruck gewinnen, daß alle verrückt geworden sind.

Wer sich einen kühlen Kopf bewahrt hat, der wird darauf warten, daß auch dieser neue Präsident sich die sprichwörtlichen Hörner abstoßen wird, wie jeder, der mit forschen Sprüchen auf den Lippen eine neue Aufgabe angeht. Darauf wird man wohl nicht lange warten müssen. Im übrigen gönne ich der politisch-medialen Klasse diesseits und jenseits des Atlantiks durchaus ihre Niederlage, die darin besteht, daß sich nun diesmal jemand durchgesetzt hat, dem ganz offenbar das linksliberale, hochmögende aber vor allem auch unehrliche Milieu der Berufspolitiker und von ihren Gnaden abhängigen Journalisten zuwider ist. Sollte am Ende seiner Amtszeit von Donald Trump nur bleiben, daß er diesen Augiasstall gereinigt hat, dann wäre das für die Geschichtsbücher genug und sicherlich für die Menschen diesseits und jenseits des Atlantiks ein Gewinn.

Dummheit, frisiert

Die heutigen Nachrichten über die Rede des Thüringer AfD-Chefs Björn Höcke zur Erinnerungskultur in Deutschland sind ein Lehrstück in zweierlei Hinsicht.

Höcke hat in einer Rede von etwa einer Dreiviertelstunde Dauer dem Umgang der deutschen Eliten mit der neueren Geschichte beklagt und unter anderem beanstandet, daß sich die Deutschen mit dem Holocaustdenkmal in Berlin ein Denkmal der Schande geschaffen hätten und überhaupt die Politik in Deutschland maßgeblich immer noch von einem Empfinden deutscher Schuld bestimmt werde. Wenn man in diese Rede hineinhört oder einzelne Passagen liest, dann fragt man sich schon, ob Höcke sich gedanklich nicht unerhebliche Schnittmengen mit der NPD und anderen Neonazis erlaubt, oder schlicht und einfach intellektuell damit überfordert ist, Geschichte und Gegenwart voneinander zu trennen. Denn selbst wenn man mit guten Gründen die geschichtspolitische Instrumentalisierung der Vergangenheit kritisieren kann, so verbieten sich zum einen jegliche Pauschalisierungen, und zum anderen haben kritische Auseinandersetzungen mit der Geschichtsschreibung ihren Platz in der Wissenschaft und im akademischen Diskurs auch in der Öffentlichkeit. In der Tagespolitik hat das im allgemeinen grundsätzlich nichts zu suchen, und die wissenschaftliche Debatte ist wegen ihrer Komplexität völlig ungeeignet für die Verwendung in parteipolitischen Zusammenhängen. Die Geschichte betrifft auch die Vergangenheit, die Politik kann auf sie grundsätzlich nicht einwirken. Was an den Hochschulen gelehrt wird, ist ebenfalls nicht Sache der Politik, sondern der hoffentlich auch weiterhin freien Wissenschaft. Auch wenn hier gerade hinsichtlich der neueren Geschichte eine gewisse Einförmigkeit, Eintönigkeit, ja Einfältigkeit zu beobachten ist, so ist es alleine Sache der Historiker, neuen Erkenntnissen zum Durchbruch zu verhelfen. Auch wenn es Herrn Höcke, dem Geschichtslehrer am Gymnasium, noch nicht aufgefallen sein sollte: was z.B. die Darstellung der Ursachen des Ersten Weltkrieges angeht, so hat sich hier in den letzten zehn Jahren ein fundamentaler Wandel vollzogen. Die sogenannte Alleinschuldthese Deutschlands wird jedenfalls an unseren Universitäten nicht mehr vertreten. Vor allem aber hat sich die Politik, wie gesagt, mit der Gegenwart, noch mehr aber mit der Zukunft zu befassen. Und da gibt es viel zu tun, und viel zu kritisieren, gerade für eine erst jüngst auf der politischen Bühne erschienene Partei. Euro-Krise, innere Sicherheit, Migrationsproblematik und eine verrückt gewordene europäische Zentralbank bieten gerade für einen politischen Newcomer Themen genug, um das Wahlvolk von den eigenen Vorstellungen zu überzeugen. Warum man da in der Tagespolitik und im Wahlkampf historische Vorlesungen und Proseminare anbietet, erschließt sich nicht.

Interessant ist allerdings, wie die Medien mit diesem Vorgang umgegangen sind. Jedenfalls ein Teil der Medien hat in seinen Internetmeldungen berichtet, daß die maßgeblichen Politiker seiner Partei Höcke für seine Äußerungen scharf kritisiert haben, allen voran die Parteivorsitzende Petry: Björn Hecke ist mit seinen Alleingängen und ständigen Querschüssen zu einer Belastung für die Partei geworden. Die Europa Abgeordnete von Storch: Höcke hat der Partei schweren Schaden zugefügt. Das Vorstandsmitglied Alice Weidel: Unsägliche rückwärts gewandte Debatte. Der Nordrhein-Westfälische Landesvorsitzende Pretzell: Fatal ist nicht, daß Höcke ständig mißverstanden wird, fatal ist, daß dies in einem Bereich deutscher Geschichte geschieht, bei dem es der Anstand verbietet. Nikolaus Fest: Die heutigen Probleme Deutschlands haben nichts mit der Schuldkultur zu tun.Der Sachsen-Anhaltinische Vorsitzende Poggenburg: unglücklich und nicht zielführend. Der bayerische Landesvorsitzende Bystron: völlig unnötig und Wasser auf die Mühlen unserer Gegner.  Lediglich der brandenburgische Vorsitzende Gauland meint, Höcke sei mißverstanden worden, was ja impliziert, daß er seine Äußerungen, so wie man sie verstehen kann, auch nicht für gut hält. Ganz anders die Tagesschau. Man zitiert zwar teilweise die Kritik der Vorsitzenden Petry an Höcke, erklärt im übrigen aber ohne dies zu quantifizieren, es habe in der Partei auch Zustimmung gegeben und weist ferner auf ein Strategiepapier hin, das generell ein provokantes Auftreten als zielführend, weil Wähler generierend, bezeichnet. Daß so eine Strategie natürlich völlig losgelöst vom jeweiligen Sachthema ist, wird nicht erwähnt. Vielmehr gewinnt der Tagesschau-Zuschauer den Eindruck, Höcke sei repräsentativ für die Partei, was in dem Interview mit einem natürlich ausgesuchten Politikwissenschaftler bestätigt wird.

Es gibt also ausgesprochen dumme Politiker. Und es gibt eine Tagesschauredaktion, die offensichtlich Halbwahrheiten verbreitet. Wem das nützen soll, und wahrscheinlich auch nützt, liegt auf der Hand. Wem die Intendanten, Fernsehdirektoren und Chefredakteure verpflichtet sind, nachdem ihre Aufsichtsgremien, denen sie Anstellung und Aufstieg verdanken, von den etablierten politischen Parteien und ihren Vorfeldorganisationen dominiert sind, liegt auch auf der Hand. Die Schlußfolgerung, daß die Berichterstattung dann auch interessegeleitet ist, liegt mindestens sehr nahe. „Wes Brot ich eß, des Lied ich sing.“

Weil das eigentlich auch Nachwuchspolitikern, und die Politiker einer gerade mal knapp vier Jahre existierenden Partei kann man nicht anders nennen, inzwischen geläufig sein müßte, kann man im Falle Höcke nur von Dummheit sprechen. Sollte er jedoch das meinen, was viele Leute aus seinen Äußerungen heraushören, dann gehört er jedenfalls nach den Maßstäben des Bundesverfassungsgerichts – und welche sollten denn sonst gelten? – nicht in die deutsche Politik. Seine Partei wäre jedenfalls gut beraten, wenn sie ihm den Rücktritt nahe legen würde und dies auch entsprechend kommunizierte. Wenn ihm seine Partei und ihre Ziele am Herzen liegen, dann kann er eigentlich nur zurücktreten.

Letztendlich zeigt sich hier wieder einmal, was bei Parteineugründungen immer wieder zu beobachten ist: Sie ziehen anfänglich allerhand seltsame Vögel an. Sobald man sich einigermaßen konsolidiert hat, muß man sich dieser Leute entledigen. Auch wenn man dann den ein oder anderen Wähler verliert. Doch es ist alle Mal besser, ein einigermaßen demokratisch homogenes Wählerpotential von sagen wir einmal 10 % zu haben, als ein Sammelsurium von Bürgern, die gerade aus ihrer demokratischen Gesinnung heraus Fehlentwicklungen korrigieren wollen einerseits, und allerhand Esoterikern, Spinnern und Radikalinskis andererseits mit einem Potenzial von 15 %. Ein kleines Haus, aus fehlerfreien Steinen gebaut, hält alle Mal länger als ein großes Gebäude aus minderwertigen Beton.

Das abgewogene und findige fundierte Urteil des Bürgers setzt voraus, daß er sich aus unterschiedlichen Quellen informiert. Nur so kann er trotz der offiziösen fake news ein mündiger Bürger sein. Bleiben wir aufmerksam!

Ursula unterm Regenbogen

IBUK öffnet Bw für LSBTTIQ* – so ist im korrekten Bürokraten-Neudeutsch das jüngste Vorhaben der Oberbefehlshaberin der Streitkräfte von Absurdistan zu formulieren. Für die weder mit der allen Soldaten vertrauten Abkürzeritis noch mit dem neumodischen Politiksprech vertrauten Leser hier die Auflösung: Die Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt (gem. Art. 65a GG die Bezeichnung des Grundgesetzes für den Bundesminister der Verteidigung) öffnet die Bundeswehr für lesbisch, schwul, bisexuell, transsexuell, transgender, intersexuell, queer und *(steht für alle 384 weiteren Geschlechter) veranlagten, orientierten, sich ständig oder zeitweise so fühlenden und überhaupt irgendwie anders gestrickten Menschen. Die Ministerin hat dazu schon die ersten Schritte unternommen und zunächst einmal die Abgeordneten, Spitzenmilitärs und -beamten entsprechend sensibilisiert. In der modernen Organisationswissenschaft heißt das auch „top-down-approach“. Ist ja in einer Armee auch klar. Alles Gute kommt von oben, äh, wird befohlen.

Nach der Öffnung der Bundeswehr für Bewerber auch aus Nicht-EU Staaten, EU-Staaten ohnehin, der Senkung sowohl der intellektuellen als auch der physischen Anforderungen kommt nun konsequenterweise und politisch korrekt die Öffnung für den Personenkreis, der bekanntlich alle Linken und Grünen in unserem Lande besonders am Herzen liegt. Wer das noch nicht so genau weiß, der sollte sich in den Bundesländern umsehen, in denen die Grünen in der Regierung sitzen. Die Sexualdemokratisierung der Gesellschaft, und zwar von Kindesbeinen an, wird dort zügig vorangetrieben.

Und ein weiteres Lieblingsprojekt des künftigen Koalitionspartners ist ja durch die Öffnung der Truppe für Ausländer ohnehin schon auf den Weg gebracht worden: die Internationalisierung der deutschen Bevölkerung (deutsches Volk gibt es ja nicht). Die nur auf den ersten Blick schwierig erscheinende Integration der Kamerad*innen aus fremden Ländern wegen der mangelnden Deutschkenntnisse kann ganz einfach dadurch gewährleistet werden, daß man auf den Gebrauch der deutschen Sprache im Dienst ganz verzichtet. Arbeitssprache in der NATO und der UNO ist ohnehin Englisch. Die Sprachkompetenz gerade der Kamerad*innen mit dem etwas niedrigeren IQ wird natürlich dadurch auf den nötigen Level gehoben, daß man eben nur noch Englisch miteinander spricht. Dann funktioniert das auch in den Einsätzen Seit‘ an Seit‘ mit den Kameraden aus Indien oder Kenia. Joe Kaeser, der als CEO von Siemens Englisch zur Arbeitssprache gemacht hat und Günther Oettinger, von dem wir gelernt haben, daß auch englisch mit stärkstem schwäbischen Akzent bedenkenlos vor internationalem Publikum gesprochen werden kann,  können hier ja durchaus hilfreiche Hinweise geben.

Der jüngste Vorschlag der Ministerin hat allerdings bei Lichte gesehen durchaus seine Vorzüge. Die stets unterfinanzierte Truppe kann hier nun richtig Geld sparen. Denn nach dem Einzug der LSBTTIQ*-Menschen in die Kasernen kann, ja muß auf teure Parallelstrukturen verzichtet werden. Getrennte Unterkunftsbereiche für die Menschen, die man früher unzutreffend für Männlein und Weiblein gehalten hat, braucht man nicht mehr. Das gilt besonders für die teuren Sanitärräume. Die Einführung der Unisex-Toiletten in öffentliche Gebäude wird gerade von dem neuen Berliner Senat vorangetrieben, der ja bekanntlich einem Gemeinwesen vorsteht, das nur verstockte Konservative für eine versiffte Pleite-City halten, das aber tatsächlich in allen wichtigen Belangen an der Spitze des Fortschritts marschiert, sei es in der Kriminalitätsstatistik, bei der Schuldenhöhe, in der Arbeitslosenstatistik, in der Zahl der Schlaglöcher pro m² Straße, bei der Zahl der fehlenden Klassenzimmer und Lehrer, oder im Verschmutzungsranking.

Und ein weiterer Aspekt darf gerade bei einer Armee nicht unter den Tisch fallen. Das Abschreckungspotential einer solchen Truppe kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Wie soll sich denn ein Feind auf Soldaten einstellen, von denen er nicht weiß, was sie sind, und die jedenfalls nach der Statistik der WHO (Weltgesundheitsorganisation) zu einem weit überdurchschnittlichen Prozentsatz als lebende biologische Kampfmittel eingestuft werden müssen, weil sie das Aids-Virus in sich tragen. Mit so jemanden möchte man natürlich nicht ins Handgemenge kommen.

Ja, unsere Ursula von der Leine blickt weit voraus. Und so ganz nebenbei können die Grünen für einen ihrer Leuchttürme eine neue Verwendung finden, nachdem er dem nächsten Deutschen Bundestag nicht mehr angehören wird. Denn diese neu konfigurierte Bundeswehr braucht natürlich auch einen dazu passenden Wehrbeauftragten. Volker Beck steht bereit.

Zivilcourage soll kriminalisiert werden – wirklich?

Der Fall sorgt für Aufregung. Am 21. Mai 2016 hat ein offensichtlich psychisch kranker Asylbewerber aus dem Irak in einem Supermarkt der sächsischen Gemeinde Arnsdorf vielleicht randaliert, vielleicht auch nur uneinsichtig gegenüber dem Personal eines Supermarkts reagiert, das seine Wünsche hinsichtlich einer abgelaufenen Telefonkarte wohl mit Recht nicht realisieren wollte. Der Mann wurde dann, nachdem die Polizei nicht zur Sachbehandlung kommen wollte, von vier Bürgern überwältigt, aus dem Supermarkt herausgeführt und an einem Baum mit Kabelbindern fixiert, bis nach etwa einer Dreiviertelstunde die Polizei sich der Sache annahm. Der Sachverhalt kann ausnahmsweise deswegen relativ gut beurteilt werden, weil das Video der Überwachungskamera des Kassenbereichs in diesem Supermarkt im Internet steht.

Das gegen den Asylbewerber eingeleitete Ermittlungsverfahren wegen Bedrohung und Körperverletzung wurde von der Staatsanwaltschaft eingestellt. Gegen die vier Männer, die den Mann überwältigt und an einen Baum gefesselt hatten, wird nunmehr ein Strafverfahren vor dem zuständigen Amtsgericht geführt. Das sorgt allenthalben für Aufregung. Schon im unmittelbaren Anschluß an den Vorgang soll der örtliche Polizeipräsident erklärt haben, daß wegen der Erregtheit des Asylbewerbers das Festhalten sinnvoll gewesen sei, er tue sich aber schwer zu sagen, notwendig. Die Polizei sei aber davon ausgegangen, daß die vier Bürger geholfen hätten, also korrekt gehandelt hätten. Eine besondere Würze hat der Fall deswegen, weil einer der Beteiligten an dieser Festnahme ein Kommunalpolitiker mit dem Parteibuch der CDU ist.

Die Reaktionen in der Öffentlichkeit, teilweise aber auch in den Medien, gehen dahin, daß hier die Justiz völlig unverständlicherweise Zivilcourage von Bürgern kriminalisiere. Somit bestehe die Gefahr, daß künftig Bürger von einem Eingreifen bei Straftaten absehen würden, weil sie dann besorgen müßten, ihrerseits von den Gerichten belangt zu werden.

Bei aller Sympathie für Bürger, die ihre Pflicht, ja auch Rechtspflicht, zur Hilfeleistung in Notfällen ernst nehmen: dieser Fall gibt keine Veranlassung, die Justiz zu schelten. Wie gesagt, kann sich jedermann das Video des Vorganges ansehen. Es ist zu sehen, wie der später festgenommene Asylbewerber im Kassenbereich mit mehreren Personen, darunter auch eine Kassiererin, diskutiert, und auch in einer Hand eine Flasche hat, die nicht nach einer Mineralwasserflasche, sondern eher nach einer Sektflasche aussieht. Vor ihm stehen zwei Männer, die ihn offenbar schon durch ihre Präsenz daran hindern, den Supermarkt zu verlassen. Eine Notwehrlage im Sinne von § 32 StGB in Gestalt eines gegenwärtigen rechtswidrigen Angriffs auf das Personal des Supermarkts ist jedenfalls bei Betrachtung dieses Videos nicht ohne weiteres ersichtlich. Nachdem ich nicht mehr weiß, kann ich natürlich nicht ausschließen, daß der Mann verbal so aggressiv geworden ist, daß man jederzeit einen körperlichen Angriff seinerseits besorgen musste. Das wird das Gericht zu klären haben.

Nachdem das gegen ihn gerichtete Ermittlungsverfahren wegen Beleidigung und Körperverletzung jedoch eingestellt worden ist, hat jedenfalls die zuständige Staatsanwaltschaft keine Straftat seitens dieses psychisch kranken Asylbewerbers feststellen können. Daß er psychisch krank ist, folgt daraus, daß er in der am gleichen Ort gelegenen Psychiatrie zwangsweise untergebracht ist, allerdings wohl nicht als so gefährlich eingestuft wird, als daß man ihm nicht Ausgang gewähren könnte.

Nun gibt es durchaus den § 127 StPO. Diese Vorschrift unserer Strafprozessordnung, das sogenannte Jedermannsrecht, könnte den vier Angeklagten durchaus das Recht gegeben haben, jenen Asylbewerber festzunehmen, der sich wohl sicher unangemessen benommen hat. Schauen wir uns den Wortlaut des Gesetzes an:

Wird jemand auf frischer Tat betroffen oder verfolgt, so ist, wenn er der Flucht verdächtig ist oder seine Identität nicht sofort festgestellt werden kann, jedermann befugt, ihn auch ohne richterliche Anordnung vorläufig festzunehmen.

Nun, auf frischer Tat ist der Mann festgenommen worden, allerdings ist schon fraglich, ob überhaupt eine Tat, also Straftat vorgelegen hat. Nach Meinung der Staatsanwaltschaft war das nicht der Fall. Allerdings kann man dem Bürger nicht zumuten, die rechtliche Beurteilung der Staatsanwaltschaft oder gar des Gerichtes fehlerfrei vorwegzunehmen. Deswegen besteht dieses Recht auch dann, wenn sich der Bürger entschuldbar über das Vorliegen der Voraussetzungen dieses Rechts irrt. Wenn man sich das Video anschaut, entstehen bereits an dieser Station der Rechtsprüfung erhebliche Zweifel. Vorbehaltlich der exakten Feststellung, was der Mann gegenüber den Kassiererinnen alles gesagt hat, kann nach dem Augenschein eher nicht von einer strafrechtlich relevanten bedrohlichen Situation ausgegangen werden. Des weiteren verlangt § 127 StPO aber auch eine Fluchtgefahr. Aus dem Video ist diese eher nicht zu erkennen, denn der später Festgenommene hatte ersichtlich keine Chance, an den unmittelbar vor ihm stehenden zwei Männern, die ihn im Auge hatten, ja auch mit ihm kommunizierten, vorbeizukommen. Des weiteren war wohl die Identitätsfeststellung kaum gefährdet, weil er eine abgelaufene Telefonkarte bei sich hatte, und in dem nahe gelegenen Bezirkskrankenhaus untergebracht war. Ein Recht zur Festnahme des Mannes nach § 127 StPO dürfte also mit größter Wahrscheinlichkeit nicht gegeben sein. Somit war die gleichwohl erfolgte Festnahme wohl als Freiheitsberaubung, § 239 StGB, zu werten. Diese Straftat wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Nach Sachlage spricht sehr viel dafür, daß die Staatsanwaltschaft zu Recht Anklage erhoben hat, und das Amtsgericht zu Recht die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen hat. Ob dem eine Verurteilung folgen wird, kann natürlich noch nicht gesagt werden, auch nicht wie hoch das Strafmaß ausfallen wird, wenn es zu einer Verurteilung kommt.

Aus dem Fall kann man einige Lehren ziehen. So wichtig es ist, daß Bürger Zivilcourage üben, so wichtig ist es auch, dabei Besonnenheit zu zeigen und eine nüchterne Beurteilung der Lage vorzunehmen, bevor man handelt. Natürlich kann von keinem Bürger erwartet werden, daß er eine perfekte juristische Beurteilung leistet, gerade in einer solchen durchaus emotional schwierigen Situation. Deswegen gewähren das Gesetz und auch die Rechtsprechung dem Bürger hier einen durchaus weiten Beurteilungsspielraum. Indessen hätten die vier offenbar zur Hilfe gerufenen Herren in schwarzer Kleidung, die man in diesem Video sieht, wie sie zur Tür des Supermarkts hereinstürmen, und den vermeintlichen Täter gegen seinen heftigen Widerstand überwältigen und hinausführen, durchaus in Ruhe überlegen können, ob das denn wirklich notwendig ist. Ob es nicht wirklich genügt hätte, die Polizei anzurufen, die Lage zu schildern, und dann abzuwarten, welche Entscheidung die Polizei trifft. Vielleicht wäre sie jetzt beim dritten Mal, tatsächlich gekommen. Vielleicht hätte sie den wackeren Bürgern aber auch gesagt, daß nach Sachlage eine Festnahme des randalierenden oder auch nur unverschämten Herrn aus dem Irak nicht veranlaßt sei. Man sollte sich überhaupt hüten, eine folgenreiche rechtliche Beurteilung vorzunehmen und umzusetzen, ohne sich juristischen Rat einzuholen. In unklarer Lage sollte man dann eher davon absehen, etwas zu tun, was einem später leid tun könnte. Wie gesagt, im vorliegenden Falle bestand ersichtlich nicht die Gefahr, daß dritte Personen durch jenen unangenehmen Herrn aus dem Orient verletzt werden könnten. Die Gefahr, etwa wegen unterlassener Hilfeleistung, § 323c StGB, belangt zu werden, bestand ganz offensichtlich nicht. Denn ein Unglücksfall bzw. gemeine Gefahr oder Not lag ersichtlich nicht vor. Flapsig gesagt, man wird als medizinischer Laie auch nicht seinem Nachbarn den Blinddarm herausnehmen. Wieso viele Leute meinen, daß dies bei rechtlichen Problemen anders sein soll als bei medizinischen, erschließt sich eigentlich nicht.

Wie gesagt, bin ich durchaus ein Befürworter der Zivilcourage. Ihre Anwendung muß jedoch notwendig sein. Ich selbst bin 1990 einmal in eine Situation gekommen, die der hier besprochenen ähnlich war. Ich hielt mich beruflich in Leipzig auf und betrat um die Mittagszeit einen Supermarkt. Augenblicklich mußte ich im Eingangsbereich vergegenwärtigen, daß mir ein junger Mann entgegen stürmte, der eine Schnapsflasche in einer Hand hielt, verfolgt von einer Verkäuferin mit dem klassischen Ruf: „Haltet den Dieb!“ auf den Lippen. Diese Situation schien mir klar genug zu sein, den Herrn festzuhalten, zu Boden zu bringen und zu fixieren. Glücklicherweise kam mir aus der Zahl der umstehenden Menschen ein junger Mann zur Hilfe, den ich dann bat, die Polizei herbeizuholen, was er auch tat. Die Polizei nahm sich dann des Schnapsräubers an. Hier lag nun genau der Fall vor, den § 127 StPO meint. Ganz offensichtlich hatte jener flüchtende junge Mann eine Flasche Schnaps ohne Bezahlung an der Kasse vorbei bringen wollen, weswegen ihn ja auch die Verkäuferin verfolgte und „Haltet den Dieb!“ schrie. Es bestand auch der Gefahr, daß der Täter unerkannt entkommen konnte. Somit war es rechtens, ihn festzunehmen. Und, so füge ich ohne einen Hauch von Eigenlob hinzu, es war auch sittlich geboten. Denn die Zivilcourage ist eine wesentliche Grundlage einer funktionierenden Gesellschaft, in der sich die Menschen sicher fühlen können, auch wenn nicht an jeder Straßenecke ein Polizist oder gar Streifenwagen steht. Doch, wie gesagt, ist auch hier der nüchterne Verstand und das sprichwörtliche „ruhig Blut“ gefragt. Betrachtet man sich das Video aus dem Netto-Markt zu Arnsdorf vom 21.05.2016, so ist dort von nüchternem Verstand und ruhig Blut eher wenig zu sehen. Und deswegen eignet sich der Fall nicht dazu, der Justiz zu unterstellen, Zivilcourage kriminalisieren zu wollen. Vielmehr schlage ich vor, ganz einfach das Ergebnis des Verfahrens vor dem Amtsgericht abzuwarten. Die beteiligten Juristen, Staatsanwälte, Verteidiger und Richter, werden die Sache professionell angehen. Zu irgendetwas anderem gibt es auch keinen Grund.

Endlich! Wir bekommen das Wahrheitsministerium.

Zum politischen Neusprech unserer Tage gehören die Vokabeln fake news, hatespeech und natürlich das Wort des Jahres 2016 postfaktisch. Hinter all diesen Begriffen verbirgt sich die Sorge der politischen Klasse dieses Landes, daß die Bürger/Wähler die falschen Nachrichten bekommen, die falschen Meinungen haben und deswegen die falschen Kandidaten wählen. Empört führt unser Gesinnungsministerlein einen Kreuzzug gegen die Verbreiter angeblich falscher Nachrichten und falscher (politisch nicht korrekter) Meinungen in den sozialen Medien an. Facebook, Twitter und andere sollen fake news und hatespeech unverzüglich löschen, wenn firmeneigene Arbeitsgruppen und/oder die Maas’sche Gesinnungspolizei unter dem Kommando der Ex-Stasimitarbeiterin Annetta Kahane irgend einen Beitrag für falsch, hetzerisch, oder sonst wie politisch nicht korrekt halten. Da möchte nun auch das Bundesinnenministerium nicht nachstehen. Schließlich haben sogar Politiker aus den Reihen der CSU einschlägige Forderungen erhoben. Man schlägt also die Einrichtung eines „Abwehrzentrums gegen Desinformation“ vor. Das soll dafür sorgen, daß für unliebsame Beeinflussungen angeblich besonders anfällige Bevölkerungsgruppen (nach Meinung der Beamten Russlanddeutsche und Bundesbürger mit türkischen Wurzeln) künftig die Informationen erhalten, die sie aus der Sicht der Bundesregierung benötigen. Da darf auch der ebenso unvermeidliche wie unsägliche Martin Schulz nicht fehlen. Er ruft nach dem Gesetzgeber, damit der Verbreitung von falschen – genau genommen unerwünschten – Nachrichten über soziale Netzwerke ein Riegel vorgeschoben wird.

Zunächst einmal ist alles das juristisch nicht haltbar. Zwar dürfen Regierungen neben den Medien Nachrichten verbreiten und ihre Auffassung erläutern. Das gehört mit zu ihren Aufgaben. Nicht aber ist es Aufgabe der Exekutive, gegen tatsächliche oder vermeintliche Falschmeldungen vorzugehen. Es ist allein Sache der Gerichte, bei Vorliegen einschlägiger Straftatbestände oder über Klagen auf Unterlassung und Widerruf falscher Tatsachenbehauptungen zu entscheiden. Das genügt auch. Jede Art von staatlicher Zensur hingegen steht einer freiheitlich-demokratischen Rechtsordnung entgegen. Deswegen hat zum Beispiel der europäische Gerichtshof für die Menschenrechte in den Jahren 2013 und 2015 entschieden, daß die Leugnung des Völkermordes an den Armeniern durch einen türkischen Politiker von der durch Art. 10 Abs. 1 der europäischen Menschenrechtskonvention geschützten Freiheit der Meinungsäußerung umfaßt ist. Selbstverständlich, muß man hinzufügen, gilt das auch für die Äußerung der gegenteiligen Auffassung. Art. 5 Abs. 1 des Grundgesetzes schützt die Meinungsfreiheit. Soweit jemand diese mißbraucht, indem er wahrheitswidrige Behauptungen über Dritte aufstellt, haben darüber die Gerichte zu entscheiden. Soweit der Staat überhaupt gegen die Verbreitung nach Meinung seiner Regierung falsche Behauptungen vorgehen will, kann das in einem Rechtsstaat nur im Wege der öffentlichen Klage vor den Gerichten geschehen. Eine Zensur indessen, wie sie dem Bundesinnenministerium offenbar vorschwebt, ist dem Rechtsstaat fremd. Sie ist ein Merkmal von Diktaturen. Es ist auch einer Demokratie nicht angemessen.

Zu Recht erklärt dazu der Jurist Florian Albrecht (Legal Tribune online, 30.12.2016): „Die Fragwürdigkeit der Forderungen im Kampf gegen falsche Nachrichten wird durch einen Blick in unser Nachbarland Österreich noch verstärkt. Dort wurde der aus dem Jahr 1975 stammende und die Verbreitung falscher, beunruhigender Gerüchte unter Strafe stellende § 276 StGB zum 31. Dezember 2015 außer Kraft gesetzt. Maßgeblich war für diesen Schritt einerseits die Erkenntnis, daß der unbestimmte Tatbestand, der der Verbreitung bekanntermaßen falscher Gerüchte entgegenwirken sollte, laut Standard in den vergangenen 20 Jahren zu keiner einzigen Verurteilung geführt hatte. Der Sektionschef für Strafrecht im österreichischen Justizministerium wies in diesem Zusammenhang darauf hin, daß auch rechtspolitische Bedenken gegen eine solche Strafnorm angeführt werden können. Demnach sei es sinnvoller, wenn fake news nicht mit Verboten, sondern vielmehr mit einer gesellschaftlichen Debatte sowie Widerrede begegnet würde. Diese Linie entspricht vollends der Rechtsprechung des deutschen Bundesverfassungsgerichts zum Grundrecht der Meinungsfreiheit.
Es bedarf keiner eingehenden Analyse, erkennen zu können, daß den gegenwärtig hinsichtlich der Bekämpfung von fake news und hate speech geführten Debatten starke antidemokratische Tendenzen anhaften. Gesellschaftliche Debatten, die der Grundpfeiler unserer Demokratie sind, drohen dann erstickt zu werden, wenn sich der Staat seiner übermächtigen Ressourcen bedient und sich einer Art Wahrheitsministerium bedient, wie in George Orwells Dystopie 1984 geschildert. Der Verfassungsrechtler Sebastian Mueller-Franken folgert völlig zu Recht, daß ein Staat erst dann freiheitlich ist, wenn er keinen Anspruch auf die Festlegung der Wahrheit erhebt. Denn erst mit dem Verzicht auf den Wahrheitsanspruch überläßt er es den Bürgern, ob sie ihn und die von ihm ausgeübte Herrschaft bejahen oder verwerfen wollen.“

Ein weiterer Gesichtspunkt sollte nicht unter den Tisch fallen. Wer im Glashaus sitzt, sollte bekanntlich nicht mit Steinen werfen. Betrachtet man sich nämlich die amtliche Informationspolitik, die unter anderem auch durch das Statistische Bundesamt und die polizeilichen Kriminalstatistiken durchgeführt wird, dann entsteht häufig der Eindruck, daß die eigene Wahrnehmung der Wirklichkeit und deren Darstellung in den Statistiken voneinander abweichen. Michael Klonovsky hat das in seinem Internet Blog acta diurna vom 04.01.2017 ausführlich dargestellt. Dabei haben ihm aus gutem Grund nicht namentlich genannte Fachleute aus Behörden geholfen. Der Beitrag ist außerordentlich lesenswert. Die Methoden, mit denen Statistiken manipuliert werden können und tatsächlich manipuliert werden, sind vielfältig und sehr effektiv. Der Winston Churchill zugeschriebene Satz: „Traue keiner Statistik die du nicht selbst gefälscht hast“, mag zwar tatsächlich nicht von ihm stammen, scheint aber offensichtlich das Motto derjenigen zu sein, welche diese amtlichen Statistiken erstellen lassen. Manchmal ist man sogar so unvorsichtig, daß man das auch offen zugibt. So hat sich der brandenburgische Ministerpräsident Woidke am 22. September 1916 dazu hinreißen lassen, in ein Mikrofon zu sagen: „Also erst mal was zur Statistik. Wir haben in Brandenburg die Statistik bei rechtsextremen Übergriffen geändert. D.h. bei der Polizei wird erst mal jeder Übergriff wo nicht erwiesen ist, daß er keine rechtsextreme Motivation hatte, wird in diese Statistik reingezählt.“ Einmal von diesem offenbar bewußt „volksnahen“ Sprachgebrauch abgesehen: Hier hat jemand die Maske fallen lassen. Wer selber postfaktisch fake news verbreitet, das aber gleichzeitig anderen verbieten lassen will, qualifiziert sich vielleicht für das Amt des Wahrheitsministers Orwell’scher Prägung. Als selbsternannter Verteidiger des demokratischen Rechtsstaats ist er jedoch eine glatte Fehlbesetzung.

Wir Bürger müssen wachsam sein. Wir wollen das in der Aufklärung vor rund 300 Jahren hart erkämpfte Recht, sagen und schreiben zu können, was wir wollen, auf keinen Fall preisgeben. Die einzige Sanktion desjenigen, der falsche Nachrichten verbreitet, soll weiterhin nur die sein, daß er sich damit blamiert. Gesinnungsschnüffler, Wahrheitsminister und Zensoren indessen brauchen wir nicht.

Was ist zu tun?

Die Nachrichten über den Attentäter vom Berliner Weihnachtsmarkt klingen immer bizarrer. Jener Tunesier, der höchstwahrscheinlich Anis Amri hieß, höchstwahrscheinlich deswegen, weil man in dieser Angelegenheit offenbar nahezu nichts sicher weiß, soll nun unter 14 verschiedenen Namen in Deutschland umhergereist sein. Das deutet darauf hin, daß er in großem Umfang auch unberechtigt Sozialleistungen in Anspruch genommen hat. Sollte das wirklich gründlich untersucht werden, woran man schon zweifeln darf, dann wäre es interessant zu wissen, ob die Schadenssumme veröffentlicht wird, und wenn ja, wie hoch sie ist. Das aber nur am Rande.

Die politische Debatte dieser Tage dreht sich natürlich um die tatsächlichen oder auch nur gefühlten Versäumnisse der Sicherheitsbehörden, aber auch um die Frage, inwieweit die Rechtslage in Deutschland der Aufklärung, noch mehr aber der Verhinderung solcher Taten im Wege steht. Nüchtern betrachtet, haben wir es hier mit einer Gemengelage von Versäumnissen, unzulänglichen Strukturen, mangelndem Personal und fehlenden Rechtsgrundlagen zu tun. Das alles kann nahezu ausschließlich nur von der Politik geändert werden.

Politisch am wenigsten umstritten dürfte sein, daß sowohl die technische Ausstattung als auch der Personalumfang der Sicherheitsbehörden verbessert und vermehrt werden muß. Mangelnde Kompatibilität von Funkausrüstungen und IT-Ausstattung, zu geringer Personalumfang, aber auch veraltete Strukturen könnten ganz sicher durch gesetzgeberische Maßnahmen unterhalb der Schwelle einer oder mehrerer Verfassungsänderungen beseitigt und ein wirklich arbeitsfähiges System geschaffen werden. Eine Reihe von dringend notwendigen Maßnahmen dürften jedoch politisch kaum durchsetzbar sein, im Klartext: an linksliberalgrüner Humanitätsduselei scheitern. Der Fall Amri hat unter anderem gezeigt, daß es bislang kaum Möglichkeiten gibt, ausreisepflichtige ehemalige Asylbewerber in Abschiebehaft zu nehmen. Das gilt selbst dann, wenn sie nach der Einschätzung unserer Sicherheitsbehörden eine Gefahr für die Sicherheit und Ordnung des Landes darstellen. Dazu liegen bis jetzt nicht einmal taugliche Vorschläge der Bundesregierung auf dem Tisch. Auch von den für das Polizeirecht insoweit zuständigen Bundesländern hört man nichts. Bislang läßt das Polizeirecht der Länder eine Ingewahrsamnahme von Gefährdern nur zu, wenn das unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung einer Straftat von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zu verhindern (z. B. § 35 Abs. 1 des nordrhein-westfälischen Polizeigesetzes). Unmittelbar bevor stand der Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt aber erst, als der Täter daran ging, den zur Tat benutzten Lkw zu kapern. Also muß es rechtlich möglich gemacht werden, als Gefährder erkannte Personen festzusetzen und des Landes zu verweisen. Hier fehlt es aber offensichtlich am politischen Willen.

Auch das geltende Strafrecht hilft hier nicht weiter. Abgesehen davon, daß es nur repressiv angewandt werden kann, also bevorstehende Straftaten damit nicht verhindert werden können, greifen zum Beispiel die Vorschriften über terroristische Vereinigungen bei Einzeltätern nicht. Auch der Straftatbestand der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat, § 89a StGB, hilft im Falle des Terroristen, der sich wie Amri eines LKWs bemächtigt hat, um damit in eine Menschenmenge zu rasen, überhaupt nicht. Denn nach dieser Vorschrift macht sich nur strafbar, wer sich in der Handhabung von Schusswaffen, Sprengstoffen, Spreng- oder Brandvorrichtungen, Kernbrenn- oder sonstigen radioaktiven Stoffen, Stoffen, die Gift enthalten oder hervorbringen können, anderen gesundheitsschädlichen Stoffen, zur Ausführung der Tat erforderlichen besonderen Vorrichtungen oder in sonstigen Fertigkeiten, die der Begehung solcher schweren Straftaten wie Mord, Totschlag usw. dienen, ausbilden lässt oder andere darin ausbildet. Das ist also auf den klassischen Terrorismus, wie etwa den Täter von Istanbul, der mit einem Schnellfeuergewehr in einen Nachtklub eingedrungen ist, und auf die Gäste gefeuert hat, zugeschnitten. Amri hingegen hätte sich nicht vor Gericht verantworten müssen, wenn bekannt geworden wäre, daß er einen Lkw kapern will, um ihn in den Weihnachtsmarkt zu lenken, und er vor Ausführung dieser Tat verhaftet worden wäre. Denn dann wäre vermutlich nicht einmal der Versuch eines schweren Diebstahls gegeben. Ohnehin sind Vorschriften wie § 89a StGB unter Juristen sehr umstritten, weil sie als unsystematisch angesehen werden. Denn an und für sich werden Täter für begangene Straftaten bestraft, nicht aber Leute, denen bloße Vorbereitungshandlungen, die noch nicht in das konkrete Stadium des Versuchs gekommen sind. Entsprechend zurückhaltend sind die Gerichte. Mir ist kein Fall einer Verurteilung nach dieser Vorschrift bekannt. Derzeit steht ein Mann vor Gericht, der in Syrien als IS-Kämpfer tätig war. Ihm wird Mord vorgeworfen. Daß jemand nur ausgebildet worden ist, wrid man auch nur sehr selten feststellen können. Eine Gesetzesänderung dahingehend, daß es nun auch strafbar sein wird, Autofahren zu lernen, ist eben nicht möglich.

Eine Straffung der sogenannten Sicherheitsarchitektur, wie sie der Bundesinnenminister vorgeschlagen hat, scheitert an den Bundesländern, die den Föderalismus hochhalten und keine Zentralisierung etwa des Verfassungsschutzes akzeptieren werden. In diesem Zusammenhang wird natürlich mit Scheinargumenten gearbeitet. Das Lieblingsargument der Landespolitiker lautet, daß Verfassungsschutzbeamte „vor Ort“ terroristische Gefährder effizienter überwachen könnten, als ihre Kollegen im fernen Berlin. Das ist deswegen wenig überzeugend, weil selbstverständlich auch eine Bundesbehörde ihre Dienststellen in der Fläche haben muß, mit anderen Worten, es völlig gleichgültig ist, ob der Verfassungsschutzbeamte im Saarland im Dienste des Bundes oder des Landes steht. Entscheidend ist, daß es eine straffe bundesweite Organisation gibt, in der keine Reibungsverluste und Verzögerungen durch Kompetenzgerangel entstehen. Das Strafgesetzbuch wird man zur Verhinderung von Straftaten nicht ändern müssen. Mord, Brandstiftung und Sprengstoffdelikte sind schon strafbar. Was man auf jeden Fall verändern muß, ist das Polizeirecht. Es mag rechtsstaatlich heikel sein, Gefährder in Haft zu nehmen und abzuschieben. Der Fall Amri zeigt jedoch, daß man regelmäßig erst hinterher weiß, wer tatsächlich zur Tat so entschlossen war, daß er sie auch durchgeführt hat. Daraus kann nur die Konsequenz gezogen werden, daß den Sicherheitsbehörden hier gesetzlich ein so großer Beurteilungsspielraum gegeben werden muß, daß sie, salopp gesagt, lieber einen Gefährder mehr als einen zu wenig inhaftieren und abschieben. Dazu muß aber der politische Wille vorhanden sein. Und genau dazu fehlt es in Deutschland bei weitem. Solange die Grundbefindlichkeit in weiten Teilen des politischen Spektrums und seiner Wählerschaft von naiver Humanität geprägt ist, statt von nüchterner Sachlichkeit und vor allem einem gesunden nationalen Eigeninteresse, ist Besserung nicht in Sicht.